„Tatort“ aus Münster: Tief wie eine Untertasse
Mal wieder greift ein Drehbuchautor zum Evergreen Amnesie: Durch Schüsse aus Thiels Dienstwaffe kam ein Mann zu Tode, der Kommissar erinnert sich an nichts.

Kommissare mit Amnesie – diese Kombination ist bei Drehbuchautoren sehr beliebt. Selbst im Münsteraner „Tatort“ ist die Blackout-Nummer schon mal durchgespielt worden. So wachte 2013 Professor Boerne in seiner Rechtsmedizin neben einer toten chinesischen Prinzessin auf, konnte sich nach seinem Koksrausch aber an nichts erinnern und kam unter Mordverdacht in Untersuchungshaft. Diesmal trifft es Kriminalhauptkommissar Thiel (Axel Prahl). Im volltrunkenen, verzweifelten Zustand hat er Boerne in ein Hotel gerufen, am Morgen danach fahren sie an einem Waldstück vorbei, in dem eine Leiche gefunden wurde.
Der Tote ist ein Hamburger Ex-Kollege von Thiel, den er seinerzeit ins Gefängnis gebracht hatte. Unweit im Wald steht das Taxi von Thiels Vater, mit dem der Kommissar am Vortag unterwegs war. Die Schüsse stammen aus seiner Dienstpistole, die verschwunden ist. Nun kommt also auch Thiel in Untersuchungshaft.
Die Tätersuche ist schnell eingeschränkt
Doch dieser Kommissar ist kein ambivalenter Charakter, der im Alleingang um seine Ehre kämpft, wie etwa der Rostocker Polizeiruf-Kollege Bukow vor einer Woche. Weder die treuen Zuschauer noch die Münsteraner Mitstreiter trauen dem kumpeligen Typen solch eine Tat zu. „Herr Thiel ist zwar ein stilles Wasser, aber doch nicht tiefer als eine Untertasse. Das macht diesen grundguten Kerl ja gerade zu einem so drolligen Zeitgenossen“, erklärt Jan Josef Liefers im ARD-Interview, das er gewohnt arrogant aus der Perspektive von Boerne gibt. Da Thiel nicht der Mörder sein kann, ist die Tätersuche ziemlich schnell eingeschränkt.
Der Münsteraner „Tatort“ begibt sich diesmal nicht, wie sonst so oft, in ein fremdes, betont dekadentes oder skurriles Milieu, sondern kreist um das eingespielte Team, das hier verschworen zusammenhält. Axel Prahl legt viel Kraft in die Verzweiflung seiner Figur, während Jan Josef Liefers als Boerne mit seinen üblichen Frozzeleien den Krimi auflockert. Regisseurin Francis Meletzky und ihre Kamerafrau Bella Halben haben für Thiels Halluzinationen oder Erinnerungsfetzen immerhin eine eigene Sprache entwickelt. Ihre Bilder ähneln einem Verfahren, das man früher in der Foto-Dunkelkammer „Pseudosolarisation“ nannte. Die Aufnahmen wirken wie expressive, kontrastreiche Negative. Das ist filmtechnisch interessant, ansonsten ist dieser „Tatort“ aber weder besonders spannend noch übermäßig komisch.
Wertung: 2 von 5 Punkten
Tatort: Des Teufels langer Atem, So, 16.1., 20.15, ARD
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