Jigi Poké in Berlin-Mitte: Liebesgrüße aus Hawaii
Poké Bowls sind das Superfood der Metropolen. Einen schön frischen Ansatz verfolgt nun Jigi Poké in Mitte: puristische Einrichtung, knalliges Schüsselfood.

Berlin-Der Ort, an dem Natur zur Kultur wird, ist ganz klar die Küche. Was und wie wir essen, unterliegt daher auch Moden: In den 50er-Jahren waren es der Käse-Igel, Buttercreme und Mayo-Fliegenpilz, mit denen die patente Hausfrau in Zeiten des Wirtschaftswunders ihre Partygäste begeisterte. In den 90er-Jahren waren es die Hinterhof-Pop-Ups, später das Ethno-Essen aus dem Food-Truck. Und heute lieben wir – nun ja, was eigentlich? Von allem ein bisschen: von Hand gezogene chinesische Nudeln, Ramen und Regionales gleichermaßen. Vegane Burger-Patties ebenso wie das Dry-Aged-Beef aus der gekühlten Reifekammer.
Manches davon entpuppt sich im Rückblick als kurzfristiger Trend, der zwar nicht ganz vergeht, aber dessen Hype verfliegt. Ich erinnere mich an sterile Detox-Saftbars, die vor ein paar Jahren überall aus dem Boden schossen. Und an zu krass gezuckerten Bubble Tea, der momentan etwas weniger süß sein Comeback erlebt. Und daran, dass mitten in Berlin plötzlich Poké-Bowl-Restaurants eröffneten, die aussahen, als würden gleich Surfer samt Sand an den Füßen durch die Tür schlendern. Im Fenster eine Schaukel aus Schwemmholz, an den Wänden alte Surfbretter. Vor ein paar Jahren kamen sie plötzlich in Mode. Ich bin mir ehrlich gesagt immer noch nicht sicher, ob die Poké Bowl nur ein kurzlebiger Trend ist. Oder ob die Bowls – ähnlich wie der Toast Hawaii – ihren festen Platz im kulinarischen Gefüge erobern, um dann in späteren Jahrzehnten belächelt zu werden.

Da Poké Bowls aber als ziemlich gesund gelten, und das Schüsselessen ein riesiger Trend ist, werden sie wohl erstmal ein Weilchen bleiben. Dafür spricht auch ihre Verwandtschaft zu Sushi, das gar nicht mehr wegzudenken ist von den Speisekarten der Metropolen.
Interessanterweise kam Sushi nicht auf direktem Weg aus Japan zu uns, sondern über die Ost- und Westküste der Vereinigten Staaten, meist über Kalifornien. Dort galt es längst als schick und exklusiv, und wurde dann zu uns exportiert. Daher die „California Roll“, die man in Japan so wohl nicht findet.
Ganz ähnlich auch die Poké Bowl. Ursprünglich stammt Poké aus Hawaii, gesprochen „Poh-Kee“, hawaiianisch für „diagonal geschnittene Stücke in einer Schüssel“. Auf die Südseeinsel brachten sie japanische Einwanderer mit, die seit Ende des 19. Jahrhunderts auf den hawaiianischen Ananas- und Zuckerrohr-Plantagen schufteten. Der Hauptbestandteil der Poké Bowl ist roher Fisch, meist Thunfisch, der traditionell mit Algen, Sesamöl, gehackten Nüssen und Salz vermischt wird. Spätestes um die 70er-Jahre herum wurde die Poké Bowl zum hawaiianischen Nationalgericht, Anfang des neuen Jahrtausends dann das Lieblingsessen amerikanischer Surfer und Hipster, bevor die Welle dann nach Europa und zu uns schwappte.
Im Jigi Poké wird das Surfer-Narrativ endlich nicht weiter strapaziert
Als ich gerade dachte, die große Euphorie sei vielleicht schon vorüber, weil der hohe Fischkonsum dem anderen großen Trend unserer Zeit, dem der Nachhaltigkeit, widerspricht, entdeckte ich eine Neueröffnung: Das Jigi Poké in Mitte, das sich um ein frisches Image bemüht.
Im Jigi Poké wird das Surfer-Narrativ und die zugehörige Optik endlich nicht weiter strapaziert, keine Palmentapeten, Kokosleuchten und Surfboards zieren den Raum. Stattdessen: rauer Beton und Steine als Hocker, die sich um zwei riesige Tische gruppieren. Gefühlt sitzt man hier wie in einer Felsenhöhle der Steinzeit, allerdings ultraclean. Der so ungewöhnliche Laden war sogar dem Architekturmagazin AD einen Artikel wert. Dort erklären die Berliner Designer von Vaust Studio, die Fotografie eines hawaiianischen Fischers um 1900 habe sie zu der Einrichtung inspiriert. Das Schwarz-Weiß-Foto hängt im Laden; der halbnackte Fischer sitzt auf einem Stein – das Interieur will an diese Einfachheit anknüpfen. Von diesem Minimalismus heben sich die bunten Bowls wunderbar ab.
Beim Bestellen setzt das Jigi Poké leider wie die Konkurrenten aufs Self-Service-Prinzip: keine Tischbedienung, dafür ein Tresen und eine Organigramm-ähnliche Karte, die einen durch die verschiedensten Variationen für Base, Topping und Dressing führt. Wer nicht selbst zusammenstellen will, kann sich wie ich für eine der acht Kreationen des Hauses entscheiden – darunter auch fleischlose; sie heißen Tofu, No Chicken und No Beef.

Einer der Mitgründer, der gelernte Koch Holger Helmut, steht selbst am Tresen. Er empfiehlt, unbedingt die Tuna Bowl zu nehmen, da er heute eine besonders gute Qualität im Angebot habe. Auch, erklärt er, beziehe man den Fisch hauptsächlich vom Händler Deutsche See und die meisten Zutaten aus dem Umland, um nachhaltig zu sein.
Meiner Bowl merkt man an, dass hier nicht nur ein paar ungelernte Kräfte lange vorher geschnippelte Zutaten zusammenschmeißen. Sie schmeckt, als haben sich hier tatsächlich mal echte Köche Gedanken über ihre Zusammenstellung gemacht.
So ist beispielsweise der Thunfisch nicht mariniert, sondern er wird am Ende in Sashimi-dicken Scheiben frisch in die Bowl geschnitten. Besonders auch die Dressings: Als unerwarteter Favorit entpuppt sich ausgerechnet Hot Banana, obwohl ich Bananen nicht mag. Das Dressing ist jedoch aus Kochbananen mit verschiedenen Chilisorten und frisch gepressten Säften hergestellt. Es hat eine cremig-mayonnaiseartige Textur; die Banane entzieht der Chilischote etwas Schärfe, und statt klebrig-süß zu sein, überzeugt eine leichte Fruchtnote.
Die Soße schmiegt sich an sämtliche Zutaten, ohne sie zu überdecken: Edamame, Frühlingszwiebeln, salzig eingelegter japanischer Rettich, Gurke und Papaya – nichts davon klebt zusammen. Das habe ich auch schon anders erlebt. Perfekt auch das Topping aus knusprig-bröseligen Röstzwiebeln, sowie Limette, Koriander und Sushi-Ingwer als Standard. Lediglich beim Reis fällt das Jigi gegenüber anderen Poké-Läden ab, denn die verwendete Sorte ist kleiner und schmaler als der übliche runde und nussige Sushi-Reis.
Ob der Poké-Trend bleibt oder geht – er ist definitiv etwas für den hoffentlich bald beginnenden Frühling und Sommer. Ein bisschen Kalifornien würde uns allen guttun.
Jigi Poké, Rosenthaler Str. 69, 10119 Berlin, montags bis samstags, 11.30-21.30 Uhr.
Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Sonnabend am Kiosk oder hier im Abo.