Wojciech Jaruzelski: Tumulte bei Trauermesse für Jaruzelski

Warschau - Der General ist tot, aber die Geschichte lebt. Polen wird nach dem Tod des letzten kommunistischen Machthabers Wojciech Jaruzelski von seiner schwierigen Vergangenheit eingeholt. Kurz vor den großen Feiern zum 25. Jahrestag der Überwindung des Kommunismus am 4. Juni herrscht offener Streit statt der erhofften Einigkeit – und dies, obwohl am kommenden Mittwoch US-Präsident Barack Obama, Frankreichs Staatschef François Hollande, Bundespräsident Joachim Gauck und weitere Staatsoberhäupter in Warschau erwartet werden.

Am Freitag begleiteten Tumulte den Trauergottesdienst zu Ehren Jaruzelskis. Vor der Warschauer Militärkathedrale versammelten sich Hunderte Demonstranten. Sie riefen: „Begrabt ihn in Moskau!“ Der Chef des Instituts für Nationales Gedenken, Lukasz Kaminski, hatte sich schon im Vorfeld der Beisetzungsfeiern empört. Er erinnerte daran, dass Jaruzelski nicht nur 1981 im Zusammenspiel mit dem Kreml das Kriegsrecht verhängt und die Freiheitsbewegung Solidarnosc bekämpft habe. „Er war auch für antisemitische Säuberungen in der Armee verantwortlich.“

Trotz der Proteste wurde Jaruzelski, der am vergangenen Sonntag im Alter von 90 Jahre verstorben war, am Freitag mit einem Begräbnis auf dem prestigeträchtigen Warschauer Militärfriedhof geehrt. Das hatte Präsident Bronislaw Komorowski entschieden. Ein Staatsbegräbnis sei das nicht, ließ Komorowski mitteilen. Militärische Ehren wollte er dem General jedoch nicht verwehren – und erhielt dafür auch viel Zuspruch. Selbst Jaruzelskis einstiger Erzrivale Lech Walesa würdigte den Verstorbenen als „großen Mann“. Zwar habe Jaruzelski „der Generation des Verrats“ angehört. „Aber das waren komplizierte Zeiten“, erklärte der ehemalige Arbeiterführer. „Die Abrechnung überlasse ich dem Herrgott.“

Komplizierte Zeiten waren die 80er-Jahre in Polen allemal. 1980 hatte die Solidarnosc einen Massenaufstand gegen die kommunistische Herrschaft entfesselt. Zehn Millionen Menschen schlossen sich der Gewerkschaftsbewegung an. Armeechef Jaruzelski übernahm mit Unterstützung aus Moskau die Macht und verhängte am 13. Dezember 1981 das Kriegsrecht. Bis zum Schluss behauptete der General, er habe damit eine sowjetische Invasion verhindern wollen. Historiker haben allerdings nachgewiesen, dass Jaruzelski maßgeblich aus eigenem Entschluss handelte. Er hat damit auch den Tod von mehr als 100 Menschen zu verantworten.

Signal an die Ukraine

Später jedoch wandelte sich der Militärführer zum Reformer. Polen wurde in den 80er zum „Labor der Perestroika“, wie Michail Gorbatschow es einmal formulierte. Bei den Umbrüchen 1989 im Osten Europas stellte sich Jaruzelski mit an die Spitze der Bewegung. Als erster kommunistischer Führer setzte er sich mit der Opposition an einen Runden Tisch und schloss mit Walesa einen Handel ab, der halbfreie Wahlen am 4. Juni 1989 ermöglichte. Die Wahl wurde zum Fanal der friedlichen Revolutionen.

Die Kommunisten sollten zwar in jedem Fall weiter die Hälfte der Abgeordneten stellen. Die anderen Parlamentarier wurden aber frei gewählt – und das Volk entschied sich bei diesen 50 Prozent zu 100 Prozent für die Opposition. Daraufhin bildete der Solidarnosc-Politiker Tadeusz Mazowiecki die erste postsozialistische Regierung im damaligen Ostblock. Am Mittwoch werden deshalb Staatsoberhäupter aus aller Welt in Warschau sein, um den 4. Juni als den Tag zu würdigen, der die Überwindung des Kalten Krieges besiegelte. Der Mauerfall in Deutschland am 9. November setzte den Schlusspunkt dieser Entwicklung.

Jaruzelski blieb zunächst polnischer Präsident. Auch das gehörte zu dem Handel mit Walesa. Der Solidarnosc-Führer kündigte das Abkommen jedoch 1990 auf und ließ sich selbst zum Staatschef wählen. In einem Gespräch erklärte er einmal: „Ich musste mein Wort brechen, weil Jaruzelski am Kommunismus festhalten wollte. Damals war ein Zurück durchaus möglich.“ Der Kriegsrechts-General akzeptierte die Degradierung. „Ich mag das neue Polen“, sagte er zum 20. Jahrestag der friedlichen Revolution.

Die polnische Gesellschaft hat sich aber bis heute nicht mit jenem Schlussstrich abgefunden, den der Runde Tisch 1989 unter die Vergangenheit ziehen wollte. Deshalb wühlen die Ehrung für Jaruzelski und die Feiern die Menschen so auf.

Auch der neue ukrainische Staatschef Petro Poroschenko wird in Warschau erwartet, wo er US-Präsident Obama treffen wird. Obama will damit ein Zeichen für die Solidarität mit den östlichen EU-Staaten gegen Russland setzen. Polen und andere Osteuropäer bewerten Moskaus Politik in der Ukraine als neoimperialistisch – obwohl der Kalte Krieg seit 25 Jahren vorbei ist.