Wohnen in Berlin (18): Zurück zur Ofenheizung
Wenn Ulrike Denk aus ihrem Küchenfenster im vierten Stock in den Hof schaut, sieht sie die Veränderung. Das Mietshaus gegenüber ist eingerüstet und wird saniert. Daneben duckt sich ein moderner Zweigeschosser mit schöner Dachterrasse in den Schatten einer Hauswand. „Das sind Eigentumswohnungen“, sagt die 55-Jährige.
Veränderungen wie hier kündigten sich auch in Moabit an, wo Ulrike Denk bis vor Kurzem wohnte. Sie zwangen sie zum Umzug. Nun sitzt die 55-Jährige in ihrer neuen Zwei-Zimmer-Wohnung in Wedding. Kisten stapeln sich, Schränke müssen noch aufgebaut werden.
Zehn Jahre lebte die Bühnenbildnerin in Moabit. Dann kaufte ein Ehepaar aus Süddeutschland das Haus und erhöhte die Mieten. Statt 382 Euro warm sollte Ulrike Denk nun 456 Euro zahlen. Zusätzlich wurde eine Modernisierung angekündigt. „Damit war klar: Ich hätte mir die Wohnung nicht mehr leisten können“, sagt Denk.
70 bis 80 Interessenten
Es dauerte ein halbes Jahr, bis sie, zusätzlich unter Druck gesetzt durch Räumungsklagen der Hausverwaltung, ihre neue Wohnung in der Genter Straße in Wedding fand. Die 55-Jährige ist derzeit arbeitslos, ein schwerwiegender Makel, wenn man auf Wohnungssuche ist. „Außer in Spandau gab es noch in Neukölln bezahlbare Angebote. Aber da kamen 70 bis 80 Interessenten zur Besichtigung.“
Stefan Schetschorke kennt solche Fälle gut. Der 47-Jährige ist Leiter der Rechtsabteilung beim Berliner Mieterverein. Etwa ein Drittel der Menschen, die zu ihm in die Beratung kommen, braucht Hilfe, weil ihre Miete steigt und sie sich die Mehrkosten nicht leisten können.
Ende des Jahres, befürchtet Schetschorke, wird wieder eine Welle kommen. „Dann sind seit der Veröffentlichung des letzten Mietspiegels 15 Monate vergangen“, sagt er. 15 Monate – das ist die Zeit, in der sich die Miete seit der letzten Erhöhung nicht verändern darf. Und die meisten Erhöhungen gab es mit dem neuen Mietspiegel.
In der Beratung sitzen Menschen aus allen Bezirken, vor allem aber aus der Innenstadt. „Akademiker ebenso wie Menschen aus einfachen Verhältnissen“, sagt Schetschorke. Häufig bleibt ihnen nichts anderes übrig, als umzuziehen.
Aufwertungswelle erfasst Moabit und Wedding
Was in Berlin seit Jahren unter dem Schlagwort Gentrifizierung diskutiert wird, endet für sie in der Verdrängung aus ihrem angestammten Umfeld. Immer öfter in weit entlegene Bezirke. Von Ost-Stadtteilen wie Prenzlauer Berg startend, ist die Aufwertungswelle längst in Kreuzberg und Neukölln angekommen und wirft erste Schatten auf Moabit und Wedding.
Diese Entwicklung sorgt vor allem in Kreuzberg immer öfter für Wut und Feindseligkeiten. „Touristen fisten“, „Hipster raus“ und ähnliche Sprüche sind an Häuserwände gesprüht. Manche linken Gruppen halten Studenten, Kreative und Touristen für die Schuldigen. Kürzlich stand ein 22-Jähriger vor Gericht, weil er zwei junge Männer als „Yuppies“ beschimpft und mit Pfefferspray angegriffen hatte.
Für Stefan Schetschorke aber zählt vor allem, was ihm die Mieter berichten. „Die eigentliche Verdrängung wird zu einem großen Teil noch immer durch Modernisierungen ausgelöst“, sagt er. Die Zahl der Betroffenen in der Beratung habe sich zwar nicht erhöht, aber die Fälle würden härter: „Die Gangart der Vermieter ist in letzter Zeit schroffer geworden.“
Vermieter überschreiten Grenze der Legalität
Bei Modernisierungsankündigungen würden manche Eigentümer „gern tief in den Eimer greifen, um die Bewohner zu verschrecken“, vor allem durch das Bekanntgeben stark steigender Mieten. So will man die Leute loswerden, um nach der Sanierung die Miete bei den Neuverträgen noch stärker zu erhöhen. Zunehmend, so der Jurist, seien Fälle dabei, wo der Vermieter die Grenze der Legalität überschreitet.
Wie Ulrike Denk geht es in Moabit immer mehr Menschen. Der Stadtteil, bislang eher graue Maus als hipper Kiez, wird der nächste Kandidat in der Aufwertungswelle sein, wird befürchtet. Ein Anzeichen dafür könnte der massive Rückgang preiswerter Wohnungsangebote im Altbezirk Tiergarten sein: Von 2007 bis 2011 sank der Anteil der Wohnungen, die für Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften als angemessen gelten, um fast 76 Prozent. Das ergibt eine Studie des Soziologen Andrej Holm. Zwar sank auch die Gesamtzahl der Wohnungsangebote, allerdings nur um 40 Prozent.
„Wem gehört Moabit?“
Den Wandel beobachtet auch die Initiative „Wem gehört Moabit?“ In einer professionellen Studie untersuchten die Mitglieder, wem die Mietshäuser im Kiez gehören. „Wir hatten den Eindruck, dass immer mehr Häuser an internationale Investoren verkauft werden“, sagt Mit-Initiatorin Susanne Torka. Das Ergebnis, das für Moabit-Ost vorliegt, bestätigt dies: Mit 46 Prozent machen Investmentfonds dort den größten Anteil aus. Einige Beteiligte planen nun, Genossenschaften zu gründen, um ihre Häuser dem Renditedruck zu entziehen.
Ulrike Denk wäre gern in Moabit geblieben. „Ich bin aber froh, eine bezahlbare Wohnung gefunden zu haben“, sagt sie. Abstriche musste sie hinnehmen. Eine Dusche gibt es noch nicht und statt Zentralheizung hat sie wieder einen Kohleofen.
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