Wirecard: „Erst die Spitze des Eisbergs“

Die US-Shortsellerin Fahmi Quadir berichtet, dass in den USA offenbar umfangreiche Ermittlungen gegen das Wirecard-Geflecht laufen.

Hedgefonds-Managerin Fahmi Quadir. 
Hedgefonds-Managerin Fahmi Quadir. Berliner Zeitung/Paulus Ponizak

Die New Yorker Hedge Fonds-Managerin Fahmi Quadir erwartet, dass es im Zuge der Wirecard-Aufklärung noch zahlreiche Anklagen und Verurteilungen geben wird. Die Shortsellerin, Gründerin von Safkhet Capital, die den betrügerischen Machenschaften seit Jahren auf der Spur ist, sagte der Berliner Zeitung: „Es laufen zahlreiche Ermittlungen der US-Behörden. Die US-Justiz arbeitet mit Insidern zusammen, die als Kronzeugen mitwirken. Einige Leute sitzen schon im Gefängnis, ohne dass dies öffentlich bekanntgemacht wurde. Die US-Justiz hält die Ermittlungen geheim, um den Tätern keine Anhaltspunkte zu geben.“

Laut Quadir ist der entscheidende Punkt die Verhaftung von Ray Akhavan, des Vertrauten des früheren Wirecard-Managers Jan Marsalek, im März 2020. Quadir: „Die Wirecard-Manager hatten genaue Pläne, wie Wirecard zerschlagen werden sollte. Jeder der einzelnen Schritte, wie das Geld aus dem Unternehmen herausgezogen werden soll, war sorgfältig geplant. Als die US-Behörden jedoch den Marsalek-Vertrauten Akhavan in den USA verhafteten und wegen Bank-Betrugs anklagten, geriet der Plan außer Kontrolle. Akhavan war zwar nie formal Angestellter von Wirecard, doch jeder in der Branche wusste, „dass Akhavan herumrannte und sagte: Ich bin Wirecard“.

US-Justiz wird sich noch intensiver mit Wirecard beschäftigen

Mit Akhavan wurde auch der laut Quadir aus dem Wirecard-Umfeld stammende deutsche Manager Ruben Weigand verhaftet. Der Prozess läuft gerade in den USA und hat schon ein erstes brisantes Detail zu Tage gefördert: Mastercard hat bezeugt, dass die falschen Transaktionen, um die es bei dem Prozess geht, unter PXP Financial laufen – also den zum Wirecard-Netzwerk gehörenden Drittpartnerfirmen Kalixa und Senjo. Damit ist zu erwarten, dass die US-Justiz sich noch intensiver mit Wirecard beschäftigen wird. Quadir: „Die US-Behörden gehen viel entschiedener vor als die deutschen Behörden. Sie wissen, wie man Geldwäsche bekämpft. Und sie werden es auch im Fall Wirecard mit aller Härte machen.“ Laut Quadir ist die Lesart, dass Jan Marsalek der zentrale Kriminelle bei Wirecard sei, falsch: „Wirecard war eine Geldwaschmaschine. Hinter jeder Geldwaschmaschine steht organisierte Kriminalität.“ Quadir erwartet, dass auch hochrangige Personen des öffentlichen Lebens ins Visier der US-Behörden geraten könnten: „Die Wahrheit wird herauskommen, und sie ist viel größer als nur ein Bilanz-Betrug. Geldwäsche berührt alle Bereiche einer Gesellschaft.“

Der Linke Abgeordnete Fabio De Masi sagte dieser Zeitung: „Deutschland ist amateurhaft beim Kampf gegen Geldwäsche. Das Wirecard-Management war eine kriminelle Bande, und die Finanzaufsicht und Politiker haben sich von dieser Bande einspannen lassen, weil sie besoffen von den Wirecard-Märchen waren. Aber es gab Leute aus den Geheimdiensten, die ihre Hand über Wirecard gehalten haben. Nicht nur Russen, sondern Österreicher, und es gab auch belegte Kontakte Marsaleks zur CIA. Ich halte es für unglaubwürdig, dass deutsche Dienste das nicht auf dem Radar hatten!“

Ihre eigenen Erfahrungen mit Wirecard lassen Quadir darauf schließen, dass es sich um eine internationale Bande mit politischen Verbindungen gehandelt haben muss. Sie sei mehrfach bedroht worden. Bei einem Besuch in London seien ihr wildfremde Menschen in ein Lokal gefolgt und hätten darüber zu reden begonnen, „wie man die FT für Shortselling kaufen kann“.

Fahmi Quadir: „Wirecard hatte sie alle in der Hand“

Vor allem aber der Umgang der Behörden wie der Finanzaufsicht Bafin kam Quadir seltsam vor: „Ich habe viel mit Aufsichtsorganen zu tun. Diese sind immer interessiert, wenn sie von uns Shortsellern Informationen bekommen. Doch die Bafin hat im Fall Wirecard absolut abnormal reagiert. Es war ganz eigenartig. Und es lag nicht an der Bafin, sondern an Wirecard.“

Quadir hatte der Bafin einen Brief geschrieben und der Bafin erklärt, warum es bei Wirecard nicht mit rechten Dingen zuzugehen scheine. Die Aufsicht bestätigte den Erhalt des Briefes zwar und bedankte sich förmlich. Doch das Angebot eines Gesprächs mit der Shortsellerin lehnte die Bafin mehrfach ausdrücklich ab. Auch bei den Wirtschaftsprüfern von EY und bei Banken stieß die Shortsellerin auf taube Ohren. Zu EY sagte Quadir: „Die haben immerhin einzelne meiner Anmerkungen in ihre Prüfberichte aufgenommen – natürlich ohne die Quelle zu nennen. Aber das zeigt, dass sie meine Vorwürfe schon ernst genommen haben.“

Der Grüne Abgeordnete Danyal Bayaz sagte dieser Zeitung: „Fahmi Quadir war der Bafin meilenweit voraus. Der Skandal ist, dass die Behörde sich geweigert hat, ihre Hinweise zu illegalen Geschäften Wirecards überhaupt einmal anzuhören, geschweige denn ihnen nachzugehen.“

Quadir zum gesamten Umfeld Wirecards in Deutschland: „Wirecard hatte sie alle in der Hand. Die Angst vor Wirecard war groß, das Unternehmen hatte leichtes Spiel.“ Fahmi Quadir geht davon aus, dass sich Jan Marsalek in Russland aufhält.

Aussage am Donnerstag in Berlin

Sie sagte, dass „russische Oligarchen Wirecard benützt haben, um die US-Sanktionen zu umgehen“. Die Täter hätten „transnational“ agiert. Inwieweit deutsche Politiker verwickelt sind, kann Quadir nicht sagen: „Aber ich kann Ihnen versichern, wir werden nicht ruhen, bis dieser Fall aufgeklärt ist.“ Dies sei auch deshalb nötig, weil die planmäßige Abwicklung von Wirecard darauf hindeute, dass die Geldwäsche nun anderswo erfolge – etwa bei einer der Partnerfirmen von Wirecard.

Florian Toncar von der FDP sagte dieser Zeitung: „Wenn Frau Quadir richtig liegt, wird der Fall Wirecard nicht nur die deutsche Justiz noch lange beschäftigen, sondern auch den Bundestag. Gut möglich, dass dafür nach der Wahl ein neuer Untersuchungsausschuss eingesetzt werden muss. In einem hat Frau Quadir nämlich vollkommen recht: Obwohl wir heute sehr detailliert sagen können, was bei Finanzaufsicht, Staatsanwälten und Wirtschaftsprüfern für Fehler gemacht wurden, fehlt bisher eine auch nur halbwegs befriedigende Antwort auf die Frage nach dem Warum. Insbesondere wenn man die reine Inkompetenz der Behörden für unwahrscheinlich hält bleibt doch nur politischer Schutz für oder Erpressung durch Wirecard.“

Bei ihrem Auftritt vor dem Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestages gewährte Fahmi Quadir dann tiefe Einblicke in den Skandal um die Bank.

Vor den Ausschuss sind im April dann die politischen Schwergewichte als Zeugen vorgeladen: Wirtschaftsminister Peter Altmaier, Finanzminister Olaf Scholz und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel müssen dann unter Wahrheitspflicht aussagen, was sie über die Wirecard-Affäre wissen.