Wolfram Mey hütet im Naturkundemuseum eine der größten Schmetterlingssammlungen Europas: Das große Flattern
In Schrank Nummer 220 wird Wolfram Mey fündig. "Trogonoptera Trojana", sagt er zufrieden und deutet auf vier große Schmetterlinge. Weniger als eine Minute hat Mey gebraucht, die Tiere in einem von etwa 10 000 Glaskästen zu entdecken. Mey ist Kustos - Lateinisch für Wächter - der Schmetterlingssammlung im Museum für Naturkunde. Herr über vier Millionen Schmetterlinge.Die Berliner Sammlung ist eine der größten in Europa. Doch die 1809 begonnene Sammlung hat dringend eine Modernisierung nötig: Die Sortierung entspricht längst nicht mehr dem neuesten Stand der Wissenschaft. Zudem bedroht Feuchtigkeit die Schmetterlinge - der 1889 eingeweihte Museumsbau ist marode. Es ist nur eine Frage der Zeit, sagt Mey, bis Pilze die Schmetterlinge befallen. Sein Finger streicht über das Glas, hinter dem die samtschwarz und smaragdgrün schimmernden Falter mit Nadeln aufgespießt sind. In dem Kitt, der Scheibe und Holzrahmen miteinander verbindet, sind Löcher zu erkennen - er ist porös. Es ist der Originalkasten von 1895.Beispiellose KleinarbeitWeil das Museum zur Universität gehört, ist es Aufgabe des Landes, das preußische Erbe zu pflegen. Doch Berlin ist damit restlos überfordert. "Einige tausend Kästen müssten ausgetauscht, der Putz im Schmetterlingssaal erneuert werden", sagt Mey. Ulrich Zeller, Direktor des Museumsinstituts für systematische Zoologie, spricht von 350 Millionen Mark Investitionsbedarf für das ganze Museum, den Wiederaufbau des Ostflügels eingeschlossen. Der promovierte Biologe Mey ist seit 1907 der vierte Kustos der Schmetterlingssammlung. Als er 1986 seinen Job antrat, hatte er sich stillschweigend verpflichtet, die Schmetterlinge bis zur Rente zu hüten. So haben es alle seine Vorgänger gemacht, so erfordert es der Beruf. Denn die Systematik will begriffen, die Sammlung verstanden werden. Mey: "Nicht jeder ist für den Beruf geeignet. Er ist eine Lebensaufgabe, für die man eine Menge Enthusiasmus braucht."Und Geduld. Mey sortiert Tiere nach Überfamilien, Familien, Gattung und Art. Eine beispiellose Kleinarbeit: Manchmal dauert es Minuten, bis ein Falter aus seinem Kasten herausgenommen ist, da die Tiere mitunter noch überlappend angeordnet sind. In solch einem Fall muss die ganze Reihe entnommen werden.Das Museum beherbergt verschiedene Schmetterlingssammlungen, die es unabhängig voneinander aufgekauft hat oder die ihm vermacht wurden. Ziel der Kustoren war stets, daraus eine einheitliche Sammlung zu machen. Weil aber auch für die notwendigen Sortier-Arbeiten das Geld fehlt, wäre Mey schon froh, in den nächsten 20 Jahren die kleinen Schmetterlinge zusammenzuführen. Sie machen gerade mal 0,5 Prozent aller Exemplare aus. Und die Systematik ändert sich ständig. "Arten, die früher eine Familie bildeten, können sich heute auf 15 Familien verteilen", sagt Mey. Etabliert sich eine neue Ordnungsmethode, heißt das: umsortieren.Ein Modell mit Zukunft"Damit bin ich als einziger Wissenschaftler in der Sammlung natürlich überfordert", sagt Mey. Andere Sammlungen stehen besser da: In Paris kümmern sich sechs Mitarbeiter um vier Millionen Schmetterlinge, in London sind für zehn Millionen Schmetterlinge 15 Wissenschaftler zuständig. Die majestätischen Trogonoptera Trojana hat Ende des 19. Jahrhunderts ein Mitarbeiter des bekannten Schmetterlingskundlers Otto Staudinger eingefangen - im Urwald der Philippinen-Insel Palawan. Da es sich um eine bis dato unbekannte Art handelte, hat Staudinger sie beschrieben und mit einem Namen versehen. In der nach ihm benannten Sammlung ist jeder zehnte Schmetterling so ein Typenexemplar, das als Grundlage für die wissenschaftliche Beschreibung einer Art diente. Auch die Trogonoptera Trojana sind daher schon unter wissenschaftshistorischen Gesichtspunkten unersetzlich. Heute gesammelte Exemplare kosten mehr als 1 000 Mark. Bei vielen anderen Arten gibt es zu den Tieren im Glaskasten gar keine lebenden Gegenstücke mehr. Auch der Trojana ist vom Aussterben bedroht, denn auf Palawan schreitet die Regenwaldabholzung voran. Dagegen ist im Museum die Zukunft des Vogelflüglers gesichert. Demnächst bekommen die Tiere einen neuen Glaskasten. Der Rotary-Club Schwäbisch Hall unterstützt mit 11 000 Mark die Staudinger-Sammlung. Für den Institutsleiter ist das ein Modell mit Zukunft. "Wir müssen uns verstärkt um Geld von außen bemühen - auch von Liebhabern", sagt Zeller. In einem Gespräch mit dem Bundesforschungsministerium und der Deutschen Forschungsgemeinschaft geht es demnächst um die Sammlung.Riesen und Zwerge // Die Schmetterlingssammlung im Museum für Naturkunde besteht aus mehreren Einzelsammlungen, die die Humboldt-Universität seit ihrer Gründung im Jahr 1809 aufgekauft hat oder die ihr vererbt wurden. So sind auch 200 Jahre alte Exemplare in der Sammlung im Originalzustand erhalten.Die Berliner Sammlung ist eine der größten in Europa. In 420 Schränken befinden sich vier Millionen Schmetterlinge in 75 000 Arten. Die kleinsten Tiere im Museum haben eine Flügelspannweite von zwei Millimetern, die größten bis zu 40 Zentimeter.Schwerpunkte der Gesamtsammlung sind Tiere aus Europa, Asien und Afrika. Im 19. Jahrhundert trugen vor allem Deutsche in den Kolonialgebieten zur Sammlung bei.Größte Einzelsammlung ist die Staudinger-Sammlung, benannt nach dem Schmetterlingskundler Otto Staudinger (1830-1900). Sie umfasst ungefähr ein Drittel des Bestandes. 1907 kaufte der preußische Staat einen Teil der Sammlung für 300 000 Goldmark von den Erben. 30 Jahre später vermachten die Nachfahren dem Museum den Rest der Staudinger-Sammlung.Der Schmetterlingssaal ist für die Öffentlichkeit normalerweise nicht zugänglich. Nur zu Forschungszwecken werden die Kästen aus den Schränken geholt. Beispielsweise vergleichen Insektenkundler regelmäßig gefangene Exemplare mit denen in der Sammlung, um Rückschlüsse auf die Artenvielfalt in einem bestimmten Gebiet zu erhalten.In der Langen Nacht der Museen am Sonnabend, dem 25. August, bietet Kustos Wolfram Mey Führungen durch die Schmetterlingssammlung in der Invalidenstraße an.BERLINER ZEITUNG/KARL MITTENZWEI Wolfram Mey und Trogonoptera Trojana. Der bis dato unbekannte Schmetterling war Ende des 19. Jahrhunderts auf der Philippinen-Insel Palawan eingefangen worden. Schmetterlingskundler Otto Staudinger hat die Art beschrieben.