Bedrohte Lebensräume: Wie Forscher um die Schätze unserer Erde kämpfen

Wir sind hier in dem göttlichsten und vollsten Land“, schrieb Alexander von Humboldt 1799 an seinen Bruder Wilhelm. „Wunderbare Pflanzen, Zitteraale, Tiger, Armadölle, Affen, Papageien …“ Der deutsche Naturforscher und sein französischer Kollege Aimé Bonpland fühlten sich geradezu erschlagen von der üppigen Natur im heutigen Venezuela: „Wie die Narren laufen wir bis jetzt umher; in den ersten drei Tagen können wir nichts bestimmen, da man immer einen Gegenstand wegwirft, um einen anderen zu ergreifen. Bonpland versichert mir, dass er von Sinnen kommen werde, wenn die Wunder nicht bald aufhören.“

Heutzutage beschreiben Biologen die Schauplätze ihrer Forschung meist nicht ganz so überschwänglich. Doch die Faszination ist geblieben. Noch immer hat die Erde Landschaften voller einzigartiger Tiere und Pflanzen zu bieten – von üppigen Regenwäldern bis zu kargen Wüsten, von bunten Korallenriffen bis zu glitzernden Eiswelten. In jedem dieser Ökosysteme verbergen sich noch unentdeckte Arten und ungelöste Rätsel. Doch ihre Zerstörung schreitet oft schneller voran als ihre Erforschung. Und selbst die enthusiastischsten Naturschützer können nicht überall gleichzeitig aktiv sein. Wo also anfangen mit den Rettungsversuchen? Und wo aufhören?

Artenreichtum unterschiedlich verteilt

„Das sind für uns extrem wichtige Fragen“, sagt Christof Schenck von der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF). Seine Organisation arbeitet weltweit in sehr langfristig angelegten Naturschutzprojekten, die oft über Jahrzehnte laufen. „Da müssen wir uns vorher sehr genau überlegen, wo wir uns engagieren.“ Eines der wichtigsten und naheliegendsten Kriterien ist dabei die biologische Vielfalt einer Region: Je mehr Lebensräume, Arten und genetische Informationen sie zu bieten hat, umso dringender sollte sie geschützt werden. „Wenn es im Louvre brennt, würde man ja auch zuerst die Räume mit den meisten und wertvollsten Bildern zu retten versuchen“, argumentiert Christof Schenck.

Schon jetzt steht fest, dass der biologische Reichtum auf der Erde recht ungleichmäßig verteilt ist. Schätzungen zufolge sollen auf nur 20 Prozent der Erdoberfläche insgesamt 80 Prozent aller Arten leben. Mit verschiedenen Methoden haben Wissenschaftler versucht, die wertvollsten unter diesen biologischen Schatzkammern zu identifizieren.

Ein Team um Norman Myers von der britischen Oxford University sieht dabei zum Beispiel die Zahl der sogenannten Endemiten als wichtiges Kriterium. So nennen Biologen jene Tiere und Pflanzen, die weltweit nur in einem bestimmten Gebiet leben. Um sich bei Myers als Hotspot der biologischen Vielfalt zu qualifizieren, muss eine Region mindestens 1500 einmalige Pflanzenarten aufweisen können, auch endemische Tiere gelten als Pluspunkt. Gleichzeitig muss es sich aber auch um ein stark bedrohtes Ökosystem handeln, das schon mehr als 70 Prozent seiner ursprünglichen Vegetation verloren hat.

In diesem Casting der Naturparadiese kann zum Beispiel das Mittelmeergebiet punkten mit rund 13.000 Pflanzenarten, die es nirgendwo sonst auf der Erde gibt. Auch in der Abgeschiedenheit von Inseln wie Neuseeland hat sich im Laufe der Jahrtausende eine ganz eigene Flora und Fauna entwickelt. Die meisten Hotspots aber haben Norman Myers und seine Kollegen in den Tropen identifiziert. So wachsen in den tropischen Anden Südamerikas nicht nur rund 20.000 endemische Pflanzen, dazu kommen auch noch insgesamt 1600 einzigartige Säugetiere, Vögel, Reptilien und Amphibien.

Mehr Vielfalt in klimatisch stabilen Gebieten

Allerdings sind auch innerhalb eines solchen Hotspots nicht alle Bereiche gleich wertvoll. Ana Carolina Carnaval und Craig Moritz von der University of California in Berkeley haben daher versucht, die Eldorados der Tier- und Pflanzenwelt genauer einzugrenzen. In ihren Augen ist eine Region dabei umso wertvoller, je weniger Klimaschwankungen sie in den letzten Jahrtausenden erlebt hat. In klimatisch stabilen Refugien habe die Evolution schließlich mehr Zeit gehabt, eine große biologische Vielfalt zu schaffen.

Getestet haben die Forscher diese Theorie im Atlantischen Regenwald an der Ostküste Brasiliens. Der zentrale Teil dieses Hotspots hat klimatisch deutlich ruhigere Zeiten hinter sich als der südliche Bereich. Und dieser Unterschied hat sich im Erbgut von drei Laubfrosch-Arten niedergeschlagen, die das Team untersucht hat. So fand sich bei Tieren aus den zentralen Regionen eine deutlich größere genetische Vielfalt als bei Artgenossen aus dem Süden.

Ähnliche Befunde gibt es auch für Säugetiere, Reptilien und Vögel. Doch ausgerechnet der zentrale Teil des Atlantischen Regenwaldes ist bisher nur wenig erforscht. „Wir sagen nicht, dass der Süden nicht wichtig wäre“, betont Craig Moritz. „Die Daten zeigen uns aber, welchem Bereich Wissenschaftler und Naturschützer mehr Aufmerksamkeit schenken sollten.“ Auch in anderen Regionen der Erde könnte sich nach Einschätzung der Forscher noch jede Menge bisher unentdeckte Vielfalt verbergen.

„Die Chance dafür ist umso größer, je wilder das jeweilige Gebiet ist“, sagt Christof Schenck. Die Vielfalt der Gene, Arten und Ökosysteme sei schließlich ein Produkt der Evolution. Die aber könne dort am besten arbeiten, wo der Mensch noch nicht die gesamte Regie an sich gerissen hat. Allerdings braucht sie dazu nicht nur Zeit und Ruhe, sondern auch Platz. „Außer auf Vielfalt und Wildnis achten wir deshalb auch auf die Größe einer Fläche“, erklärt der Zoologe. So engagiert sich die ZGF außerhalb Europas nur in Naturparadiesen, die mindestens eine Fläche von 1000 Quadratkilometern haben – also größer als Berlin sind. Platz genug für Wunder, die nicht so bald aufhören.