Tatort „Die Amme“: Ein Mörder mit rotem Lippenstift aus dem Rotlichtmilieu

Der Wiener Tatort „Die Amme“ könnte Gegenstand eines Shitstorms sein. Der Psychopath ist ein Crossdresser. Wie gelungen ist der neue Tatort? Die Kurzkritik.

Eine Szene aus dem ARD-Tatort „Die Amme“. Im Bild: Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Wave (Sophie Aujesky).
Eine Szene aus dem ARD-Tatort „Die Amme“. Im Bild: Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Wave (Sophie Aujesky).ARD Degeto/ORF/Prisma Film/Petro Domenigg

Berlin-Majorin Bibi Fellner (Adele Neuhauser) kann nicht schlafen. Erst fragt sie den Pathologen nach Schlafmitteln, dann ausgerechnet die Dealerin in der Diskothek. Doch sind dort nicht eher Aufputschmittel gefragt? 

Der Zuschauer wundert sich nicht zum letzten Mal. Bibis Schlafstörung wird dem Publikum auch akustisch nahe gebracht: Immer wieder rauscht es im Lautsprecher wie bei einem Tinnitus im Ohr. Kollege Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) schenkt ihr eine Meeresrausch-CD als Einschlafhilfe. „Tatorte“ dagegen sollten ja nicht einschläfernd sein, obwohl sie es mitunter sind.

Der Mörder tritt als Frau auf

Dieser Wiener Fall versucht jedenfalls mit allen Mitteln, die Anspannung hoch zu halten. Zwei drogensüchtige Prostituierte sind erstochen worden – ihre halbwüchsigen Söhne sind verschwunden. Der Thriller von Autor Mike Majzen und Regisseur Christopher Schier zeigt sehr früh den Täter: einen drogenabhängigen Undercover-Ermittler im Rotlicht-Milieu, der getrieben ist von einer Mission, die Kinder der „Ehrlosen“ zu „retten“.

Doch dafür werden sie mit schweren Eisenschellen ans Bett gefesselt und mit gemeinen Spielchen gequält. Das Böse ist hier also nicht unbekannt, sondern stets ganz in der Nähe und den Polizisten einen Schritt voraus. Eisner tauscht mit dem Kollegen sogar Informationen aus. Gegenüber seinen Opfern hat der Täter eine besondere Tarnung: Er tritt als Frau auf, mit Langhaarperücke, fettem Lippenstift, Rock und Stöckelschuhen. Nur eine Amme, wie im Titel annonciert, kann er gar nicht sein: Dafür fehlt ihm ja schließlich die Mutterbrust.

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Wenig Wiener Schmäh

Max Meyer spielt einen Psychopathen wie aus dem Bilderbuch, lacht und kichert schaurig-schrill, wenn er in den Spiegel guckt. Das wirkt zuweilen wie in einem Gruselschocker aus den 60er-Jahren. Die großflächigen Tapeten in den dunklen Verliesen scheinen noch aus jener Zeit zu stammen.

Anno 2021 aber wird solch eine Figur bestimmt einen Shitstorm diverser Betroffenengruppen und Crossdresser auslösen, nach dem Motto: „Ein Mann in Frauenkleidern als brutaler Perverser – das gibt doch eine ordentliche Aufreger-Welle her!“ Im 50. Fall von Moritz Eisner ist leider wenig Gelegenheit für den Wiener Schmäh, die Ermittler hetzen unausgeschlafen durch einen düsteren Fall. Majorin Bibi fällt zum Schluss unfreiwillig in einen ganz langen tiefen Schlaf. Aber wenigstens der Abspann rauscht so herrlich wie noch nie.

Bewertung: 2 von 5 Punkten

„Die Amme“, Sonntag, 28. März 2021, 20:15 Uhr, ARD

Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Samstag am Kiosk oder hier im Abo.