World Trade Center: Der Schatten der Türme
New York - Es ist gar nicht lange her, dass die Greenwich Street im unteren Manhattan an einem undurchdringlichen Bauzaun endete. Dahinter gähnte eine gespenstische Grube, beinahe zehn Jahre lang, bevor im Jahr 2010 endlich die Kräne und Presslufthämmer anrückten und aus dem Massengrab des 11. September neues Leben erwachsen ließen.
Seit ein paar Wochen ist nun auch der Zaun verschwunden, das Ground-Zero-Gelände ist wieder Teil der Stadt. Der Blick ist frei auf die funkelnden neuen Wolkenkratzer dahinter: Die Adressen Four und Seven World Trade Center und auch One World Trade Center, jenes babylonische Monstrum aus Stahl und Glas, das als rechtmäßiger Nachfolger der zerbombten Zwillingstürme gilt. Dazwischen gurgelt am Grundriss der damals gefallenen Wolkenkratzer das Wasser in die Tiefe, um monumental an den Schrecken und den Terror zu erinnern.
Zurückhaltende Begeisterung
In diesen Tagen werden Büros des neuen World Trade Centers in Betrieb genommen, am 21. Mai wird das 9/11 Museum unterhalb der Gedenkbrunnen eröffnet. Die Stadt und der Bauherr des Geländes, Larry Silverstein, feiern schon seit Monaten dieses bevorstehende Ereignis als Zeichen dafür, dass New York das Trauma des Attentats endlich hinter sich gelassen hat. Der neue Ground Zero, so die Verlautbarungen, ist ein Beweis für die Kraft und die Widerstandfähigkeit New Yorks sowie des amerikanischen Kapitalismus insgesamt.
Wenn Helaina Hovitz auf den neuen Turm schaut, dann empfindet sie jedoch weder Stolz noch Stärke. „Ehrlich gesagt, macht mir dieses Ding Angst“, sagt die 25-Jährige, die von ihrem Zimmer aus direkt auf das neue Gebäude-Ensemble zwischen Greenwich und West Street blickt. „Mir wäre es lieber gewesen, wenn sie etwas Bescheideneres gebaut hätten.
Hovitz hat gute Gründe dafür, mit ihrer Begeisterung für das vermeintliche Symbol der Wiedergeburt zurückhaltend umzugehen. Das Trauma des 11. September hat bei ihr tiefe Spuren hinterlassen. Sie hat viele Jahre gebraucht, um damit zurechtzukommen, und der Trotz, der aus dem neuen Gebäude spricht, stellt für sie alles andere als „Heilung“ dar. Im Gegenteil: „Mein Heilungsprozess setzt sich aus vielen Dingen zusammen“, sagt sie. „Das neue World Trade Center gehört nicht dazu. Wenn überhaupt, dann öffnet es die alten Wunden wieder.“
Helaina Hovitz war 12 Jahre alt, als die Flugzeuge kamen. Sie war schon in der Schule an jenem Morgen, in der Intermediate School Nummer 89, direkt gegenüber des World Trade Centers an der West Street. Zuerst brachten die Lehrer die Kinder alle in die Cafeteria und versuchten sie zu beruhigen. Doch als der erste Turm fiel, hieß es nur noch „Rennt um euer Leben!“
Helaina rannte in Richtung der Wohnung, in der ihre Eltern und ihre Großmutter wohnen, einen Kilometer entfernt unmittelbar unterhalb der Brooklyn Bridge. Beinahe zwei Stunden war sie unterwegs und sah dabei Dinge, die kein junges Mädchen jemals sehen sollte. Leiber, die auf den Asphalt schlugen. Schreiende, brennende Menschen.
„Das ist etwas für Touristen“
Die nächsten Jahre brachte sie mit ständigen Panikattacken zu. Sie konnte in keinen Bus steigen und in keine U-Bahn, ohne Schweißausbrüche zu bekommen. Sie begann mit 14, regelmäßig Alkohol zu trinken, und konnte in der Schule nicht mehr mithalten. Erst mit 19 kam die richtige Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung und somit die richtige Therapie.
Helaina Hovitz hätte sich gewünscht, dass sie und ihre Familie und ihre Nachbarn gefragt worden wären, als es an die Planung der Neubebauung ging. Die junge Journalistin hätte vieles dazu zu sagen gehabt, was das Viertel, das so vieles erdulden musste, wirklich braucht und wirklich will. Doch das sei nie passiert: „Es war sofort politisch. Um uns ging es nie.“
Den Eindruck, dass es am Ground Zero nie um New Yorker oder um New York ging, hat auch der Sozialwissenschaftler Julian Brash, der gerade ein Buch über die Ära des zum Jahresbeginn ausgeschiedenen Bürgermeisters Michael Bloomberg veröffentlicht hat. „Es ist zynisch, wenn zur Neueröffnung des World Trade Centers davon gesprochen wird, dass hier irgendein Heilungsprozess vollendet werde“, sagt er. „Wenn sie nicht selbst direkt betroffen waren, weil sie dabei waren oder Angehörige verloren haben, dann haben die New Yorker das längst hinter sich gelassen.“
Ihm persönlich, der damals auch nur zwei Kilometer vom Ground Zero entfernt lebte, sagt die Gedenkstätte jedenfalls nichts. „Das ist etwas für Touristen, von einem Architekten entworfen, der mit der Stadt nichts zu tun hat.“ Und die Wolkenkratzer, so Brash, hatten schon immer nur mit zwei Dingen zu tun: „Geld und Macht.“
Ein Fremdkörper im Viertel
Wie sehr Ground Zero an den Bedürfnissen von New York vorbei bebaut wurde, so Brash, lasse sich schon alleine daran ablesen, dass die neuen Wolkenkratzer zu 80 Prozent leer stünden. Niemand brauche in Lower Manhattan so viel Büroraum, die Nachbarschaft hatte sich schon vorher längst von einem reinen Geschäfts- in einen Wohnbezirk verwandelt.
Der einzige Grund dafür, dass trotzdem gigantische Bürotürme mit Millionen von Quadratmetern Büros gebaut wurden, sei schlicht, dass die entscheidenden Personen das wollten. Bauherr Larry Silverstein konnte nur auf diese Weise die Millionen an Versicherungsgeldern und Bundeszuschüssen einstreichen. Und die Stadt sowie der Grundstückseigentümer, die Port Authority, die Hafenbehörde, wollten Lower Manhattan im Wettbewerb mit Midtown wieder als Geschäftsbezirk stärken.
Bislang sieht es jedoch nicht danach aus, als würde dieser Plan aufgehen. Die Hauptmieter der neuen Türme sind Behörden, die übrigen Mieter haben Steuervorteile erhalten. Der Steuerzahler muss zusätzlich zu den Millionen an Bausubventionen auch noch komplett für die Miete aufkommen. Nutzen zieht daraus nur einer: Bauherr Larry Silverstein.
So bleibt das Ground-Zero-Gelände ein Fremdkörper im Viertel, eine Touristenattraktion. Auch wenn der Bauzaun weg ist. „Ich hätte dort gerne etwas gesehen, was die Leute nutzen, echten öffentlichen Raum“, so Brash. „Die pompöse Geste, das passt doch gar nicht zu New York.“ Doch Brash hat niemand gefragt. Ebenso wenig wie Helaina Hovitz.