Versagt ein E-Auto auf Langstrecken? Mobilitätsprofi kontert unseren Tesla-Bericht

Wulf Schlachter leitet eine Firma im Bereich E-Mobilität und Ladeinfrastruktur. Wenn er über unglückliche Tesla-Fahrer liest, kommt ihm das Frühstück hoch. Ein streitbarer Austausch.

Ein Tesla an einer Ladestation.
Ein Tesla an einer Ladestation.Joseph Dean//imago

Es begann mit einem Artikel in der Berliner Zeitung unter dem Titel: „Meine Reise zur Handball-WM nach Polen: Nie wieder Elektroauto!“ Ein junger Autofahrer aus Hannover (28) fuhr mit einem gemieteten Tesla Model Y nach Polen und erlebte trotz guter Erfahrungen mit E-Autos in der Stadt auf einer Strecke von 800 Kilometern Pannen beim Laden und mit der Elektronik.

Sein Fazit: „E-Autos grundsätzlich ja, Tesla auch ja – aber nicht ungeübt auf Langstrecke und schon gar nicht mit einem Mietwagen ins Ausland.“

Der subjektive Bericht hat nicht nur unter den einfachen Autofahrern, sondern auch in der Fachwelt eine emotionale Debatte ausgelöst. Während die einen den Tesla und E-Autos generell in Schutz nahmen und von ihren durchaus positiven Erfahrungen auf Langstrecken erzählten, zeigten die anderen Verständnis für die Probleme, die bei solch einem Auto theoretisch auftauchen können.

Wulf Schlachter, Gründer und Geschäftsführer von DXBe Management, einer weltweit agierenden Company im Bereich Aufbau und Betrieb von Ladeinfrastruktur, war einer der größten Kritiker der Erzählung. Bei der Lektüre „kommt mir gerade wirklich das Frühstück hoch“, schrieb er sarkastisch dazu auf LinkedIn.

Tesla Model Y im Winter: Wie lange reicht die Batterie?

Wir haben uns mit dem Buxtehuder in seinem Büro im The Drivery getroffen, einer Coworking-Fläche mit vielen Start-ups im Ullsteinhaus in Berlin-Tempelhof, um über die Vor- und Nachteile der Elektroautos zu sprechen. Ob er ein „Fan“ der Elektroautos sei? Nein, den Fanstatus habe er längst abgegeben, erwidert Wulf Schlachter, weil er sich nicht oberflächlich, sondern als Fachmann mit vielen Fragen inhaltlicher Natur beschäftige, etwa wie ein Auto Energie am Charger lädt und künftig auch spenden kann. Die ganz großen Marken wie Mercedes-Benz, BMW, Volkswagen, Ford oder Hyundai sind seine Kunden.

Die Coworking-Fläche The Drivery im Ullsteinhaus in Berlin-Tempelhof beherbergt zahlreiche Start-ups, die im Bereich E-Mobilität und nachhaltige Zukunftstechnologien arbeiten. 
Die Coworking-Fläche The Drivery im Ullsteinhaus in Berlin-Tempelhof beherbergt zahlreiche Start-ups, die im Bereich E-Mobilität und nachhaltige Zukunftstechnologien arbeiten. The Drivery GmbH

Als Erstes hatte der Handball-Reisende aus Hannover in seinem Artikel kritisiert, dass er und sein Kumpel im Januar bei -3 bis -5 Grad bereits nach 250 Kilometern Fahrt die zuvor voll geladene Batterie wieder laden mussten, weil sie schon fast leer war. Das Laden soll dabei jedes Mal 50 Minuten gedauert haben, und das bei nur 5000 Kilometern Laufleistung. Stimmt es, dass eine Batterie im Winter deutlich schlechter hält als im Sommer?

„Es gibt viele Vorurteile gegen E-Fahrzeuge“, argumentiert der Unternehmer. Eine deutlich geringere Reichweite und langsames Laden im Winter gehörten auch dazu. Doch seine eigene Erfahrung als E-Auto-Fahrer und Profi bestätige das Gegenteil. Nach eigenen Worten schafft Schlachter die ersten 250 Kilometer auf der Strecke zwischen Buxtehude bei Hamburg und The Drivery in Berlin, insgesamt rund 340 Kilometer, im Februar mit einer halb geladenen Batterie.

Auf der Autobahn entwickle er mit seinem BMW iX3, der vergleichbar mit einem Tesla Model Y sei, dabei eine „normale“ Geschwindigkeit von bis zu 130 km/h. Nach 250 Kilometern müsse er lediglich zehn Minuten lang an einem Schnelllader laden, um die Strecke bis Berlin zu schaffen.

„Im Winter gehen dabei maximal zehn Prozent der angegebenen Reichweite durch Heizung und anderes verloren“, behauptet Wulf Schlachter von seinem Wagen. Auch bei einem Tesla sinke die prognostizierte Reichweite im Winter um die zehn bis 15 Prozent. Für die niedrigere Reichweite im Winter lässt sich vor allem ein Grund nennen: Der verstärkte Einsatz der Heizung in der kalten Jahreszeit benötigt mehr Energie.

Infobox image
Privatarchiv
Zur Person
Wulf Schlachter ist Geschäftsführer von DXBe Management, einer Unternehmensberatung für Strategie und Management im Bereich E-Mobilität und Ladeinfrastruktur. Der diplomierte Jurist ist zudem Mitglied des Beirats bei Charge Construct, einem Produzenten und Betreiber von Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge aus Ingolstadt. 

Die Informationen im Internet lassen die Leser eher irritiert zurück. Je nach Batterie verspricht ein Tesla Model Y zum Beispiel bis zu 533 Kilometer Reichweite. Portale für E-Autos wie ev-database.org attestieren einem Tesla mit einer 57,5-kWt-Batterie und einem Grundpreis von fast 48.000 Euro eine reale Reichweite von nur 345 Kilometern, was einen Durchschnittswert für die Stadt und die Autobahn darstellt. Auf der Autobahn im Winter liegt die prognostizierte Reichweite dann nur noch bei 245 Kilometern. Ein Model Y mit 72-kWt-Batterie verspricht schon eine reale Reichweite von 425 Kilometern, kostet aber rund 60.000 Euro. Im Winter wird auch hier die Reichweite auf nur 305 Kilometer reduziert, also viel deutlicher als nur um zehn Prozent. Ein Punkt für den Hannoveraner Tesla-Fahrer?

Vorkonditionierung, Rekuperation und Co: Beste Freunde eines Fahrers?

Laut dem E-Mobilitätsprofi Wulf Schlachter lassen sich solche Verluste bei der Reichweite gut vermeiden. „Wenn im Fahrzeug ein paar Fehler gemacht wurden, bevor man an die Ladesäule fährt, dauert der Ladevorgang dann einfach länger und die Batterie braucht eben länger, um die optimale Ladetemperatur zu erreichen“, erklärt er.

Im sogenannten kalten Batteriezustand, beispielweise durch die vorherige Nutzung des Eco-Modus am BMW, müsse man zum Beispiel eventuell auch mal bis zu zehn Minuten länger laden. Tricks wie Vorkonditionierung bzw. das Vorheizen würden dagegen den Energieverbrauch des Autos senken und den Ladevorgang deutlich beschleunigen, sagt unser Gesprächspartner. Die Funktion ermöglicht es etwa, den Ladezustand der Batterie sowie die Temperatur im Innenraum des Autos schon vor Abfahrt in den gewünschten Zustand zu bringen.

Zudem wird der Akku bei einer Vorkonditionierung während der Fahrt zusätzlich durch die Batterieheizung vorgewärmt, wenn ein Supercharger oder ein anderer Schnelllader als Navigationsziel ausgewählt wurde. „Wenn ich mit einer eiskalten Batterie an den Lader fahre und das Fahrzeug nicht vorkonditioniert habe, dann kann der Ladevorgang in der Tat bis zu eine Stunde dauern“, erklärt Wulf Schlachter.

Weiterhin helfe auch die Rekuperation, also eine Funktion, bei der das Fahrzeug beim Bremsen selbst Strom erzeugen und somit den Akku wieder laden und wärmen könne, verweist Wulf Schlachter. Es scheint auf den ersten Blick fraglich, ob die Funktion auf einer Autobahn wirklich nützt, um die Reichweite zu erhöhen. Im Stadtverkehr hilft die Funktion nach diversen Erfahrungen in der Tat, den Energieverbrauch um bis zu 30 Prozent zu senken. Doch auf der Autobahn, wo man viel weniger bremst?

Wulf Schlachter weist wieder auf das Zusammenspiel vieler Faktoren hin. Man entwickle nach einer Weile als E-Auto-Fahrer einen völlig anderen Fahrstil, sagt er, als wenn man einen Verbrenner fahre, und schaffe es sogar mit dem vollelektrischen ID. Buzz von VW, auf der Autobahn unter 20 Kilowattstunden pro 100 Kilometer zu verbrauchen. Grundsätzlich gelte es dabei wie beim Handyakku, die Batterie nur auf 80–85 Prozent zu laden. Die restlichen 15 Prozent seien nur vergebene Liebesmüh, die nicht bei der Reichweite helfe, dafür aber unnötige Zeit am Schnelllader bedeute, so Wulf Schlachter.

Nachteil bei E-Autos: Voller Spaß nur für die Eigentümer?

Warum machen so viele Leute trotzdem schlechte Erfahrungen mit einem Tesla oder einem anderen E-Auto auf Langstrecken? Meistens versage gerade die Leihwagenfirma bei den Einstellungen und der Aufklärung des Fahrers, fasst Wulf Schlachter die Meinungen aus der Expertengemeinschaft zusammen. Im Fall des Autofahrers aus Hannover hätte der Vermieter die Frage nach Auslandsfahrten durchaus stellen sollen und eventuell auch Probleme mit der Zahlungsmethode verhindern können. Die Mieter hätten ja selbst in diesem Fall keinen Zugriff auf die Lade-App von Tesla und könnten die Elektronikprobleme im Notfall sowieso nicht selbst beseitigen.

Ein Tesla-Supercharger am EUREF-Campus in Berlin-Schöneberg
Ein Tesla-Supercharger am EUREF-Campus in Berlin-Schönebergimago

Ist Tesla deswegen ein typisches Eigentümerauto, das nur der Besitzer vollwertig steuern kann? Nein, erwidert Schlachter: Es gebe Mietwagenfirmen, die Tesla seit Jahren – unter anderem an Flughäfen und auch urban – zur Miete anbieten und damit sehr erfolgreich seien. Es komme also auf den Anbieter an. 

Trotz aller Mängel sieht Wulf Schlachter einen ausschlaggebenden Vorteil bei den E-Autos, nämlich dass es unter normalen Umständen, also wenn der Fahrer nicht an irgendeiner Ladesäule, sondern immer an geeigneten Schnellladern oder Superchargern lädt, am Ende deutlich günstiger ist, als Sprit zu tanken. „Für die Strecke von Hamburg bis Berlin und zurück muss ich bei einem Verbrenner mit rund 110 Euro an Spritkosten rechnen. Lade ich als BMW-Kunde an den Schnellladesäulen von Ionity, zahle ich am Ende weniger als die Hälfte, selbst bei den gestiegenen Strompreisen.“

Haben Sie Feedback oder eine eigene Geschichte? Schreiben Sie uns! briefe@berliner-zeitung.de