Wolfgang Clement über soziale Gerechtigkeit in schwierigen Zeiten, Reformbedarf in Deutschland sowie das Amt des Bundeskanzlers und seinen Inhaber: Über mir ist nur der Himmel

Herr Clement, warum sind Sie Sozialdemokrat geworden?Weil ich seit meiner Kindheit ein gut entwickeltes Empfinden für Gerechtigkeit und eine tiefe Abneigung gegen Ungerechtigkeit habe.Wie haben Sie Ihren fünf Töchtern erklärt, was soziale Gerechtigkeit ist?Dadurch, dass ich versuche, dementsprechend zu leben. Und soweit es mir möglich ist, bin ich bestrebt, auch andere davon zu überzeugen.Können Sie uns ein konkretes Beispiel geben?Nein, das ist genug an Einblicken in diesen Teil unseres Lebens.Kaufen Ihre Töchter Ihnen heute noch ab, dass Ihr Vater einer gerechten Sache dient?In unserer Familie gehören Wahrheit und Wahrhaftigkeit, absolute Offenheit und Klarheit zu den wichtigsten Geboten. Das hat vor allem meine Frau in unsere Familie eingebracht.Konnten Sie alle Ihre Töchter für die SPD gewinnen?Nicht alle, es sind einfach zu viele.Kürzlich hatten Sie eine Audienz beim Papst - warum?Weil ich katholisch bin und weil der Papst mich durch seine ganz außergewöhnliche Persönlichkeit fasziniert.In Deutschland leben rund 80 Millionen Menschen. Was glauben Sie: wie viele von denen brauchen wirklich Unterstützung durch öffentliche Hände, beispielsweise Sozial- und Arbeitslosenhilfe?Derzeit sind in Deutschland etwa sechs bis sieben Millionen Menschen arbeitslos, wenn man die verborgene Arbeitslosigkeit, die so genannte stille Reserve, hinzurechnet. Nicht alle von ihnen sind auf öffentliche Förderung angewiesen. Aber die meisten brauchen Unterstützung, um künftig - hoffentlich rascher - auf eigenen Füßen stehen zu können.Und wie viele Bundesbürger missbrauchen unser Sozialsystem?Da bin ich mit Aussagen eher vorsichtig.Sind das nur Einzelfälle?Nein, das sind leider viel mehr als nur Einzelfälle. Der Missbrauch ist auch nicht auf eine bestimmte soziale Gruppe beschränkt, er reicht bis weit in den Mittelstand hinein. Dadurch gibt es eine erhebliche Fehlleitung von öffentlichen Geldern, was nicht selten von überbordender Bürokratie begünstigt wird. Das beste Beispiel dafür ist das Nebeneinander von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Deshalb wollen wir diese widersinnigen Systeme korrigieren. In der Vergangenheit hat unser Bemühen um Gerechtigkeit zu einer nicht mehr überschaubaren Zahl von Detailregelungen geführt, die das System insgesamt unbeweglich werden ließen. Wer mehr Gerechtigkeit schaffen will, muss auch größere Ermessensspielräume zulassen, und zwar in weit stärkerem Maße als wir Deutsche das in unserem Rechts- und Verordnungswesen gewohnt sind.Wie definieren Sie "Missbrauch von staatlichen Leistungen"?Dass jemand ohne Bemühen um eigene Leistung die solidarische Unterstützung von Beitrags- und Steuerzahlern in Anspruch nimmt.Bedeutet "Leistung" immer auch "Arbeiten gehen"?Wenn man, wie ich, insbesondere den Arbeitsmarkt vor Augen hat, heißt die Antwort: ja. Hier geht es darum, dass jeder, der Solidarität in Anspruch nimmt, auch das Seine tun muss, dass er zur Solidargemeinschaft beitragen kann.Ist jede Form von Arbeit gerechter als nicht zu arbeiten?Nicht jede Arbeit, aber jede Arbeit, die Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Im "Dritten Reich" und in der DDR wurden Instrumente eingesetzt, um Arbeit zu schaffen, die zu Recht missbilligt werden. Es ist aber auch nicht gut und gerecht, wenn bei uns heute Menschen dauerhaft in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gehalten werden und wenn wir uns nicht bemühen, sie für den ersten Arbeitsmarkt zurückzugewinnen.Mit der Perspektive, dass eine Gesellschaft wie die deutsche auf Dauer außer Stande sein kann, Vollbeschäftigung herzustellen, wollen Sie sich nicht auseinander setzen?Wir sind eine industrielle Dienstleistungsgesellschaft, die durchaus in der Lage ist, Vollbeschäftigung zu schaffen. Bei uns gibt es genug Möglichkeiten, sich zu betätigen, wir waren bisher aber nicht intelligent und kreativ genug, dieses Potenzial zu mobilisieren. Einen geringen Sockel an Arbeitslosigkeit wird es dabei allerdings immer geben, weil manche Menschen nicht erreichbar, nicht qualifizierbar, nicht vermittelbar sind.Wie viele Menschen werden durch den Rost fallen, wenn Kanzler Gerhard Schröder seine Agenda 2010 - wie angekündigt - umsetzt?Das, was wir beabsichtigen, führt nirgends zu sozialem Absturz. Allerdings werden wir künftig an die Bezieher von Hilfsleistungen auch Erwartungen und Forderungen richten, wir werden Sanktionen einführen und stärkere Anreize setzen, um Menschen in Arbeit zu bringen. Damit ziehen wir die Lehre aus unserem bisherigen Umgang mit der Massenarbeitslosigkeit, der so nicht mehr zu verantworten und auch nicht mehr zu finanzieren ist. Die anstehenden Korrekturen sind überfällig und unabweisbar.Wissen Sie eigentlich, wie sich Menschen fühlen, die am unteren Ende der Sozialskala stehen?Ich glaube, ja. Ich bin viel herumgekommen in allen Schichten unserer Gesellschaft und habe keine Scheu vor Menschen und ihren Themen. Ich kann schon ein gutes Stück mitempfinden und nachempfinden. Das habe ich übrigens nicht zuletzt als Journalist gelernt.Können Sie sich auch in die Lage eines 55-Jährigen versetzen, der seinen Job verliert und der sich demnächst mit Arbeitslosengeld auf Sozialhilfeniveau begnügen soll?Ich denke, schon. Deshalb ist es mein Ehrgeiz, auch den Älteren wieder eine Beschäftigungsperspektive zu verschaffen. Heute bleibt ihnen oft nur die Möglichkeit - gedrängt vom eigenen Unternehmen und finanziert von der Solidargemeinschaft - in Frühpension zu gehen. Bei einer Lebenserwartung, die sich langsam aber sicher in Richtung 80 Jahre entwickelt, ist es auf die Dauer unvorstellbar zu akzeptieren, dass wir bereits im Alter von etwa 50 aufhören sollen, weiter in beruflichen Kategorien zu denken. Hier ist eine Umorientierung dringend geboten.Ihr Vater ist einst, der Not gehorchend, aus dem Sauerland ins Ruhrgebiet ausgewandert. Was haben Sie empfunden, als Sie in Bochum bei den großbürgerlichen Schilys auf der Gartenmauer saßen und dem jungen Otto, dem Sohn eines Werksdirektors, beim Krocketspiel zusahen?Das hat meinen Ehrgeiz angestachelt.Neidgefühle, wie die meisten Deutschen, hatten Sie keine?Nein. Auch mein Vater hatte Ehrgeiz. Er ist über seine Maurerausbildung zum Bauingenieur und Baumeister geworden - und das unter schwierigsten Bedingungen: als er seinerzeit im Ruhrgebiet ankam, brach dort die große Arbeitslosigkeit aus. Diese Erfahrungen aus der Industrielandschaft, aus der ich komme, haben auch mich geprägt. Seither weiß ich, dass man mit seinen eigenen Händen eine ganze Menge tun kann.Überkam Sie in Ihrem Leben nie die Sorge, sie könnten - ohne eigenes Verschulden - scheitern?Als Junge, als Heranwachsender gab es durchaus Momente von Unsicherheit. Jetzt nicht mehr, heute bin ich in einem Alter, in dem ich mich als absolut unabhängig empfinde.Treibt Sie als Vater nie die Sorge um, dass eine Ihrer Töchter scheitern könnte?Natürlich beschäftigen meine Frau und mich Gedanken, was aus den Kindern geworden ist oder wird. Aber wir sind eine ziemlich zuversichtliche Truppe, in der jeder über jeden alles weiß - hoffe ich jedenfalls. Da gibt es viel Verlässlichkeit und ein viel geringeres Risiko zu scheitern.Haben alle Ihre Töchter Jobs?Ja. Eine von ihnen hat mit ihrer Firma allerdings auch schon eine Pleite erlebt.Wie steht es heute mit Ihrem beruflichen Ehrgeiz?Ich habe den Ehrgeiz, in meinem jetzigen Amt zu erreichen, was ich als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen nicht erreichen konnte: die Arbeitslosigkeit fühlbar zu senken, nicht nur im Ruhrgebiet, sondern auch in anderen Regionen, zum Beispiel in Ostdeutschland. Richtet sich Ihr Ehrgeiz nicht auf noch höhere Ämter, zum Beispiel auf das des Bundeskanzlers?In aller Klarheit: Nein. Über mir ist nur der Himmel.Wenn Sie Ihre politischen Ambitionen verwirklichen wollen, dann ist der kommende Sonntag ein nicht ganz unbedeutendes Datum: wird der SPD-Sonderparteitag eine breite Mehrheit für Schröders Agenda 2010 bringen?Ich rechne mit einer klaren Mehrheit. Dennoch bleibt eine gewisse Spannung. Was wir jetzt mit der Agenda 2010 auflegen, ist - abgesehen von der Herstellung der deutschen Einheit - die wohl tief greifendste Veränderung der Nachkriegszeit.Für das Land oder für die Sozialdemokraten?Für das Land und für die Sozialdemokraten.Warum für die Sozialdemokraten?Weil wir umdenken und umsteuern müssen: die Solidargemeinschaft schützt uns vor den großen Lebensrisiken - aber sie muss das nur tun, wenn jede und jeder auch bereit ist, Eigenverantwortung zu übernehmen.Was Sie einen Zuwachs an Eigenverantwortung nennen, nennen Ihre parteiinternen Kritiker Sozialabbau.Ich bin sehr gern bereit, über diesen Gegensatz zu diskutieren. Am Ende werden wir feststellen: es ist keine Überforderung des Einzelnen, wenn von ihm erwartet wird, eine Lehrstelle oder einen Arbeitsplatz auch anzunehmen. Wenn wir danach handeln, dienen wir dem Einzelnen und der Gesellschaft.Eine Reform ist laut Brockhaus die "planmäßige Umgestaltung, Verbesserung, Neuordnung des Bestehenden". Hat, so gesehen, die Agenda 2010 das Rubrum "Reform" überhaupt verdient?Ganz gewiss. Nehmen Sie die Reform des Handwerksrechts, die ich gerade dem Kabinett vorgelegt habe - sie entspricht genau der Brockhaus-Definition: wir ordnen das Bestehende neu - die Meisterprüfung wird für einen Teil des Handwerks von einer Pflicht zum freiwilligen Qualifikationsnachweis -, um auf diese Weise viele neue Arbeitsplätze zu schaffen.Die Agenda 2010 muss nicht nur den Sonderparteitag überstehen, sondern auch den Bundestag passieren. Nur vier Stimmen aus der Regierungskoalition reichen aus, um das Paket scheitern zu lassen.Ich hoffe natürlich, dass der Parteitag ein deutliches Signal gibt und dass dies dann auch von allen verstanden wird. Auch Kritiker aus der Fraktion haben ja eingeräumt, dass es um eine politische und nicht um eine Gewissensentscheidung geht. Ich erwarte, dass alle Mitglieder der Fraktion dies so sehen und sich bei den Abstimmungen auch so verhalten.Braucht Rot-Grün unbedingt eine eigene Mehrheit?Ja, wir brauchen die Kanzlermehrheit.Rechnen Sie nicht mit Stimmen aus der Opposition?Ich fände es gut, wenn wir bei derart wichtigen Reformvorhaben eine breite Unterstützung bekämen - immerhin geht es um die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme. Aber auf die Zustimmung der Opposition kann sich eine Regierungskoalition nicht verlassen. Sie muss, was sie hat, auch voll zum Tragen bringen. Daran führt kein Weg vorbei.Warum lehnen insbesondere die Gewerkschaften die Agenda so schroff ab?Ich sehe da keine schroffe Ablehnung mehr: je intensiver und differenzierter die Diskussion geführt wird, desto mehr kristallisiert sich heraus, dass wir in vielen Punkten gar nicht unüberbrückbar weit auseinander sind.Von Jürgen Peters, dem designierten Chef der IG Metall, haben wir noch keine moderateren Töne vernommen, ebenso wenig von Verdi-Chef Frank Bsirske.Wenn ich mit Jürgen Peters, wie früher, ganz konkret diskutieren würde, klänge das ganz sicher auch nicht mehr so schroff.Fürchten Sie einen Bruch zwischen Sozialdemokratie und Gewerkschaften oder sehnen Sie ihn manchmal sogar herbei?Weder noch. Was ich sehe, sind sehr ernste Meinungsunterschiede, die sich nach meinem Eindruck jedoch ausdifferenzieren. Aber wenn man in der Regierung ist, ergibt sich fast zwangsläufig, dass sich das Verhältnis zu den Gewerkschaften verändert.Ist das eine Entfremdung?Es ist eine Veränderung, die sich aus dem Übergang von der Industriegesellschaft zur industriellen Dienstleistungsgesellschaft ergibt. Zumindest für eine Zwischenphase erzeugt das eine größere Distanz. Wir sind beide, Sozialdemokraten und Gewerkschaften, aus den Unternehmen der Großindustrie gekommen. Auch die SPD hat sich beispielsweise erst jetzt an die Vorstellung gewöhnt, dass es einen Mittelstand gibt. Erstmals in der Geschichte unserer Partei haben wir ein konkretes Programm zur Förderung des Mittelstandes entwickelt.In Großbritannien profitiert heute eine neue Sozialdemokratie davon, dass eine konservative Regierung früher die Macht der Gewerkschaften gebrochen hatte. Braucht Deutschland eine Maggie Thatcher?Nein, wir können froh sein, dass es bei uns nicht zu derartigen Auseinandersetzungen kommt, wie sie beispielsweise gerade in Frankreich um die Rentenreform geführt werden. Dort gibt es - anders als bei uns - sehr viele kleine Gewerkschaften, die nie in der Mitverantwortung standen und die keine Mitbestimmung kennen. Für mich ist es unvorstellbar, dass wir die Art, in der Frau Thatcher die Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften provoziert und praktiziert hat, in Deutschland kopieren.Halten Sie die deutsche Mitbestimmung immer noch für ein Erfolgsmodell?Die Mitbestimmung und die Bereitschaft zur Mitverantwortung sind die Grundlagen unseres wirtschaftlichen Erfolgs. Allerdings stehen wir heute vor völlig veränderten Bedingungen. Ich bin mir nicht sicher, dass wir darauf schon die richtigen Antworten gefunden haben. Das Mitbestimmungsmodell wurde bei uns aus der Großindustrie auf die kleinen und mittleren Unternehmen übertragen. Da ist noch viel Starrheit und zu wenig Spielraum für betriebliche Kreativität.Die IG Metall ist gegenwärtig mit ganz anderen Ideen beschäftigt: sie will in Ostdeutschland per Streik die 35-Stunden-Woche durchsetzen.Bei aller gebotenen Zurückhaltung gegenüber tariflichen Auseinandersetzungen: Ich hoffe inständig, dass dieser Kelch an uns vorüber geht.Die Begründung der Gewerkschaft ist, mehr Gerechtigkeit für die Arbeitnehmer im Osten zu schaffen. Halten Sie das für so abwegig?Ja. Gerechtigkeit zu üben, heißt heute für Ostdeutschland: Vorrang für die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen. Ein Arbeitskampf könnte das Gegenteil bewirken.Die gesamtwirtschaftliche Lage ist derzeit alles andere als erfreulich. Stecken wir in einer Rezession?Nein. Gott sei Dank gab es jetzt seit langer Zeit mal wieder ein positives Signal, ich meine den verbesserten Ifo-Geschäftsklimaindex. Demnach sind jedenfalls die Erwartungen der westdeutschen Unternehmen für das zweite Halbjahr positiver geworden, wenn auch die gegenwärtige Lage schwieriger als im Vormonat eingeschätzt wird. Bemerkenswerterweise ist es in Ostdeutschland genau umgekehrt: Dort fällt die Lageeinschätzung besser aus als der Ausblick. Wir Deutsche sind schon ein kompliziertes Volk. Wir tun uns schwer, Zuversicht zu fassen.Und deshalb geben Sie den Gut-Laune-Minister, der unverdrossen an fröhlich-optimistischen Wachstumsprognosen festhält?Grau in grau gemalt wird in Deutschland von so vielen Menschen und Institutionen, dass es wenigstens einen geben muss, der gelegentlich darauf hinweist, dass der Himmel über uns wieder blau wird. Wir haben bei uns momentan eine derartige Mehrheit an Nörglern, Skeptikern und Langweilern, dass man aufpassen muss, aus der miesen Stimmung keine Tatsachen werden zu lassen.Welchen Anteil hat die Bundesregierung an der schlechten Wirtschaftslage?Die Bundesregierung trägt Mitverantwortung, sie ist aber nicht allein verantwortlich, wie man beispielsweise am Zustand des deutschen Kreditgewerbes erkennen mag. Wir haben aber einen gehörigen Batzen Mitverantwortung, wie alle Regierungen, die in den letzten 20 Jahren Verantwortung getragen haben.Miese Stimmung gibt es inzwischen nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der nordrhein-westfälischen Landesregierung. Ist die rot-grüne Koalition in Düsseldorf und womöglich demnächst auch in Berlin am Ende?Düsseldorf ist Düsseldorf und nicht Berlin. Ich empfehle, beides auseinander zu halten.Kaum vorstellbar, dass Ihr Nachfolger in NRW, Ministerpräsident Peer Steinbrück, seinen Konfrontationskurs gegen die Grünen nicht mit Ihnen abgestimmt hat?Ich bitte um Verständnis, aber es gehört zu meinen ehernen Grundsätzen, meinem Nachfolger nicht ins Handwerk zu pfuschen.Welche Gemeinsamkeiten gibt es heute noch, die Sozialdemokraten und Grüne so sehr miteinander verbinden, dass sie ein Fortbestehen von Regierungskoalitionen rechtfertigen?Das, was wir gegenwärtig tun: die gemeinsamen Bemühungen zu grundlegendenden Reformen in Deutschland.Wäre es angesichts der gravierenden Probleme in Deutschland nicht Zeit für eine große Koalition auf Bundesebene?Es ist Zeit für eine große Kooperation, aber nicht für eine Große Koalition: Die rot-grüne Koalition funktioniert, die Opposition funktioniert - zugegeben: beide könnten noch besser werden. Die Parteien müssen sich klar sein, was die Bürger von ihnen erwarten. Keiner darf sich jetzt vor der Pflicht zur Kooperation drücken.Aber schon bei der Gesundheitsreform Ihrer Kabinettskollegin Ulla Schmidt wirkt die Opposition mitnichten so, als ob sie mitmachen wollte.Es gibt Stimmen, die so klingen. Aber ich hoffe sehr, dass die Opposition erkennt, dass dies ein Angebot zur Zusammenarbeit ist. Davon sollte die CDU/CSU angesichts einer so schwierigen Lage Gebrauch machen.Aber was, wenn die wirtschaftlichen Probleme des Landes bis zum Herbst weiter wachsen? Könnte eine Große Koalition zwischen SPD und Union dann nicht unausweichlich werden?Ich glaube und hoffe natürlich auch, dass sich die wirtschaftliche Lage entspannt und dass auf diese Weise all ihren Spekulationen der Boden entzogen wird.Gerhard Schröder hat in letzter Zeit auffällig oft mit Rücktritt gedroht.Der Kanzler hat deutlich gesagt, was mit ihm zu machen ist und was nicht. Das zu tun, ist seine Pflicht.Wer könnte nach Gerhard Schröder der nächste Bundeskanzler werden - Wolfgang Clement?Diese Bundesregierung wird mit Bundeskanzler Schröder Erfolg haben oder nicht. Punktum.Wir bewundern Ihre Fähigkeit, sich zu zügeln. Immerhin sagen Leute, die Sie gut kennen, Ihre Hauptcharaktereigenschaft sei Ungeduld.Sind Sie sicher, dass diese angeblichen Kenner Recht haben?Wenn man bedenkt, dass Sie bis heute nicht einmal einen Führerschein besitzen, weil Sie seinerzeit, genervt von den Weisungen des Fahrlehrers, die Prüfung abbrachen. Darum müssen Sie sich auf privaten Fahrten bis heute von Ihrer Frau chauffieren lassen.Offen gesagt, ich halte das für eine gute Lösung.Zum Abschluss möchten wir von Ihnen die für alle Zeiten und für alle Archive gültige Antwort auf die Frage, ob Sie jemals in Ihrem Leben mit Akten, Aschenbechern oder dergleichen nach Mitarbeitern, Freunden oder Verwandten geworfen haben?Meine Antwort heißt: Nein. Und ob sie s glauben oder nicht: Diese Antwort wird sogar von demjenigen bestätigt, nach dem ich angeblich geworfen habe.Das Gespräch führten Hendrik Munsberg, Uwe Vorkötter und Regine Zylka.Zur Person // WOLFGANG CLEMENT wurde am 7. Juli 1940 in Bochum geboren. Er studierte Jura, arbeitete danach bei der Westfälischen Rundschau, von 1973 bis 1981 als deren stellvertretender Chefredakteur. 1970 trat er der SPD bei.SEINE POLITISCHE KARRIERE begann Clement 1981 als Sprecher des SPD-Bundesvorstandes in Bonn. In der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen wurde er 1989 Chef der Staatskanzlei und ab 1995 Minister für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr. 1998 wählte ihn die rot-grüne Koalition des Landes zum Ministerpräsidenten.NACH DER BUNDESTAGSWAHL 2002 wechselte Clement als "Super"- Minister für Wirtschaft und Arbeit in die rot-grüne Bundesregierung.VERHEIRATET ist Wolfgang Clement seit 1966. Er hat fünf erwachsene Töchter. Für seinen Job hält sich der Sportliebhaber durch Joggen fit.Was wir jetzt mit der Agenda 2010 auflegen, ist - abgesehen von der Herstellung der deutschen Einheit - die wohl tiefgreifendste Veränderung der Nachkriegszeit.Wir haben bei uns momentan eine derartige Mehrheit an Nörglern, Skeptikern und Langweilern, dass man aufpassen muss, aus der miesen Stimmung keine Tatsachen werden zu lassen.BERLINER ZEITUNG/MARKUS WÄCHTER (2) "Ich habe den Ehrgeiz, in meinem jetzigen Amt zu erreichen, was ich als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen nicht erreichen konnte: die Arbeitslosigkeit fühlbar zu senken. " Minister Wolfgang Clement beim Interview.