Zahl der registrierten Verkehrsdelikte stieg innerhalb eines Jahres von 6 800 auf mehr als 10 000: Diplomaten machen die Straßen unsicher
Fahrerflucht, Körperverletzung, Diebstahl, Trunkenheit am Steuer und Falschparken: Diplomaten und deren Familienangehörige werden immer häufiger als Verkehrssünder ertappt. Doch sie gehen straffrei aus. Wegen ihrer Immunität können sie nicht belangt werden. Die Zahl der Verkehrsdelikte hat 2006 im Vergleich zum Vorjahr massiv zugenommen.Nach einer Statistik von Polizei und Innenverwaltung wurden im vergangenen Jahr 10 179 Fälle gezählt, in denen sich Diplomaten nicht an die geltenden Verkehrsregeln hielten. Zwölf Monate zuvor waren es 6 879 Eintragungen. Über diese zunehmende Tendenz informierte Innensenator Ehrhart Körting (SPD) kürzlich die Mitglieder des Abgeordnetenhauses. Keinen Überblick gibt es dagegen über Straftaten, die Diplomaten begehen.Schwierige DiskussionenDiese Verfahren werden nicht gesondert erfasst. "Eine Einzelauswertung ist mit vertretbarem Aufwand nicht zu leisten", erklärte der Innensenator in einer Antwort auf eine kleine parlamentarische Anfrage. Fachleute sprechen von rund 100 Straftaten im vergangenen Jahr.Für Polizisten ist es wegen der Immunität der Verkehrssünder mitunter nicht einfach, das geltende Recht durchzusetzen. Vor einer Woche beispielsweise verursachte ein Botschaftsrat aus der Türkei auf dem Heimweg mit seinem Dienstwagen vom Typ BMW einen Unfall. In der Niederkirchnerstraße prallte sein Wagen mit einem Mitsubishi zusammen.Der Diplomat sagte später der Polizei, dass er das andere Auto nicht gesehen habe. Als die Beamten den Diplomatenpass sehen wollten, schlug ihnen einen Alkoholwolke entgegen. Doch der Botschaftsrat lehnte einen Alkoholtest ab. Stattdessen startete er wieder sein Auto und erklärte, dass er nun nach Hause fahren werde.Erst nach langen Diskussionen rutschte der Diplomat auf den Beifahrersitz und ließ sich von einem Polizisten nach Hause bringen. Das Auswärtige Amt wurde über den Vorfall informiert. Die türkische Botschaft wollte sich in der vergangenen Woche zu dem Vorfall nicht äußern. Auch das Auswärtige Amt hielt sich diplomatisch zurück.Jeden Tag rollen bis zu 1 500 Diplomatenautos durch Berlin. Da kracht es zwei bis drei Mal täglich, schätzt die Polizei. Bei Verkehrsverstößen fallen am häufigsten Diplomaten aus Saudi Arabien auf, gefolgt von Griechenland, Ägypten und dem Iran.Die häufigsten Delikte sind Falschparken und Fahren unter Alkoholeinfluss. Mitunter ist es so schlimm, dass Botschaftswagen abgeschleppt werden müssen, weil die Fahrer so betrunken sind, dass sie nicht mehr aussteigen können. Doch nicht nur durch Verkehrsverstöße machen Diplomaten von sich reden, sondern hin und wieder kommt es auch zu Körperverletzungen und Diebstählen. So fielen Mitarbeiter der US-Botschaft im Sage-Club unangenehm auf, weil sie sich mit einem Gast prügelten.Der vorerst letzte Fall liegt drei Tage zurück. Am vergangenen Freitag wurde ein Familienangehöriger eines leitenden Diplomaten aus Vietnam beim Stehlen in einem Kaufhaus am Alexanderplatz erwischt, bestätigte die Polizei auf Anfrage. Weil er keine Papiere vorzeigen konnte, wurde er der Polizei übergeben. Sie ermittelte die Identität des jungen Mannes und musste ihn laufen lassen.Im Auswärtigen Amt werden solche Vorfälle registriert. Häufen sie sich bei einem Diplomaten oder einer Vertretung, werden die Botschafter ins Ministerium zitiert. Man könne den Repräsentanten der Länder zwar nicht vorschreiben, wer als Diplomat nach Deutschland geschickt wird, aber in Gesprächen darum zu bitten, dass ein Mitarbeiter ausgetauscht wird, sei möglich, so das Auswärtige Amt. Dass ein Diplomat wegen Vergehen nach Hause geschickt wird, ist aber selten. Zuletzt kam das vor drei Jahren vor.Botschafter abberufenIm Oktober 2004 musste der Botschafter Bulgariens Deutschland verlassen. Damit reagierte seine Regierung auf eine nächtliche Fahrt des Diplomaten durch Reinickendorf. Sein Auto war einer Polizeistreife aufgefallen, weil es in Schlangenlinie fuhr. Der Botschafter ignorierte die Polizisten und fuhr auf sie zu. Die Polizei konnte den Wagen nur mit Mühe stoppen. Nachdem seine Immunität geklärt war, durfte er weiter fahren. Das Auswärtige Amt informierte unverzüglich die Regierung in Sofia. Sie zögerte nicht lange und berief den Mann ab.------------------------------Immunität für BotschaftsmitarbeiterDas Völkerrecht besagt, dass Diplomaten Immunität genießen. Das Jahrhunderte alte Gewohnheitsrecht wurde 1815 während des Wiener Kongresses und 1961 im Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen bestätigt. Demnach darf ein Diplomat von der deutschen Justiz nicht angeklagt oder bestraft werden. Das gilt auch für den privaten Lebensbereich. Die Immunität schützt ebenfalls vor Zwangsmaßnahmen.Die Polizei darf einen Diplomaten bei "Gefahr für Leib und Leben" aber anhalten und seine Personalien feststellen. Seinen Status muss der Diplomat mit einem Diplomatenpass nachweisen. Trotz Anzeigen wird gegen Diplomaten nicht ermittelt.Das Auswärtige Amt wird nach einem Verstoß von der Polizei darüber informiert. Häufen sich die Fälle, informiert das Ministerium die Botschaft.In Gesprächen bittet das Auswärtige Amt den jeweiligen Botschafter, sich dafür einzusetzen, dass der betroffene Diplomat ausgetauscht wird. Die Ausweisung oder Abberufung von Diplomaten vor der vereinbarten Zeit ist aber selten.Vertreter aus ärmeren Ländern fallen häufiger durch Alkohol am Steuer auf. Das liege vor allem daran, dass Botschafter aus Kostengründen keine eigenen Fahrer haben und sich die Diplomaten nach Empfängen selbst hinter das Lenkrad setzen, sagt die Polizei.Diplomatenautos sind am Kennzeichen zu erkennen. Die 0 sagt aus, dass es ein Regierungsfahrzeug ist. Die erste Zahl hinter der 0 zeigt das Entsendeland an und die zweite Ziffer den Status, den der Besitzer des Wagens hat. Je höher die Zahl, desto niedriger die Position. Die Ziffer 1 hat der Botschafter inne. Angeführt wird die Länderliste durch die 10. Sie gehört dem Botschafter des Papstes.Diplomatenausweise sind für die Polizei oft schwer von anderen Dokumenten zu unterscheiden. Seit 2004 gibt es dafür Taschenbücher auf den Wachen. Denn eine Verwechselung wie im April 2005 solle es nicht wieder geben, heißt es. Damals war ein griechischer Mitarbeiter des Europäischen Patentamtes in den Brunnen am Ernst-Reuter-Platz gefahren. Er zeigte seinen roten Ausweis und durfte zunächst gehen. Später kam heraus, dass er als Mitarbeiter des Patentamts gar kein Diplomat war.------------------------------Foto: Die 0 steht für Regierung. Die Zahlen für das Land und den Status.------------------------------Foto: "Der Aufenthalt von Diplomaten unterliegt internationalem Recht, daher wird in besonderen Fällen das Auswärtige Amt informiert." Ehrhart Körting, Innensenator