Neue Tarnkappen-Jets für die Bundeswehr? Ende März soll die Entscheidung fallen
Die Beschaffung der F/A-18 als Tornado-Nachfolger galt als sichere Sache, doch nun wird der Kauf von Tarnkappenjets für die Luftwaffe immer wahrscheinlicher.

Berlin-Für Bundeskanzler Scholz ist der russische Angriff auf die Ukraine eine „Zeitenwende für Europa“. In seiner vielbeachten Rede vor dem deutschen Bundestag am vergangenen Sonntag kündigte Scholz deshalb an, den Wehretat auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen und zusätzlich einen Sonderfonds in Höhe von 100 Milliarden Euro für Rüstungsprojekte aufzulegen. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, wurde über den konkreten Umfang des Investitionsprogramms vorher nur Finanzminister Christian Lindner (FDP) informiert.
Wofür die massiv aufgestockten Mittel konkret ausgegeben werden sollen, deutete Scholz eher beiläufig an. Zusammen mit europäischen Partnern, und hier insbesondere Frankreich, sollen neue Kampfflugzeuge, Kampfpanzer und Drohnen entwickelt und gekauft werden. Auch die Frage der Nachfolge des in die Jahre gekommenen Tornado-Jets steht plötzlich zur Debatte. „Das Kampfflugzeug F-35 kommt als Trägerflugzeug in Betracht“, sagte Scholz am Sonntag. Das dürfte insbesondere dem amerikanischen Flugzeughersteller Boeing übel aufstoßen, denn eigentlich waren sich die Manager aus Chicago bereits sicher, dass sich die Luftwaffe für die F/A-18 und damit ein Flugzeugmodel aus dem Boeing-Konzern entscheiden würde, um den Tornado zu ersetzen.
Die Verträge für die Lieferung für die F/A-18 lagen bereits unterschriftsreif bereit, doch nun kommt auch durch den Krieg in der Ukraine Bewegung in die Sache. Bereits im Januar und damit unmittelbar nach ihrem Antritt im Dezember deutete Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) an, die Frage der Tornado-Nachfolge ergebnisoffen prüfen zu wollen. Auf einmal schien sogar die Beschaffung des Tarnkappenjets F-35 Lightning II des US-Konzerns Lockheed Martin möglich, obwohl sich Lambrechts Amtsvorgängerinnen Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-Karrenbauer (beide CDU) zuvor für die Beschaffung der F/A-18 stark gemacht hatten.
Lockheed Martin oder Boeing?
Der Tornado spielt für die deutschen Beziehungen zur NATO eine entscheidende Rolle, denn das Flugzeug ist in der Lage, amerikanische Atombomben abzuwerfen. Im Ernstfall soll das Luftgeschwader 33 im rheinland-pfälzischen Büchel mit Autorisierung des amerikanischen Präsidenten taktische Nuklearwaffen des Typs B61 aufnehmen, abheben und die Bomben im Zielgebiet abwerfen. Die B61 ist flexibel einsetzbar, denn die Wirkung der Waffe kann unmittelbar vor dem Einsatz feinjustiert werden.

Von 0,3 bis zu 340 Kilotonnen Sprengkraft sind dabei möglich. Die über Hiroshima abgeworfene Atombombe hatte eine Sprengkraft von bis zu 18 Kilotonnen. Rund 20 dieser Atombomben werden dauerhaft in Deutschland gelagert. Friedensforscher kritisieren genau diese Flexibilität. Denn die Verlockung eine Atomwaffe einzusetzen, die genau auf die aktuellen Bedürfnisse im Gefecht zugeschnitten werden kann, sei deutlich höher, lautet die Befürchtung.
Die Tornado-Jets sind ein Relikt des Kalten Kriegs
Im kalten Krieg sollten die Tornados im Tiefflug die sowjetische Luftverteidigung überwinden und die Panzermassen des Warschauer Pakts stoppen, bevor es zu spät war. Planer der Bundeswehr hielten eine effektive konventionelle Verteidigung der Bundesrepublik für maximal 48 Stunden für möglich, danach schien eine nukleare Eskalation des Konflikts mit den Streitkräften des Warschauer Pakts unausweichlich.
Von den düsteren Planspielen des Kalten Krieges wähnte man sich vor zehn Jahren in Europa weit entfernt. Der ehemalige Außenminister und inzwischen verstorbene FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle hatte sich noch 2010 für den Abzug der Bomben aus Deutschland stark gemacht. Auch bei den Grünen und in weiten Teilen der SPD war die nukleare Teilhabe hochumstritten.
Davon will heute aber niemand mehr etwas wissen. „Die nukleare Abschreckung als grundlegender Bestandteil des Abschreckungs- und Verteidigungskonzepts der NATO ist weiterhin unverzichtbar. Das zeigt sich erneut durch die russische Eskalation und scharfe Drohungen im Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die NATO ist ein Verteidigungsbündnis und Deutschland eine wichtige Ankernation, dieser Verantwortung für das Bündnis müssen wir uns bewusst sein“, sagt etwa der Bundestagsabgeordnete Alexander Müller (FDP) im Gespräch mit der Berliner Zeitung am Wochenende.
Neue politische Bedeutung der Atombombe
Auch der Vizepräsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik Patrick Keller ist von der Wichtigkeit der nuklearen Teilhabe überzeugt. „Die nukleare Teilhabe ist nicht nur von militärischer, sondern auch von politischer Bedeutung. Sie zeigt, dass die europäischen Verbündeten gewillt sind, die Lasten der glaubwürdigen Abschreckung mitzutragen – auch die politisch-moralischen Lasten, die mit der notwendigen Existenz dieser Waffen einhergehen. Durch die Teilhabe wird die nukleare Abschreckung von einer amerikanischen Angelegenheit zu einer Sache des Bündnisses insgesamt“, sagt Keller. Das „ob“ der nuklearen Teilhabe ist bei Regierung und Opposition mit Ausnahme von Linkspartei und AfD mittlerweile weitestgehend unumstritten, dass „wie“ jedoch sehr wohl.

Wäre es nach Kramp-Karrenbauer gegangen, hätte die Luftwaffe 93 weitere Eurofighter-Jets und 45 F/A-18-Kampfflugzeugen beschafft, um den Tornado zu ersetzen. Etwa 35 bis 40 Maschinen des Typs F-35 müssten beschafft werden, um die nukleare Teilhabe weiterhin aufrechtzuerhalten. Die F-35 des amerikanischen Herstellers Lockheed Martin galt bisher als zu teuer für die Bundeswehr. Auch auf Drängen der SPD habe Kramp-Karrenbauer von einer Beschaffung der F-35 abgesehen. Der Preis pro Flugzeug soll bei etwa 80 bis 90 Millionen Dollar liegen.
Die F/A-18 kostet mit einem Stückpreis von etwa 50 Millionen Euro deutlich weniger. Im Betrieb verursacht die F-35 auch wegen des aufwändigen Tarnanstrichs höhere Kosten als der Konkurrent. Die F/A-18 ist zudem seit über 40 Jahren im Einsatz und gilt als zuverlässig und robust. Doch anderes als bei der F-35 hat die Zertifizierung der F/A-18 für den Einsatz von Atomwaffen noch nicht begonnen. Um amerikanische Atomwaffen einsetzen zu können muss ein Flugzeug eine aufwändige Prüfung der National Nuclear Security Administration (NNSA) überstehen. Die NNSA ist nicht dem US-Verteidigungsministerium, sondern dem Energieministerium der Vereinigten Staaten untergeordnet.

Die Zertifizierung der F/A-18 kostet mindestens 250 Millionen Euro
Bei der Zertifizierung wird das Flugzeug auf Herz und Nieren geprüft. Die Hersteller müssen den Quellcode der Software sowie sämtliche Besonderheiten ihres Flugzeugs offenlegen. Beim Einsatz von Atomwaffen darf nichts schiefgehen, deshalb sind selbst die Gabelstapler im Fliegerhorst Büchel von der NNSA zertifiziert. Die umfassende Prüfung wird jedoch auch als potentielles Einfallstor für Industriespionage gesehen, dies gilt auch als Grund dafür, dass eine Zertifizierung des Eurofighter nie ernsthaft in Betracht gezogen wurde, obwohl die europäischen Staaten auf eine Anfrage von Belgien grundsätzlich ihre Bereitschaft bekundet hatten, den Eurofighter für den Nukleareinsatz zertifizieren zu lassen.

Der Kostenaufwand für die Zertifizierung ist enorm: Mindestens 250 Millionen Dollar, möglicherweise sogar das Doppelte, sollen dafür veranschlagt werden. Sollte sich Deutschland für die F/A-18 entscheiden, müsste das Land diese Kosten alleine tragen. Das entscheidende Argument ist ohnehin die Zeit: Während die Zertifizierung des F-35 bereits 2023 abgeschlossen sein soll, ließe die Zertifizierung des F/A-18 noch auf sich warten.
Ab 2030 soll der Tornado jedoch ausgemustert werden. Für das Bundesverteidigungsministerium wäre es mehr als peinlich, wenn eine auf Fehlplanung beruhende Fähigkeitslücke die nukleare Teilhabe vorübergehend auf Eis legen würde. Ein weiteres Argument, das für die F-35 spricht, ist zudem die Konnektivität mit anderen Systemen. Spricht man mit Experten der Luftwaffe über die F-35, geraten die hinter vorgehaltener Hand regelrecht ins Schwärmen: Das Flugzeug entbinde den Piloten von zahlreichen Routineaufgaben und ermögliche die Kommunikation mit anderen Truppenteilen in Echtzeit. Alexander Müller ist als Obmann der FDP im Verteidigungsausschuss deshalb davon überzeugt, dass die F-35 die richtige Wahl für die Bundeswehr ist.
„Die F-35 ist das beste Flugzeug und nun müssen wir bei der Beschaffung endlich in die Puschen kommen“, so Müller. Das entscheidende Argument gegen die F-35 war bisher vor allem die Rücksichtnahme auf die Interessen Frankreichs. Unter französischer Federführung entwickeln die deutschen derzeit ein eigenes, neues Kampfflugzeug unter dem Arbeitstitel „FCAS“ (Future Combat Air System). Alleine die Entwicklung dieses Mammutprojekts soll bis zu 100 Milliarden Euro verschlingen, dabei geht es nicht nur um die Entwicklung eines Flugzeug, sondern um ein ganzes europäisches Ökosystem. FCAS soll mit Drohnenschwärmen und Satelliten kommunizieren können und auch über Tarnkappentechnologie verfügen. Aufgrund der Ähnlichkeit zum Einsatzprofil des F-35 befürchtete man bislang in Frankreich, dass sich Deutschland aus dem FCAS-Projekt zurückziehen könnte, wenn das Flugzeug nicht den gewünschten Anforderungen genügen würde.
Spannungen zwischen Paris und Berlin werden mit Steuergeld gekittet
Diese Sorge ist nicht unberechtigt: In der Vergangenheit haben deutsch-französische Rüstungsprojekte oft an den unterschiedlichen Anforderungen und nationalen Eitelkeiten gekrankt. Die Auslieferung des europäischen Militärtransporters A400M musste beispielsweise immer wieder verschoben werden, am Ende kostete das Projekt mehr als sieben Milliarden Euro mehr als ursprünglich veranschlagt wurden. Außerdem mussten zusätzlich Transportflugzeuge aus den USA gekauft werden, um die fehlenden Fähigkeiten des A400M auszugleichen. Auch um der Befürchtung Frankreichs entgegenzutreten, Deutschland würde bei ähnlichen Problemen mit FCAS die Reißleine ziehen, hat Bundeskanzler Scholz am vergangenen Sonntag deutlich gemacht, dass er in jedem Fall an FCAS festhalten wolle. Scholz machte so unfreiwillig deutlich: Die sich abzeichnenden Gräben in der deutsch-französischen Rüstungszusammenarbeit würden im Zweifelsfall mit Steuergeldern zugeschüttet werden.

In Paris ist man zufrieden. Solange die Zusage zur Entwicklung von FCAS besteht, spricht aus französischer Sicht nichts gegen eine deutsche Beschaffung der F-35. Das Bundesverteidigungsministerium wollte auf Anfrage keine Stellung zum Wettbewerb zwischen der F/A-18 und der F-35 nehmen. Branchenexperten sind sich jedoch inzwischen sicher, dass die Entscheidung, die offiziell für Ende März erwartet wird, positiv für Lockheed Martin und die F-35 ausfallen wird. Der Krieg in der Ukraine habe eine Kompromisslösung wie die F/A-18 unmöglich gemacht. Für Boeing ist diese Entscheidung bitter, denn ohne einen Exportkunden für die F/A-18 ist das Ende der Produktion der Maschine längst absehbar. Der wichtigste Kunde der F/A-18 war bisher die US-Marine, und auch die setzt zukünftig auf eine Variante der F-35.
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