Vanilleanbau auf Madagaskar: Der Schatz aus dem Unterholz
ANTANANARIVO - Die Frage kommt René Totoantsarika komisch vor. „Eis zum Essen? Mit Vanille?“ Er zieht die Stirn kraus, schaut unsicher. Nein, so etwas habe er noch nie in seinem Leben probiert. Aber irgendetwas mit Vanille müsse er doch schon gegessen haben, wundert sich der Besucher. Schokolade vielleicht? Totoantsarika denkt nach und stützt sich auf seine Machete. Dann huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Ja klar, Kekse! Kekse mit Vanille habe er einmal gekostet. Lecker seien die gewesen, sagt er und lacht.
Der jugendlich wirkende Mann klettert durch das Unterholz und geht auf einen kleinen Baum zu, der mit einer kräftig grünen Kletterpflanze bewachsen ist. Er prüft die Wurzel, streicht vorsichtig über die Blätter, kappt einige Ranken. Diese Pflanzen sind der Schatz von René Totoantsarika: Er ist Vanille-Bauer. Und er ist Nutznießer eines mit deutschen Steuergeldern mitfinanzierten Programms, durch das die Lebensbedingungen von Kleinbauern auf Madagaskar verbessert werden soll. Das besondere: Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) kooperiert bei dem Projekt eng mit der Privatwirtschaft.
Enorme Preisschwankungen
Vanille ist nicht nur eines der weltweit beliebtesten Gewürze, es ist auch eines der kostbarsten: Die „Königin der Gewürze“ ist nach Safran das zweitteuerste Gewürz der Welt. Heute stammt rund 80 Prozent der weltweit verkauften natürlichen Vanille aus Madagaskar, das meiste davon aus der fruchtbaren Sava-Region im Nordosten der Insel.
Reich macht die hier angebaut „Bourbon-Vanille“ die Bauern aber nicht. Bevor René Totoantsarika zu seinem Vanille-Feld im dichten Urwald führt, lädt er zu sich nach Hause ein. Eine Holzhütte, vielleicht neun Quadratmeter groß, darin zwei Betten für sich und seine Frau sowie den fünfjährigen Sohn und die zweijährige Tochter. Tisch und Regal, ein Radio, eine Taschenlampe und zwei Koffer mit Bekleidung. Alle laufen barfuß. Ein kleines Reisfeld unweit seines Hauses im Dorf Maroambihy hat er geerbt. „Aber damit kann ich meine Familie nicht satt bekommen“, sagt er.
Der 48-Jährige erzählt, wie aufwendig der Anbau von Vanille ist. Die Kletterpflanze gedeiht vornehmlich im Dickicht des Dschungels und braucht mindestens drei Jahre, um erstmals zu blühen. Die Blüten müssen einzeln per Hand bestäubt werden – die auf die Vanille-Orchidee spezialisierte Bienen-Art gibt es nur in Mittelamerika und nicht hier in Afrika. Die gelblich-grünen Blüten blühen nur nacheinander auf, wobei jede einzelne Blüte bereits nach wenigen Stunden schon wieder verwelkt.
„Allein mit dem Bestäuben bin ich wochenlang beschäftigt“, berichtet René Totoantsarika. Er macht vor, wie es geht: Mit einem Holzstäbchen wird die Narbe vorsichtig angehoben, anschließend wird der Pollen behutsam auf die Spitze der Narbe gedrückt. Ihren Geschmack entwickelt die Vanille ähnlich wie bei Kaffee oder Tee erst durch Fermentierung, wodurch die grünen Schoten schwarz werden.
Die Ernte wird in der Regel an Zwischenhändler verkauft. Da der Preis stark schwankt – 2004 erreichte er auf dem Weltmarkt über 500 Dollar je Kilogramm, um kurz danach auf 20 Dollar abzustürzen – wissen die Bauern bis zum Markttag nicht, welchen Lohn sie für ihre Arbeit heraushandeln können. Viele sind auch darauf angewiesen, unreife Schoten minderer Qualität zu verkaufen, weil das Geld alle ist.
Die Symrise AG aus dem niedersächsischen Holzminden, der viertgrößter Duft- und Aromenhersteller der Welt, kauft seit Jahren Vanille aus Madagaskar. Doch die Unzufriedenheit wuchs. „Wir wussten nie, ob wir über die Zwischenhändler genügend Vanille in guter Qualität aufkaufen können“, berichtet Symrise-Vanilleexperte Clemens Tenge. Deshalb entschloss sich das Unternehmen 2006, selbst vor Ort tätig zu werden. „Wir haben unser eigenes Team aufgebaut und kaufen jetzt direkt von den Kleinbauern“, sagt Tenge. Das klingt leichter als es ist. Denn die Konkurrenz beim Aufkauf ist wegen der vielen Zwischenhändler stark. Die Kleinbauern lassen sich traditionell nicht längerfristig binden, sondern entscheiden sich Jahr für Jahr neu, an wen sie die Vanille verkaufen. Die Lösung von Symrise: „Wir bauen Vertrauen auf.“
Das Geld, das Symrise durch die Umgehung der Zwischenhändler spart, gibt es nun unter anderem dafür aus, die Bauern in besseren Anbaumethoden zu trainieren. Auch im sozialen Bereich engagiert sich Symrise: Es gewährt Vorschüsse, gibt Zuschüsse zu einer neu aufgebauten Krankenversicherung und bezahlt Lehrer an Grundschulen der Region. Das Prinzip: Wir helfen Euch, Ihr verkauft uns hochwertige Vanille. Und hier kommt die GIZ ins Spiel, die von Symrise um Mitarbeit gebeten worden war. „Wir wollen ein besseres Leben für die Kleinbauern erreichen“, sagt GIZ-Landesdirektor Alan Walsch. „Wenn wir das durch eine Zusammenarbeit mit Unternehmen schaffen und am Ende beide Seiten profitieren, ist das eine echte Win-Win-Situation“, meint er. Derzeit arbeiten die Partner mit 4000 Bauern zusammen.
Beraten durch die GIZ fördert Symrise unter anderem die Bildung von Kooperativen, damit die Kleinbauern die Arbeit besser aufteilen und gemeinsam ihre Interessen vertreten können, beispielsweise bei Preisverhandlungen. Das ist nur scheinbar ein Widerspruch zu den Interessen des Unternehmens, schließlich will Symrise nicht mit jedem Bauern einzeln verhandeln müssen. Auch René Totoantsarika ist Mitglied einer Kooperative und beschreibt die Vorteile: „Wir helfen uns bei der Bewachung der Felder“, sagt er und berichtet, dass die weit im Dschungel liegenden Plantagen von Dieben heimgesucht werden.
Ziel der GIZ ist es auch, die Abhängigkeit der Bauern von der Vanille zu verringern. Auf Schulfeldern lernen die Farmer, wie Gemüse, Nüsse und Obst angebaut werden. Dadurch soll erreicht werden, dass sich die Familien ganzjährig selbst versorgen können und nicht nur auf Reis setzen. Aber warum hat Symrise daran ein Interesse? „Wenn ich nicht weiß, was ich morgen essen kann, kümmere ich mich sicherlich nicht um die Qualität von Vanille-Pflanzen“, sagt GIZ-Mann Walsch. Ein weiteres Argument: Der Reisanbau laugt den Boden aus und macht ihn schnell unfruchtbar. Um neue Flächen zu gewinnen, wird bisher Naturwald gerodet, der dann wiederum für den Vanille-Anbau fehlt.
Viele Versprechen
Dass es aber gar nicht so leicht ist, dass Vertrauen der Bauern zu gewinnen, zeigt René Totoantsarika. Er hat an Trainings teilgenommen, lernte Neues über den Vanilleanbau. In diesem Jahr hat er Schoten an Symrise verkauft, jedoch nur wenige Kilogramm. „Wir haben hier schon viele Versprechen gehört“, sagt er. Man müsse erst einmal sehen, wie es weiter gehe. „Die Krankenversicherung ist klasse“, sagt er. Denn Ärzte seien teuer. „Wenn es Symrise ernst meint und die Sache dauerhaft läuft, dann sind sie meine Partner, keine Frage“, sagt er.
Eine Klage hört man jedoch immer wieder von den Bauern: „Der Preis, den wir für unsere Vanille bekommen, ist viel zu niedrig“, sagt Kooperativen-Chef Edward Todisoa. Symrise macht jedoch geltend, dass sich das Unternehmen aus Wettbewerbsgründen nicht vom Weltmarktpreis abkoppeln kann. Der bewegt sich derzeit auf einem Niveau um 80 Dollar für das Kilo schwarze Vanille.
Die Bauern erzielen für die unbearbeiteten grünen Schoten etwa die Hälfte. Ist das ein fairer Preis? Niemand weiß es. Um das zu ändern, wollen Mitarbeiter der GIZ mit einer Studie herausfinden, wie die finanziellen Verhältnisse der Bauern sind und wie viel sie der Vanilleanbau überhaupt kostet. Denn kaum ein Bauer führt Buch über Ein- und Ausgaben.
Wie viel er verdient, darüber will oder kann René Totoantsarika nichts sagen. „Zu wenig“, meint er nur. Dabei sei es wichtig, Geld zurücklegen zu können: „Meine Kinder sollen doch einmal studieren.“