„Besorgniserregend“ oder schlau? Österreich lässt wieder mehr russisches Gas fließen
Der österreichische Energieriese OMV hält an einem Gasfeld in Sibirien fest und wird wieder zu über 70 Prozent mit Gas aus dem Ukraine-Transit versorgt. Was ist das für eine Entwicklung?

Schon vor den Angriffen auf die Nord-Stream-Pipelines im September hat Deutschland fast kein russisches Pipeline-Gas mehr bekommen: weder über die Ostsee noch über die Ukraine, obwohl Russland ein paar Dutzend Millionen Kubikmeter Erdgas auf diesem Weg noch nach Europa lieferte.
Der russische Staatskonzern Gazprom hat seit dem Jahresbeginn die Lieferungen über die Ukraine jedoch wieder auf den im Jahr 2022 höchsten Stand erhöht: rund 42 Millionen Kubikmeter täglich. Für Deutschland ist das vollkommen irrelevant, wie die Importdaten der Bundesnetzagentur bestätigen. Für Österreich dagegen spielt der erhöhte Ukraine-Transit eine Schlüsselrolle bei der Energieversorgung des Landes.
Österreich wieder zu 70 Prozent von russischem Gas abhängig
Umso mehr: Das Land, das seine Gaslieferungen wegen des russischen Angriffes auf die Ukraine abzubauen versuchte, ist wieder in alte Muster zurückgefallen und hat seine Abhängigkeit wieder auf über 70 Prozent ausgebaut. Im Januar waren es sogar 81 Prozent, geht aus dem Energie-Dashboard des Klimaministeriums hervor. Im letzten Jahr hatte man in Wien noch damit gerechnet, dass diese Abhängigkeit zumindest auf 50 Prozent gesenkt wird.
Österreichs größter Gasimporteur, die OMV, lässt russisches Gas nicht nur weiter nach Österreich fließen, sondern beteiligt sich immer noch mit 24,9 Prozent an dem großen sibirischen Gasfeld Juschno-Russkoje. Die deutschen Energieunternehmen Uniper und Wintershall Dea, die zusammen mit der OMV früher auch den Bau der Nord Stream 2 finanzierten, haben sich dagegen schon längt aus Russland zurückgezogen.
Der Vorstandschef der OMV, Alfred Stern, erklärte darauf zwar kürzlich in einem FAZ-Interview, dass der Konzern sich alle Optionen anschaue bis zum Verkauf seiner Minderheitsbeteiligung. Doch so weit ist es noch nicht.
LNG kauft Österreich nur bedingt
Wie der OMV-Chef weiter berichtet, habe der Konzern es zwar schon geschafft, russisches Öl bereits Mitte 2022 durch andere Quellen zu ersetzen. Doch beim Gas sei es nicht so einfach. „Wir haben immer noch langfristige Gazprom-Lieferverträge“, so Alfred Stern. An der Eingangsstation Baumgarten an der österreichisch-ungarischen Grenze kämen derzeit 100 Prozent der von Gazprom vertraglich zugesicherten Mengen nach zuletzt 30 bis 70 Prozent.
Aktuell liegt der Gaspreis an der Börse mit 50 Euro pro Megawattstunde zwar sogar etwas niedriger als auf dem Vorkriegsniveau. Doch gerade im Sommer und Herbst konnte die OMV dank der russischen Gasmengen aus den Langfristverträgen schon eine Menge Geld einsparen und musste, anders als Deutschland, zu teuren LNG-Lieferungen nur bedingt greifen.

Österreichische Energieagentur kritisiert „russische Gasleine“
Die Österreichische Energieagentur hat in dieser Hinsicht zuletzt die Rolle der früheren Regierungen daran analysiert, dass Österreich sich bereits seit einigen Jahrzehnten an der „russischen Gasleine“ hält. Ein wesentlicher Faktor für die Abhängigkeit Österreichs von russischem Erdgas sei sicher gewesen, heißt es im Fazit, dass die politisch Verantwortlichen sich bereits ab den 1960er-Jahren von einer energiepolitisch aktiven Rolle verabschiedet und sämtliche Aufgaben rund um den Gasimport an privatwirtschaftliche Unternehmen wie die OMV abgegeben hätten.
Daran hat sich bisher nichts geändert, so die Kritik des Vereins der Wissenschaftler. Dass russische Gasimporte zuletzt wieder auf 70 Prozent gestiegen seien, sei „besorgniserregend“. Der Verein glaubt auch nicht, dass sich die Bundesregierung von ihrem Ziel, bis 2027 aus russischem Gas auszusteigen, wirklich verabschiedet habe. Bisherige Diversifizierungsversuche seien nur mit Norwegen erfolgreich gewesen.
Die Österreichische Energieagentur hält es darüber hinaus für ein Dogma, zu glauben, dass russisches Gas für die Verbraucher in Österreich billig sei. Verfügbare Daten und Studien ließen den Rückschluss zu, heißt es, dass Österreich – ähnlich wie Deutschland – tendenziell im europäischen Durchschnitt sogar mehr für Gas bezahlt habe als andere Länder. Dieser Schluss wirft wieder die Frage nach den Profiten der Energiekonzerne auf.
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