Über polnisches Kulturgut, das die Nazis geraubt haben, wird kaum diskutiert

Der Zweite Weltkrieg ist vorbei. Doch die Deutschen haben das Problem der gestohlenen Kulturgüter aus Polen immer noch nicht gelöst. Zeit, daran zu erinnern.

Das zerstörte Warschau von 1945.
Das zerstörte Warschau von 1945.Muzeum Powstania Warszawskiego

Berlin-In den Tagebüchern von Andrzej Bobkowski findet sich ein Eintrag vom Ende August 1944: Bobkowski, damals in Paris, beobachtet die jubelnden Pariser, als die Amerikaner in die Stadt einziehen. Auch Bobkowski war von Freude erfüllt, die aber schnell der Traurigkeit und Melancholie wich – im Warschauer Aufstand wurden doch gerade erst Zehntausende Zivilisten ermordet, mehrere Hunderttausend vertrieben und die Stadt wurde niedergebrannt. Das Ende der langjährigen deutschen Besatzung Europas bedeutete für den Durchschnittsbürger Frankreichs Unsicherheit, aber vor allem Freude und Erleichterung.

Auf die Frage nach dem Ende des Krieges reagieren Polen wiederum mit Melancholie. Aus einem Krankenwagen lehnt sich eine Amerikanerin hinaus und bietet Bobkowski eine Chesterfield an. Er schreibt: „Ich nahm die Zigarette und lief weg. Ich konnte doch nicht Nein sagen. Oh nein – es gibt Dinge, die sich auch mit Milliarden von Zigaretten, Konserven und anderen Geschenken nicht regeln lassen. Nein, nein und nein.“

Die Zigarette, damals ein Symbol der Freiheit und Normalität, dient Bobkowski dazu, Ambivalenz anzudeuten: Auch er will in dieser glücklichen Stadt glücklich sein, kann es aber nicht. Und ähnlich melancholisch sehen die Polen den 8. Mai 1945.

Die vergessenen und die unvergessenen Alliierten

Das Ende des Zweiten Weltkriegs wird traditionell eher aus der Perspektive der Großmächte erzählt. Die polnischen Truppen, die an den meisten Kriegsfronten kämpften, wurden wegen des Kalten Krieges nicht zur Siegesparade nach London eingeladen. Auch aus der deutschen Perspektive, aus der das Kriegsende als die Befreiung der Deutschen vom Nationalsozialismus gesehen wird, blieb für die Wahrnehmung und das Erkennen der Rolle der Polen nicht genug Platz.

Die letztjährigen Feierlichkeiten zum 75. Jahrestag des Kriegsendes, organisiert von der Stadt Berlin, berücksichtigten zunächst die Perspektive der Großmächte. Kultursenator Lederer betonte, dass sich „Berlin für die Befreiung vom Nationalsozialismus in den Sprachen der Alliierten bedanken will: ‚spasiba, merci, thank you, danke‘.“ Schließlich erschienen unter den Danksagungen, die auf das Brandenburger Tor projiziert wurden, auch welche auf Polnisch, Ukrainisch und Belarussisch.

Seit dem 1. September 2020 wird am Ernst-Reuter-Platz an die um Berlin kämpfenden polnischen Soldaten erinnert. So setzt sich in Deutschland das Bewusstsein für Polen als Land nicht nur der Opfer des deutschen Nationalsozialismus, sondern auch als Land der vergessenen Alliierten allmählich durch.

Politische Bildung und die Nationalität der Opfer

Natürlich ist der Holocaust zum festen Bestandteil der politischen Bildung in Deutschland geworden. Aber dass die Hälfte der sechs Millionen ermordeten Juden polnische Staatsbürger waren, wissen die allerwenigsten. Ebenso fehlt das Bewusstsein über drei Millionen polnische nichtjüdische Opfer, über unumkehrbare Verluste in der Kultur und die Zerstörung des Staates.

Auch hier herrscht in Polen Melancholie. Denn es ist schwierig, in diesem Zusammenhang über die Nationalität der Opfer zu schreiben, ohne einer Nationalisierung der Erinnerung bezichtigt zu werden. Die Kategorie der Nation ist verdächtig; es ist vielleicht einfacher, über religiöse Gruppen, jüdische Opfer, Sinti und Roma oder Opfer von medizinischen Experimenten zu sprechen und an sie zu erinnern. Und das ist legitim.

Es geht hier aber nicht um Opferkonkurrenz, sondern um das Verständnis der mörderischen Logik des Dritten Reiches. Die Nazis verbrannten polnische Bücher, weil sie Zeugnisse der polnischen Kultur waren. Die Opfer hatten eine Nationalität – eben die polnische –, wegen der viele polnische Priester, Lehrer und Intellektuelle ermordet wurden. Die gezielte Vernichtung der polnischen Eliten war eines der Hauptziele der Nazis, doch das Schicksal der Bauern war ebenso grausam. Die Polen sollten den Deutschen als Sklaven dienen.

Verschollene Gemälde und verbrannte Bücher

Ist der Zweite Weltkrieg vorbei? Natürlich. Aber die Folgen des Krieges begleiten uns immer noch. Wir haben unter anderem das Problem der gestohlenen Kulturgüter immer noch nicht gelöst. Das ist ein aktueller Anlass zur Melancholie.

In der deutschen Erinnerungskultur ist das Bild der Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz 1933 sehr präsent, und in den Zeitungen wird immer wieder über postkoloniales Erbe und die Benin-Bronzen diskutiert. In diesem Zusammenhang ist das Bewusstsein für die Verluste, die der polnischen Kultur zugefügt wurden und die immer noch nicht gesühnt sind, zu schwach ausgeprägt. Umso wichtiger ist es, daran zu erinnern.

„Die Wege führten durch Trümmerberge, die sich bis zur Höhe des ersten Stocks zwischen ausgebrannten Wänden mit leeren Fenstern erhoben. Oft musste man die quer durch die Straßen gehauenen Gräben überqueren oder sich durch Mauerdurchbrüche durchzwängen.“ So beschreibt der Theaterhistoriker Bohdan Korzeniewski, der während des Krieges und unmittelbar danach wertvolle Bücher aus der Warschauer Universitätsbibliothek rettete, seine Streifzüge durch Warschau nach dem Warschauer Aufstand. Korzeniewski und der Polonist Wacław Borowy schützten sich gemeinsam im Winter 1945 nachts vor der Kälte, indem sie in mit Zeitungen ausgestopften Papiersäcken schliefen.

Wertvolle Sammlungen wurden von den Deutschen, die das Generalgouvernement verwalteten, gestohlen, um ihre Privatbibliotheken zu erweitern. So gelangten Waggons mit geraubten Sammlungen aus Warschau auf das Gut Görbitsch nahe der heutigen deutsch-polnischen Grenze. Dort, auf einem Trümmerhaufen, fand Korzeniewski unter anderem die Briefe des Kanzlers Jan Zamoyski an König Sigismund II. August.

Im Schlosspark waren die Wege mit Laub und beschmutzten Seiten wertvoller Bücher bedeckt. Die Untergrundpresse mischte sich unter die Sammlungen des Zamoyski-Archivs, in Kisten lagen Gravuren mit der Aufschrift „Stanislaus Augustus Rex“. Diese polnischen „Benin-Bronzen“ wurden gefunden, aber das Schicksal vieler anderer bleibt unbekannt.

Mateusz Fałkowski ist polnischer Soziologe und stellvertretender Leiter des Pilecki-Instituts in Berlin.

Aus dem Polnischen von Karolina Golimowska.

Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Sonnabend am Kiosk oder hier im Abo.