Weltrisikobericht 2014: Wie Naturkatastrophen Megacitys gefährden
Berlin - Die Menschheit rückt zusammen. Vier von fünf Nordamerikanern leben heute in Städten, in Europa sind es drei Viertel. In 30 Jahren wird sich in Asien, Südamerika und Afrika eine ähnliche Land-Stadt-Verteilung herausgebildet haben. Voraussichtlich 6,3 der dann neun Milliarden Menschen auf der Erde werden im Jahr 2050 in Städten leben. 250 Jahre zuvor zählten gerade einmal 30 Millionen der eine Milliarde starken Weltbevölkerung zu den Städtern.
Die Erde wird stürmisch. Dem Zuzug in die Städte gesellt sich eine zweite globale Veränderung hinzu: die des Klimas. In der Folge gibt es mehr Orkane, Hurrikans, Taifune und Zyklone, die Landstriche verwüsten und Überschwemmungen verursachen, extreme Regenfälle fluten Siedlungen und Felder, Erdrutsche bedrohen Dörfer und Städte. Die Gefahr von Naturkatastrophen wächst.
Entwicklungsländer in der Gefahrenzone
Welche Folgen haben die beiden Megatrends Klimawandel und Urbanisierung in Kombination für die Sicherheit der Menschen? Dieser Frage geht der Weltrisikobericht 2014 nach, der am Dienstag vom Bündnis Entwicklung Hilft in Berlin vorgestellt wurde. Die Antwort fällt zweigeteilt aus. Das Leben in der Stadt kann die Verwundbarkeit des Menschen gegenüber Naturereignissen deutlich verringern – oder auch dramatisch erhöhen. Es kommt ganz auf die Stadt und ihr Umfeld an.
In den hochentwickelten Weltregionen, die Nordamerika sowie weite Teile Europas und Ostasiens einschließen, bietet das Leben in der Stadt einen besseren Schutz vor Wetterkapriolen und Überschwemmungen als ländliche Räume. Eine gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur und funktionierende Transportsysteme haben daran ebenso Anteil wie wohnortnahe Krankenhäuser.
Ganz anders stellt sich die Lage in den Entwicklungs- und Schwellenländern Afrikas, Südamerikas und Asiens dar – also ausgerechnet dort, wo die städtische Bevölkerung am schnellsten wächst. Allein in Asien und Afrika wird die städtische Bevölkerung UN-Prognosen zufolge bis 2050 um 2,15 Milliarden Menschen zunehmen.
Von 171 Ländern, die der Bericht erfasst, trägt der südpazifische Inselstaat Vanuatu wegen akuter Überschwemmungsgefahr das höchste Naturkatastrophenrisiko, Deutschland befindet sich an 147. Stelle. Was die Verwundbarkeit der Bevölkerung angeht, stehen aber andere Länder ganz oben auf der Liste: In Afghanistan, Haiti, dem Sudan, Sierra Leona, Mali und dem Tschad fehlt es sowohl an Ressourcen, um im Katastrophenfall effektiv zu helfen als auch an Mitteln, Fähigkeiten zur Krisenbewältigung mittelfristig aufzubauen. Insbesondere in Megacitys mit mehr als 15 Millionen Einwohnern konzentrieren sich die Probleme. Ein zentrales ist: das enorme Wachstum. Heute gibt es weltweit 13 solcher Megacitys, 2030 werden 41 sein.
Rios Armenviertel von Erdrutschen bedroht
Dabei hält der Ausbau der städtischen Infrastruktur in keiner Weise mit der Ausdehnung der Siedlungsgebiete stand. Eine Milliarde Menschen leben nach UN-Schätzungen schon heute in Wellblechhütten und Holzbaracken, ohne sauberes Trinkwasser, Strom und Gas. Und wenn es doch Leitungsanschlüsse gibt, sind sie nicht selten Quell zusätzlicher Risiken: Bei Beschädigungen können sie zu Explosionen oder Bränden führen.
Fatal ist das rapide Wachstum auch, weil die Menschen auf Siedlungsgebiete ausweichen, die lange gemieden wurden. Ein Beispiel ist Bangladeschs Hauptstadt Dhaka: 1950 lebten in der Stadt am riesigen Delta des Jamuna-Flusses 400 000 Menschen. Heute sind es 15 Millionen, die regelmäßig unter Monsunbedingten Überschwemmungen leiden. In Rio de Janiero wiederum breiten sich Armenviertel auf Brachflächen aus, die extrem stark von Erdrutschen bedroht sind.
Die Universität der Vereinten Nationen sowie die Hilfsorganisationen, die den Weltrisikobericht heraus gegeben haben, fordern denn auch zunächst Grundlegendes ein: Die Menschen in Slums, Favelas und anderen „informellen Siedlungen“ erst einmal zur Kenntnis zu nehmen, sie zu zählen und zu registrieren, ihnen Bürgerrechte zuzuerkennen und ihre Siedlungen zu kartographieren. Erst dann könne planvoll Infrastruktur geschaffen und so die Risiken für diese Menschen gemindert werden.