Zu seinem 100. Geburtstag wurde der "Große Refraktor" auf Potsdamer Telegrafenberg restauriert: Riesen-Teleskop ist keine Roströhre mehr
Eines durften die Forscher, die bis Ende der 60er Jahre durch den so genannten Großen Refraktor schauten, auf keinen Fall sein: allzu kälte- oder hitzeempfindlich. Schließlich musste die Temperatur in der Kuppel, unter der die Astrophysiker seit 1899 die Sterne beobachteten, der jeweiligen Außentemperatur entsprechen, um die Forschungsergebnisse nicht zu verfälschen. In strengen Wintern oder heißen Sommern konnte das unangenehm werden. Bis auf diesen Fakt weiß Professor Jürgen Staude vom Astrophysikalischen Institut Potsdam aber nur temperaturunabhängige Details über die Geschichte des weltberühmten Teleskops, dessen 100. Geburtstag in diesem Monat ansteht.Das im Jahre 1874 gegründete Institut gehörte zu einem der weltweit ersten Forschungszentren, die neue Gebiete der Physik in astronomische Beobachtungen einbauten. Um international weiterhin den Anschluss zu behalten, wurde am 26. August 1899 unter den kritischen Augen von Kaiser Wilhelm II. der Große Refraktor, ein zwölf Meter langes Linsenteleskop, auf dem Telegrafenberg aufgestellt. Firmen aus ganz Deutschland hatten an dem sieben Tonnen schweren Fernrohr gearbeitet. Die Objektive wurden aus München geliefert, die fahrbare Beobachterbühne aus Berlin sagt Staude, der seit 1965 in Potsdam beschäftigt ist. Entdeckungen mit TeleskopMit den beiden Linsen des Doppelfernrohrs wurden Aufsehen erregende Entdeckungen gemacht: Schon vor dem 1. Weltkrieg erkannte der Wissenschaftler Johannes Hartmann die interstellare Materie durch den Refraktor. Seither wissen die Physiker, dass sich nicht nur in den Sternen, sondern auch um diese herum Materie finden lässt.In den 30er Jahren beschäftigten sich die Astronomen mit den Novae. Das sind Sterne, die explosionsartig Energie freisetzen. Und nach dem 2. Weltkrieg beobachteten Wissenschaftler von Potsdam aus Doppelsterne, anhand derer präzisere Aussagen über die Masse dieser Himmelskörper gemacht werden konnten.Außerirdische allerdings seien in all den Jahren auch unter Anwendung der Spektralanalyse nie gesichtet worden. Und alles, was man dafür hätte halten können, habe sich irgendwann als etwas ganz Irdisches entpuppt, sagt Staude.Vom Glanz dieser Forschertage sind heute nur noch die Geschichten erhalten. Seit 30 Jahren hat kein Astronom mehr durch das Fernrohr gen Nachthimmel geblickt. Die Metallteile des riesigen Teleskops begannen zu rosten, nachdem es jahrelang durch die Kuppel geregnet hatte. Erst Mitte der 80er Jahre wurde sie repariert. Das Gebäude und der Refraktor jedoch hatten bereits erheblichen Schaden genommen.Um zumindest die schlimmsten Auswirkungen der jahrelangen Vernachlässigung zu beheben, gab es Anfang April schon das erste Geburtstagsgeschenk an das Institut: 50 000 Mark stellte das Wissenschaftsministerium bereit.Mit dem Geld musste zunächst der Rost von dem zwölf Meter langen Koloss entfernt werden, sagt Jürgen Staude. Die Fachleute erwägten, dafür das Trockeneisstrahlungsverfahren zu nutzen; eine Variante, die auch schon bei der Restaurierung des Einsteinturmes angewandt wurde. Dabei wird die rostige Fläche mit Eiskörnern aus Kohlendioxid bestrahlt, die auf der Oberfläche aufprallen und sich dort entladen. Die Rostpartikel springen ab und können aufgesaugt werden.Komplettreparatur zu teuer Langfristig sei geplant, dass das Doppelfernrohr als technisches Denkmal eine zweite Karriere startet. Einige hunderttausend Mark wird dieses Vorhaben kosten, sagt Staude. Der Förderverein "Großer Refraktor Potsdam" setzt sich seit 1997 dafür ein, "dass das astronomische Gerät keine Roströhre bleibt", sagt Staude. Für wissenschaftliche Zwecke tauge der Refraktor aber auch nach der Schönheitskur nicht. Eine komplette Reparatur sei "ein nicht zu verantwortendes Millionenprojekt".Zurzeit ist wegen der Restaurierung nicht nur der Blick durch, sondern auch auf das Teleskop versperrt. Spätestens zum 100. Geburtstag am 26. August sollen Interessierte aber wieder Zutritt haben und einen rostfreien "Grossen Refraktor" bewundern können.TELEGRAFENBERG Geburtstagsempfang in der Kuppel // Am 26. August 1899 wurde der Große Refraktor in dem Gebäude auf dem Potsdamer Telegrafenberg aufgestellt.Am 27. August 1999 feiern geladene Gäste den Geburtstag. Der Empfang findet in der Kuppel statt.Ab September können Interessierte sonn- abends und sonntags (von elf bis 18 Uhr) das Teleskop besichtigen.