100 Milliarden Euro für die Rüstung: Das sind die Großprojekte der Bundeswehr

Der neue Geldsegen trifft die Bundeswehr unvorbereitet. Rüstungshersteller können mit großen Aufträgen rechnen, doch wohin genau fließt das Geld? Eine Analyse.

38 neue Eurofighter sollen nach 16 Jahren die alten Modelle der Luftwaffe ersetzen. Mit 100 Milliarden im Rücken: Kein Problem.
38 neue Eurofighter sollen nach 16 Jahren die alten Modelle der Luftwaffe ersetzen. Mit 100 Milliarden im Rücken: Kein Problem.dpa

Berlin-Plötzlich ist das Geld da. Für die Bundeswehr soll ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro gebildet werden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will diesen Betrag sogar noch im Haushalt 2022 bereitstellen. Die Bundeswehr brauche „neue, starke Fähigkeiten“, sagte Scholz in seiner denkwürdigen Rede zum Krieg in der Ukraine vor dem deutschen Bundestag.

Dieses Sondervermögen der Bundeswehr weckt natürlich Begehrlichkeiten bei den deutschen Rüstungskonzernen und beflügelt zudem die Fantasie der Investoren. Die Aktienkurse des krisengeplagten Rüstungsherstellers Rheinmetall stiegen in den vergangenen vier Wochen jedenfalls schon mal um mehr als 50 Prozent. Der Aktienkurs des auf Sensortechnik spezialisierten Rüstungsherstellers Hensoldt aus dem bayerischen Traufkirchen legte sogar um knapp 90 Prozent zu. Ob die Unternehmensgewinne tatsächlich mit dem Kursanstieg schritthalten können, wird sich erst in den kommenden Jahren zeigen, denn von Vertragsschluss bis zur Auslieferung von Rüstungsgütern ist es oft ein langer Weg.

Tatsächlich bedeutet das neue Sondervermögen des Bundes jedoch, dass deutlich mehr Geld in Rüstungsprojekte fließen wird, als es noch vor wenigen Wochen absehbar war. Denn zusätzlich zum Sondervermögen soll auch der reguläre Wehretat Deutschlands von den derzeitigen 1,5 Prozent auf zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes anwachsen. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat bereits sein Einverständnis gegeben. Auch vom Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) wird kein Widerstand gegen die ambitionierten Rüstungspläne des Kanzlers erwartet. Konkret heißt das: Der Wehretat wächst in den kommenden vier Jahren von knapp 53 Milliarden auf mehr als 70 Milliarden Euro an und würde fortan an die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung gekoppelt sein.

Scholz will also eine „leistungsfähige, hochmoderne und fortschrittliche Bundeswehr“. Doch wohin soll das Geld konkret fließen? Eines der wichtigsten und ambitioniertesten Rüstungsprojekte derzeit ist das gemeinsam mit Frankreich und Spanien angestoßene Mammutprojekt FCAS. FCAS steht für Future Combat Air System und gilt rüstungspolitisch als eine Art eierlegende Wollmilchsau. Im Rahmen von FCAS soll nicht nur unter französischer Leitung ein neues tarnkappenfähiges Kampfflugzeug gebaut werden, sondern gleich ein ganzes Ökosystem um das Flugzeug herum entstehen. Die Entwicklung von Drohnen- und Satellitentechnologie und einer Combat Cloud, die die verschiedenen Truppenteile miteinander digital vernetzt, ist deshalb integraler Bestandteil des Großprojekts.

Deutschland und Frankreich entwickeln gemeinsam Waffen

Die Gesamtkosten des Projekts werden auf über 100 Milliarden Euro geschätzt. Alleine die Entwicklung des Prototyps soll neun Milliarden Euro kosten, der deutsche Anteil daran wird vom Bundesrechnungshof mit rund 4,5 Milliarden Euro beziffert. Trotz der Vorbehalte des Beschaffungsamtes der Bundeswehr, das dem FCAS-Projekt aufgrund von „technischen und wirtschaftlichen Gründen“ skeptisch gegenübersteht, wird an dem Projekt auch aus Rücksichtnahme auf Frankreich vom Bund festgehalten.

Eng mit dem FCAS-Projekt verbunden ist zudem das Main Ground Combat System (MGCS), ein neuer europäischer Kampfpanzer, der den deutschen Leopard II und den französischen Leclerc Panzer ersetzen soll. Erste Verträge zu Studienzwecken wurden bereits im Mai 2020 unterschrieben, mit einer Auslieferung der ersten Fahrzeuge wird nicht vor 2035 gerechnet. Ähnlich wie beim FCAS-Projekt soll die Vernetzung des neuen Panzers mit anderen Waffengattungen und Drohnen eine herausragende Rolle spielen. Wie hoch die Projektkosten am Ende liegen werden, ist derzeit noch nicht absehbar. Branchenexperten rechnen mit puren  Entwicklungskosten von 1,5 Milliarden Euro.

Schützenpanzer vom Typ Puma auf dem Truppenübungsplatz in Munster.
Schützenpanzer vom Typ Puma auf dem Truppenübungsplatz in Munster.Imago

An diesem Projekt sind von deutscher Seite bisher die Rüstungshersteller Krauss-Maffei-Wegmann und Rheinmetall beteiligt. Für Frankreich nimmt Nexter Systems am Projekt teil. Die Bundeswehr könnte zudem auch weitere Schützenpanzer vom Typ Puma erwerben, für die Beschaffung von 229 neuen Panzern werden bisher 3,67 Milliarden Euro veranschlagt. Die Beschaffung des Pumas ist aus Sicht von Bundeswehrkennern dringend notwendig, auch um den Schützenpanzer Marder zu ersetzen, der bereits seit Anfang der 70er-Jahre bei der Bundeswehr im Einsatz ist.

Neue Eurofighter, Transporthubschrauber und Drohnen

Aber auch weniger ambitionierte Rüstungsprojekte sollen in den kommenden Jahren verfolgt werden. Schon lange plant die Bundeswehr, die in die Jahre gekommenen CH-53G-Transporthubschrauber zu ersetzen. Die Beschaffung von 50 bis 60 neuen schweren Transporthubschraubern soll den bisher geplanten Kostenrahmen von 5,6 Milliarden Euro überschreiten. Derzeit werden von den Planern des Beschaffungsamtes die US-Modelle CH-53K und CH-47F Chinook ins Auge gefasst. Das Bundesverteidigungsministerium hatte jedoch gerade erst im Sommer 2020 das Vergabeverfahren für die Hubschrauber aus Wirtschaftlichkeitserwägungen vorübergehend gestoppt – die Helikopter waren einfach zu teuer. Durch den neuen Geldsegen dürfte sich das Vergabeverfahren nun rapide beschleunigen.

Christine Lambrecht (SPD) ist als Verteidigungsministerin für das größte Aufrüstungsprogramm in der Geschichte der Bundeswehr verantwortlich.
Christine Lambrecht (SPD) ist als Verteidigungsministerin für das größte Aufrüstungsprogramm in der Geschichte der Bundeswehr verantwortlich.dpa

Die Luftwaffe soll zudem 38 neue Eurofighter zum Stückpreis von 142 Millionen Euro erhalten, so dass alleine dieses Rüstungsprojekt 5,4 Milliarden Euro kosten wird. Der Hersteller Airbus erwartet, dass die neuen Eurofighter der vierten Tranche bis ins Jahr 2060 betrieben werden können. Die neuen Eurofighter sollen nach kaum 16 Jahren die bauähnlichen Flugzeuge der ersten Generation ersetzen. Die Weiterentwicklung des Eurofighters selbst wird aufgrund der langen Betriebsdauer der Maschinen auch langfristig Mittel des Bundeshaushalts binden.

F-35 sollen Atombomben tragen und den Tornado ersetzen

Ob die Eurofighter zudem in die Lage versetzt werden sollen, im Einsatz die feindliche Luftverteidigung zu unterdrücken, wird im Verteidigungsministerium ebenfalls diskutiert. Die Entwicklungskosten für dieses Projekt sind noch nicht klar, hiervon dürfte aber insbesondere der auf Sensorik und Radartechnik spezialisierte Rüstungshersteller Hensoldt profitieren. Zusätzlich sollen die Tornado-Jets der Luftwaffe durch neue Flugzeuge ersetzt werden, um die nukleare Teilhabe im Rahmen der Nato weiterhin zu ermöglichen. Als mögliche Nachfolger werden derzeit die F/A-18 und die F-35 benannt, auch wenn sich in letzter Zeit die Anzeichen verdichten, dass es auf die modernere, tarnkappenfähige F-35 hinausläuft. Scholz hat in seiner Rede vor dem deutschen Bundestag die F-35 zudem als möglichen neuen Waffenträger für diese Aufgabe erwähnt.

Künftig soll die Bundeswehr auch über bewaffnete Drohnen verfügen. Bei der Drohne auf dem Bild handelt es sich um die unbewaffnete Aufklärungsdrohne Heron 1.
Künftig soll die Bundeswehr auch über bewaffnete Drohnen verfügen. Bei der Drohne auf dem Bild handelt es sich um die unbewaffnete Aufklärungsdrohne Heron 1.dpa

Scholz plant zudem, neue Aufklärungsdrohnen vom Typ Heron des Herstellers Israel Aerospace Industries (IAI) zu beschaffen. Sie sind die am meisten eingesetzten Drohnen der deutschen Bundeswehr. Auch die Beschaffung von bewaffneten Drohnen wird derzeit wieder verstärkt diskutiert. Für die Entwicklung einer neuen europäischen Drohne wurden Haushaltmittel von 660 Millionen Euro bereitgestellt.

Verteidigungsministerin Lamprecht: Beschaffung soll einfacher werden

Doch nicht nur neues Großgerät soll beschafft werden. Eine wiederkehrende Klage aus der Bundeswehr sind vor allem die Mängel bei der Ausrüstung der Mannschaften. Als Hemmschuh für eine schnelle Beschaffung von Material und Munition gilt bisher das behäbige Vergaberecht, das selbst die Beschaffung von notwendigsten Ausrüstungsgegenständen immer wieder in die Länge zieht. Auch hier kündigte die Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) Verbesserung an. Sie will die Richtschnur für Unterschwellenvergabe von 1000 auf 5000 Euro anheben, so dass Ausrüstungsgegenstände bis zu 5000 Euro ohne komplizierten Vergabeprozess beschafft werden können. „Auch bei großen Projekten ist mir wichtig, dass wir schneller werden. Das europäische Vergaberecht hat dazu geführt, dass wir oftmals einen sehr, sehr langen Prozess hatten und es nicht so schnell gehen konnte, wie es eigentlich muss“, sagte Lambrecht am vergangenen Montag im Rahmen einer Pressekonferenz.

In Zukunft soll die Bundeswehr bei ihrer Beschaffung die für die nationalen Streitkräfte möglichen Ausnahmen im Europarecht stärker nutzen, um langwierige Vergabeverfahren zu vermeiden. Lambrecht verwies in ihrer Presseansprache auf Art. 346 des Vertrages über Arbeitsweisen der Europäischen Union. Dort heißt es: „Jeder Mitgliedstaat kann die Maßnahmen ergreifen, die seines Erachtens für die Wahrung seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich sind, soweit sie die Erzeugung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial oder den Handel damit betreffen.“

Ob diese Reformschritte ausreichen werden, um den Ausrüstungsstand der Bundeswehr zu verbessern, bleibt allerdings abzuwarten. Im Interview mit dem Bayrischen Rundfunk nannte der Journalist Constantin Wißmann andere Gründe für die Mängel bei der Bundeswehr. „Bei der Bundeswehr ist eigentlich nicht das Geld das Problem gewesen. Es sind die Strukturen“, so Wißmann.


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