Zu früh verstarb das vielleicht größte Mathe-Genie: Kannte Ramanujan das Unendliche?

Im Jahre 1913 schrieb ein junger Mann aus Indien einen Brief an den berühmten englischen Mathematiker Godefroy Hardy. Darin teilte er ihm zahlreiche mathematische Formeln mit, die den Mathematikern bis dato unbekannt waren. Allerdings war keinerlei Beweis beigefügt - Grund genug normalerweise, den Brief wegzuwerfen. Ein unbestimmtes Gefühl indes sagte Hardy, daß er etwas Geniales vor sich hatte. So scheute er weder Zeit noch Mühe, um die Formeln zu beweisen. Danach war er sich sicher: Ihr Verfasser mußte ein Mathematiker der höchsten Klasse sein. Als Hardy beschloß, den großen Unbekannten 1914 nach England zu holen, machte er die größte Entdeckung seines Lebens: Der junge Mann hieß Srinivasa Ramanujan, war Hafenangestellter und verfügte nur über einfachste Schulkenntnisse. Im Gepäck jedoch trug er Notizbücher voller genialer mathematischer Einfälle. Ramanujan besaß offenbar ein enormes Gefühl für die Struktur und Ästhetik von mathematischen Formeln, das "richtigen" Mathematikern oft abgeht - eine Begabung, herbeigeführt wie durch ein Wunder. Rührte sie daher, daß er sich als Schüler jahrelang in eine Formelsammlung vertieft hatte, welche die Mathematik auf 5 000 Gleichungen reduzierte? Bis heute ist die Art der mathematischen Intuition des Inders der Wissenschaft rätselhaft. Eine von Ramanujans Fähigkeiten war die scheinbar spontane Angabe des Lösungsausdrucks von Summen, die aus unendlich vielen Glieder bestanden ("gelernte" Mathematiker benötigen dazu mitunter Jahre). Robert Kanigel, amerikanischer Mathematiker und Autor einer 1991 in den USA über das Genie erschienenen Biographie, veranlaßte diese Fähigkeit dazu, seinem Buch den Titel "Der das Unendliche kannte" zu geben. Und lieferte damit vielleicht die einzige, wenn auch unfaßbare Erklärung des Mysteriums. In Cambridge lernte der Inder dann die modernen Methoden der westlichen Mathematik kennen. Sein Name erschien jetzt immer öfter in den renommiertesten Fachzeitschriften. Er wurde sogar in die Royal Society aufgenommen. Dann kehrte er zurück nach Indien, wo er vor 75 Jahren, am 26. April 1920, im Alter von nur 33 Jahren an Tuberkulose starb.Ramanujan wäre vermutlich einer der berühmtesten Mathematiker aller Zeiten geworden, erklärte Hardy, wenn er schon zeitig eine westliche Ausbildung erhalten hätte, vergleichbar mit Carl Friedrich Gauß, der ebenfalls aus armen Verhältnissen stammte. Wogegen indische Mathematiker bezweifeln, daß sein Werk ohne die intuitive Kraft des fernöstlichen Glaubens überhaupt möglich gewesen wäre. Dann allerdings fragt man sich: Wie viele Ramanujans leben gegenwärtig unerkannt und unbekannt in Indien oder anderswo in der dritten Welt? +++