Assassin's Creed Odyssey: Spie­le­ri­sche Ge­schichts­stun­den

Seien wir doch mal ehrlich: Das klassische Griechenland gehörte für die meisten Schüler nicht gerade zum Höhepunkt des Geschichtsunterrichts: die Kleisthenischen Reformen, die Verfassung Spartas, Platons Höhlengleichnis - das alles war furchtbar trocken und theoretisch.

Kein Wunder, dass viele Erwachsene fast alles über diese Epoche vergessen haben, was sie in der Schule gelernt hatten. Dabei war in dieser Zeit allerlei los, wie "Odyssey", der neueste Teil aus der Spiele-Serie Assassin's Creed, beweist. Die Story beginnt 431 vor Christus. Dem Jahr, in dem der peloponnesische Krieg zwischen Athen und Sparta begann. Ausgangspunkt ist die Insel Kephallenia, heute ein beliebter Urlaubsort, damals jedoch absolute Provinz. Als Nachfahre des berühmten Spartanerkönigs Leonidas fristet man sein Dasein als ärmlicher Söldner. Doch Abenteuerlust und die rätselhafte Vergangenheit der eigenen Familie veranlassen die Hauptfigur schon bald, die kleine Insel zu verlassen.

Alexios oder Kassandra

Ob wir das Abenteuer als Kassandra oder Alexios bestreiten, bleibt dem Spieler selbst überlassen. Ubisoft geht damit den gleichen Weg wie viele andere Spielehersteller in den vergangenen Jahren. Während Heldengeschichten früher fast ausschließlich Männern vorbehalten waren, können nun auch Frauen die Welt retten. Gut so! Denn es gab nie einen ernstzunehmenden Grund für diese Einschränkung. Zwar meckern einige Spieler darüber, dass Frauen damals nun mal keine Krieger waren. Dem kann man aber getrost entgegenhalten, dass fast alle Spielentwickler die Geschichte sowieso an allen Ecken und Enden so hinbiegen, wie sie es brauchen. Warum also nicht auch in diesem Aspekt?

Nachdem Kassandra oder Alexios Kephallenia verlassen haben, hält Assassin's Creed - wie der Name verspricht - eine wahre Odyssee für den Spieler bereit. Die verschiedenen Stränge der Hauptgeschichte verschlagen den Spieler an nahezu jeden Winkel der Festlandes und der Ägäis. Dabei trifft er auf zahlreiche historische Persönlichkeiten wie Perikles, Hippokrates oder Brasidas. Selbst Sokrates, der Lehrer Platons, erwacht hier zum Leben - und fordert den Spieler wie schon in der Schule mit philosophischen Fragen heraus. Alkibiades, der für seine Unstetigkeit berühmt war und im Krieg mehrmals die Seiten wechselte, versucht unaufhörlich, uns ins Bett zu kriegen - egal, ob wir Kassandra oder Alexios spielen. Die Nebenfiguren sind angenehm abwechslungsreich und lassen das Spiel lebendig wirken.

Mit Liebe zum Detail

Die gestalteten Landschaften Griechenlands sind der eigentliche Star. Sie sind einfach wunderschön. Vom herbstlichen Makedonien bis hin zum sommerlichen Attika trifft man auf zahlreiche Details wie alte mykenische Gräber, Holzfällerlager und kleine Dörfer. In idyllischen Wäldern leben Hirsche und Wildschweine. Und wenn die Sonne durch die Baumwipfel scheint und das Gras sich im Wind wiegt, vergisst man schon mal den nächsten Auftrag. Und genießt stattdessen, einfach durch die wunderschöne Landschaft zu reiten. Die Programmierer haben auch bei den Städten mit viel Liebe zum Detail gearbeitet, sie strotzen nur vor liebevollen Feinheiten. Und die Handwerker und Bildhauer arbeiten mit Hammer und Meißel akribisch an neuen Statuen, Töpfer formen mit ihren Händen auf Holztischen Tonvasen.

Große Akribie zeigen die Entwickler auch bei historisch bekannten Orten wie der Athener Akropolis, Delphi, der vor allem für ihr Orakel bekannte Stadt, oder Olympia, der Austragungsort der Olympischen Spiele der Antike. Wer diese Orte als Tourist schon besucht und gesehen hat, findet sich hier gleich zurecht. Aus verfallenen Ruinen werden wieder farbenfrohe Tempel und Schatzhäuser. Hier ist Assassin's Creed kein reines Spiel mehr, sondern fast schon verzaubernder Geschichtsunterricht.

Ein gnadenloser Söldner

Bei so einer wunderschönen Welt ist es ein Jammer, dass die Story des Spiels relativ kurz und flach ausfällt. Häufig ist der Spieler nur für fünfzehn Minuten mit einer Mission der Hauptstory beschäftigt, bevor er eine Region wieder verlassen muss. Um den Aufenthalt in einem Gebiet zu verlängern, hält das Spiel es dann nur noch wenige Nebenquests und vor allem zahllose kleine Söldneraufträge bereit. Zwar bieten auch diese Kurzmissionen eine Hintergrundgeschichte. Allerdings ist die meist kaum der Rede wert. Auch Abwechslung wird im Söldnerdasein nicht gerade großgeschrieben: Fast immer geht es darum, jemanden zu töten - selbst dann, wenn etwa ein Kommandant im Vollrausch mal einen kleinen Witz über die Götter gemacht hat.

Die Macher rühmen sich damit, dem Spieler - im Gegensatz zu früher - eine größere Palette an Handlungsmöglichkeiten bereitzustellen. Doch diese Möglichkeiten hat man häufig nur in der Hauptstory und den Nebenquests. Den Kommandanten einfach nur verprügeln oder überzeugen, sich zu entschuldigen, geht nicht. Solange er nicht stirbt, bleibt der Auftrag unerfüllt, Pech gehabt. In diesen Momenten ist das Spiel gnadenlos.

100 Stunden Spielzeit

Die Hauptstory hat ebenfalls eine größere Schwäche: den Kult des Kosmos. Die Organisation, die die antike Welt beherrschen will und in früheren Teilen als die Templer bekannt war, ist leider viel zu eindimensional. Eigentlich ist es das Ziel des Kultes, durch die Erlangung absoluter Macht eine Ordnung zu etablieren, in der für jeden Menschen absolute Sicherheit herrscht und ein jeder seinen festen Platz hat. Dadurch soll die menschliche Zivilisation zu ungeahnter Blüte kommen. Doch wie schon in den vorherigen Serienteilen ist das nur hohles Gewäsch. Die Kult-Mitglieder bleiben oberflächlich und sind schlicht machtbesessen. Es hätte Assassin's Creed wesentlich mehr Tiefe gegeben, würden die Gegenspieler tatsächlich an ihre eigene Ideologie glauben. Würden sie den Spieler am eigenen Handeln zweifeln lassen. Gerade im Hinblick auf die Rückkehr autoritärer Politik wäre das ein spannender Aspekt gewesen.

Trotz dieser Schwächen erschafft "Odyssey" eine absolut gelungene Welt, in der man gut und gerne 100 Stunden verbringen kann. Neben Spaß bringt Assassin's Creed dem Spieler auch in hervorragender Weise die damalige griechische Welt näher. Damit bleiben die Macher ihrem Konzept treu, denn schon in der Vergangenheit waren große Momente der Menschheitsgeschichte der Ausgangspunkt für die Story, so ging es um die Französische Revolution oder das Leben zu Zeiten der Pharaonen und im Mittelalter. Und nicht zum ersten Mal werden aufgeschlossene Geschichtslehrer und ehemalige Schüler möglicherweise denken: Hätte es das Spiel schon früher gegeben, wäre wohl mehr aus dem Geschichtsunterricht im Gedächtnis haften geblieben.