Witwe des an Blutkrebs gestorbenen Mannes erhält Hinterbliebenenrente: KKW Rheinsberg: Gericht erkennt Leukämie als Berufskrankheit an

Für Dieter Graupners Ärzte war der Fall gleich klar: Daß ihr Patient an Blutkrebs erkrankt ist, liegt an seiner langen Tätigkeit im Kernkraftwerk (KKW) Rheinsberg und der damit verbundenen Strahlenbelastung. Unter allen seinen Fingernägeln fanden sie laut Gutachten Spuren von Radioaktivität. Die zuständige Berufsgenossenschaft sah das anders und weigerte sich, dem Rheinsberger eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu zahlen. Ende 1996 starb Dieter Graupner. Er wurde nur 48 Jahre alt.Klage vor dem Tod eingereichtNoch vor seinem Tod hat der Vater zweier Söhne Klage eingereicht gegen die Berufsgenossenschaft. Seine Frau betrieb sie später weiter. Am Freitag entschied das Sozialgericht Neuruppin: Die Berufsgenossenschaft muß der 46jährigen Witwe eine Hinterbliebenenrente bezahlen. Die achte Kammer konnte für die Erkrankung des Mannes keine andere Ursache ausmachen, als dessen 16jährige Arbeit in den Kernkraftwerken Rheinsberg und Greifswald. Graupners Strahlenbelastung hätte erheblich über der der Allgemeinheit gelegen. Nach Einschätzung des Landessozialgerichtes München gäbe es keinen Schwellenwert, unter dem Radioaktivität ungefährlich sei, sagte die Vorsitzende Richterin Cathleen Förster in der Urteilsbegründung.Die Berufsgenossenschaft hatte argumentiert, daß die Strahlenbelastung des KKW-Mitarbeiters den gesetzlich festgelegten Grenzwert von 50 Millisievert pro Jahr nicht überstiegen hätte. Die Belastung Dieter Graupners, der von 1966 bis 1982 in Kernkraftwerken tätig war, habe bei insgesamt 130 Millisievert gelegen. Die maximale Lebenszeitdosis habe der Gesetzgeber auf 400 Millisievert festgelegt. Erst bei einer Strahlenbelastung über diesem Wert liege das Risiko einer Krebserkrankung über dem Durchschnitt, sagte Günter Seitz, der Leiter des Strahlenschutzreferats in der Kölner Zentrale der Berufsgenossenschaft. Unter den 350 000 Menschen, die an sogenannten strahlenexponierten Stellen arbeiten würden, seien nur acht Leukämiefälle, als deren Ursache die berufsbedingte Strahlenbelastung anerkannt worden sei. Bei dieser Statistik seien allerdings die Beschäftigten der "Wismut" ausgeschlossen. Man wolle jetzt die schriftliche Urteilsbegründung abwarten und dann prüfen, ob man Berufung einlege, sagte Bernd Lossin, der Geschäftsführer der Berliner Zweigstelle der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik.Der Entscheidung wird bundesweite Bedeutung mit Auswirkung auf ähnliche Fälle beigemessen, zumal das Gericht anerkannte, daß auch eine geringfügige Strahlendosis Krebs auslösen könne. Nach Recherchen des Sozialgerichts gibt es bislang in Deutschland kein vergleichbares Urteil, in dem die Krebskrankheit eines Arbeiters eines Atomkraftwerkes als Berufskrankheit anerkannt wurde, obwohl die Strahlenbelastung des Betroffenen unterhalb der erlaubten Grenzwerte lag. "Deshalb hat diese Entscheidung ganz besondere Bedeutung", sagte Matthias Seipel, der Rechtsanwalt der Witwe.Urteil gefaßt aufgenommen"Die Einheimischen hatten alle Angst vor dem Kernkraftwerk. Sie sind froh, daß die Gefährdung jetzt öffentlich wird. Nur die Beschäftigten sagen, daß die Klage Quatsch ist", sagt Margit Graupner, die selbst auch 16 Jahre im Kernkraftwerk Rheinsberg gearbeitet hat. Dort hatte sie auch ihren Mann kennengelernt. "Wir haben uns erst jeden Morgen die Hand gegeben bis wir uns eines Tages einig waren: Die Hand läßt du nicht mehr los." Am 19. Dezember 1996 mußte Margit Graupner die Hand ihres Mannes doch loslassen. Das Urteil nahm die 46jährige Rheinsbergerin gefaßt auf. "Wir müssen abwarten, ob es zu einer Berufung kommt. Aber ich bin froh, daß es jetzt erst einmal vorbei ist."