Meine Freundin will mehr Zeit mit mir verbringen als ich mit ihr. Was tun?

Sie fragen, unser Mann für die Liebe antwortet. Diesmal: Tom fragt sich, ob sich das Ungleichgewicht von Nähe und Distanz in seiner Beziehung überwinden lässt.

Der Paartherapeut Fabian Lenné
Der Paartherapeut Fabian LennéBerliner Verlag

Tom, 29: Meine Freundin möchte sehr viel Zeit mit mir verbringen. Mir wiederum ist das zu viel. Hat unsere Beziehung eine Zukunft? Kann man Nähe und Distanz verhandeln, obwohl man ganz anders ist? Was machen Sie für Erfahrungen in der Therapie?

Lieber Tom, ich denke, es gibt einen grünen Bereich, in dem ein gesundes Aushandeln von Nähe und Distanz, von Zeit mit und ohne den Partner möglich sein kann. Jeder Mensch ist da ein bisschen anders. Wie sich das individuell ausformt, hängt von unserem Charakter, von unseren Erfahrungen und von der jeweiligen Tagesform ab. Auch unsere aktuelle Lebensphase spielt eine Rolle – und der jeweilige Verliebtheitsgrad.

Wenn wir eher jung und frisch verliebt sind, können wir meist nicht voneinander lassen. Auch wenn wir uns gerade zusammengetan haben, um eine Familie zu gründen, werden wir eher mehr umeinander kreisen. Solange die Möglichkeiten und Bedürfnisse einigermaßen zusammenpassen – die Grenzen des grünen Bereichs überwiegend gewahrt bleiben –, braucht es keine Hilfe und keine Reflexion. Das heißt aber nicht, dass alles gut ist, nur weil es keine Reibung an dieser Stelle gibt. Es kann auch ein Hinweis darauf sein, dass man sich oder den anderen nicht ernst genug nimmt.

Wenn Paare diese Fragen nicht aushandeln oder sich nicht gemeinsam in eine für beide gangbare Richtung entwickeln, können die folgenden Fragen weiterhelfen: „Hatte einer von beiden dieses Problem schon öfters in seinen vorangegangenen Beziehungen?“ und „Lieben sich die beiden etwa gleich stark?“. Im ersten Fall könnte der, der nicht genug bekommt, etwas zu selbstunsicher sein. Er würde den anderen dann mehr als normal als Stütze brauchen. Derjenige, dem die Beziehung einengend und zu nah ist, könnte eine leichte Bindungsstörung haben. Es würde ihm dann schwerfallen, seinen Partner wirklich nah an sich heranzulassen und seine innersten Bedürfnisse und Gefühle zu teilen.

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Oft passen diese Partner leider unangenehm zusammen. Der eine braucht mehr, als eine Liebesbeziehung hergeben kann, und der andere traut sich nicht richtig rein in die Liebe. Das übertriebene Ziehen des einen bestätigt dem anderen, dass es richtig ist, sich nicht weiter zu öffnen. Die große Verschlossenheit des einen lässt den anderen ein klein wenig am ausgestreckten Arm verhungern und verstärkt so seine Angst, nicht genug zu bekommen.

Es hilft, gemeinsam über diese eventuell vorhandenen hintergründigen Ängste zu sprechen und einen Umgang damit zu suchen. Das ist nicht leicht, führt aber zu mehr Klarheit, ob und wie diese Liebe weitergehen kann.

Haben Sie auch eine Frage an den Paartherapeuten? Schreiben Sie uns! liebe@berliner-zeitung.de

Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Sonnabend am Kiosk oder hier im Abo.