„Don’t Look Up“ bei Netflix: Wir werden alle sterben!
Hochkarätiger war noch keine Netflix-Produktion besetzt, doch auch Leonardo DiCaprio, Jennifer Lawrence und Cate Blanchett können nicht jedes Übel abwenden.

Wie schnell Abstraktes konkret und eine Katastrophe zum Alltag werden kann, haben die vergangenen zwei Jahre gezeigt. Die Frage, wie eine globale Pandemie die Welt verändert könnte, war plötzlich nicht länger Aufhänger für Katastrophenfilme und Gedankenexperimente bei WG-Küchenpartys, sondern Realität und fühlte sich nach einer Phase des Unglaubens auch schnell so an. Das große Umdenken, das sich unter anderem die Feuilletons anfangs noch herbeiträumten, blieb aus. Hätte die Katastrophe dafür noch dramatischer ausfallen müssen? Etwa mit einem aggressiveren Virus, vielleicht einem, das nur junge Menschen tötet? Oder berechenbarer, zum Beispiel mit konkretem Datum für das kollektive Ende?
Ein Komet wird die Erde zerstören? Bitte erst nach der Wahl
Ein solches gibt es in der Netflix-Produktion „Don’t Look Up“, mit der die Plattform ihre Abonnenten an Heiligabend beschenkt. Hochkarätiger nicht zu besetzen, finden doch hier Jennifer Lawrence als Astronomiestudentin und Leonardo DiCaprio als ihr Professor heraus, dass ein Komet auf die Erde zurast und dort in ziemlich genau sechs Monaten alles Leben auslöschen wird. Als die Wissenschaftler die Hiobsbotschaft im Weißen Haus verkünden, ist der erste Instinkt von Meryl Streep als US-Präsidentin, den Ball flachzuhalten, jedenfalls bis nach den Wahlen. Jonah Hill stimmt ihr da als ihr Sohn und Personalchef voll zu. In ihrer Verzweiflung versuchen die an sich öffentlichkeitsscheuen Astronomen daraufhin, die Welt in einer beliebten Talkshow über die Katastrophe zu informieren, viel mehr als ein paar virale Memes kommen dabei allerdings nicht heraus. Kein Wunder, hat sich doch gerade vor ihnen das Promi-Paar Riley Bina (Ariana Grande) und DJ Chello (Kid Cudi) nicht nur versöhnt, sondern auch verlobt und damit die Aufnahmefähigkeit der amerikanischen Bevölkerung für Eilnachrichten ausgereizt.
Glücklicherweise wendet sich bald das politische Blatt: Sex-Skandale wollen abgewendet und Handlungsstärke muss demonstriert werden. Amerika soll nun doch den Kometen im All hochjagen, bevor er einschlägt, doch in letzter Sekunde betritt ein Player die Bühne, der die Karten noch mal neu mischt: Peter Isherwell (ein grandioser Mark Rylance), Tech-Unternehmer und drittreichster Mann der Welt, lässt die Raketen wieder abdrehen, denn er hat einen besseren Plan, als den sogenannten „Planetenkiller“ nur zu zerstören: Er will damit noch reicher werden! Und so vielleicht auch den globalen Hunger eliminieren, kann man ja anschließend mal schauen. Ihre Verbündeten rund um den Globus sind die USA damit wieder los und die Chance auf Weltenrettung sinkt, aber sollte es bald noch eine Erde geben, dann immerhin eine mit besserer Technik und vielen Diamanten.
Zu dumm, um böse zu sein?
Der Regisseur Adam McKay kann viel – klugen Klamauk („Anchorman“), zackige Satire („The Big Short)“ und komplexe Gesellschaftsstudien („Vice“) – doch leider findet er für „Don’t Look Up“ in diesem Repertoire kein Rezept für eine Balance, die über die fast zweieinhalbstündige Handlung trägt. Zu schwer wiegt der Zynismus und zu tief hängen letztlich die humoristischen Früchte, die in Form von Digitalwirtschaft, Online-Journalismus, Jugendkultur und konservativer Politik für gänzlich verfault erklärt werden.
Freilich ist auch Wahres daran und man kommt ums Schmunzeln nicht herum, wenn es etwa Cate Blanchett als meisterhafter TV-Moderatorin gelingt, jeder noch so schlimmen Meldung einen positiven Spin zu geben. Oder sie aus Prinzip von ihren Lieblingsrestaurants erzählt, wenn ein Liebhaber sie nach ihrem Leben fragt. Am Ende hat man nichts gelernt oder verstanden, ist aber vielleicht immerhin etwas mehr mit seinen Mitmenschen und den eigenen Schwächen versöhnt, besonders in Ausnahmesituationen, wie zum Beispiel der besagten Pandemie. Ganz nach dem Motto von Lawrences Figur: „Die Leute sind gar nicht klug genug, um so böse zu sein, für wie ihr sie haltet.“
Wertung: 2 von 5 Punkten
Don't Look Up, Spielfilm, 138 min., R: Adam McKay, 2021, Netflix
Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Sonnabend am Kiosk oder hier im Abo.