Berliner Ausstellung: Wie Humboldt einst die Dahlien nach Europa brachte
Die Erfolgsgeschichte der Dahlie als Zierpflanze in Europa begann mit eine Expedition Alexander Humboldts. Doch nicht nu die Dahlie fand mit Humboldt ihren Weg nach Europa. Eine neue Ausstellung erzählt nun diese Geschichten.
Es war eine elende Plackerei. Und doch so faszinierend. Am 19. September 1803 gab Alexander von Humboldt wieder einmal seiner Leidenschaft für Vulkane nach. Mühsam erklomm er den Jorullo in Mexiko und kletterte in dessen Krater. Dabei war der qualmende Riese erst gut 40 Jahre zuvor entstanden. Noch immer spuckte er heiße vulkanische Gase aus.
Die Gesichter seiner Begleiter und auch sein eigenes seien geradezu verbrannt gewesen, schrieb Humboldt. Doch auf den fruchtbaren Vulkanhängen stieß der Forschungsreisende auch auf eine interessante Vegetation. Von ein paar orangerot blühenden Pflanzen nahm er eine Portion Samen mit – nicht ahnend, dass er damit der Dahlienzucht in Europa einen entscheidenden Schub versetzen würde.
Eine regelrechte Sammelwut
Solche Geschichten erzählt derzeit die Ausstellung „Pflanzensammler“ in der Humboldt-Universität (HU) Berlin, die im Rahmen des Humboldt-Festjahres 2019 stattfindet. Mit Unterstützung des Botanischen Gartens und Botanischen Museums Berlin präsentieren das Albrecht-Daniel- Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften und die Initiative #WirsindHumboldt den Naturforscher in einer kaum bekannten Rolle: als Entdecker und Importeur von wichtigen Zierpflanzen. „Wir wollen zeigen, was er von seiner Südamerika-Reise alles mitgebracht hat und was Züchter inzwischen daraus gemacht haben“, sagt Laura Benjamin von #WirsindHumboldt.
Dabei müssen sich die Ausstellungsmacher zwangsläufig auf einige Beispiele konzentrieren. Denn während Alexander von Humboldt und der französische Botaniker Aimé Bonpland von 1799 bis 1804 durch Süd- und Mittelamerika reisten, steigerten sie sich in eine regelrechte Sammelwut hinein. Sie sahen sich zunächst in Venezuela um und fuhren dann 2 250 Kilometer weit in einem Einbaum den Orinoco, den Rio Negro und andere Flüsse entlang. Spätere Abschnitte der Reise führten sie nach Kuba und durch die heutigen Staaten Kolumbien, Ecuador und Peru.
Mühsam schlug sich das Entdeckerteam durch dichte Wälder und ausgedehnte Sümpfe, durchquerte unwegsame Gebirgslandschaften und bestieg Vulkane. Überall fanden sich interessante Tiere und Pflanzen, die es sich mitzunehmen lohnte. Auf ihrem Weg durchs Hochland der Anden brauchten die Forscher mitunter zwanzig Maultiere, um die Ausbeute überhaupt transportieren zu können. Über Mexiko und die USA kehrten sie schließlich 1804 nach Europa zurück.
6000 Pflanzen im Gepäck
„Ein Teil des Materials, das sie unterwegs gesammelt hatten, ist zwar durch das feuchte Tropenklima, durch Schiffbrüche und Piratenüberfälle verloren gegangen“, sagt Laura Benjamin. „Trotzdem haben Humboldt und Bonpland von dieser Expedition etwa 6 000 verschiedene Pflanzen mitgebracht.“ Dabei handelte es sich vor allem um gepresste Exemplare und Zeichnungen, es war aber auch keimfähiges Saatgut dabei. Und das hat etlichen amerikanischen Arten auch in Europa eine Karriere als Garten- oder Zimmerpflanzen ermöglicht.
Die Dahlien konnten damit an eine alte Erfolgsgeschichte anknüpfen. Jahrhunderte vor den Europäern hatten bereits die Azteken die bunten Sommerblumen als Symbole der Sonne geschätzt und in ihre Gärten gepflanzt. Dabei begnügten sie sich nicht mit den etwa 35 wild wachsenden Arten, sondern züchteten auch schon neue, halb gefüllte Varianten, die um die Blütenmitte herum mehrere Kränze aus Zungenblüten bilden.
Doch bis die Dahlien auch in Europa populär wurden, sollte es lange dauern. Zwar schickte Vincente Cervantes, der Direktor des Botanischen Gartens in Mexiko, schon 1789 Dahliensamen an seinen Kollegen in Madrid. Ein Jahr später blühten dort die ersten halb gefüllten Dahlien Europas. Allerdings handelte es sich nur um wenige Pflanzen mit kleinen, gelben Blüten, die es nicht mit ihren spektakulären Verwandten aus heutiger Zucht aufnehmen könnten.
„Gärtnerisch interessant wurden die Dahlien erst, als Humboldt die Samen aus Mexiko an den Botanischen Garten Berlin schickte“, erklärt Heiner Grüneberg vom Thaer-Institut. Denn dieses Saatgut stammte von Wildpflanzen mit orangeroten Blüten. Mit dieser neuen Schattierung aber hatte man nun die Möglichkeit, eine ganze Palette von neuen Sorten in verschiedenen Farben zu züchten. Mittlerweile gibt es weltweit mehr als 20 000 Dahlien-Sorten in vielen Farben und Formen.
Die Anpassung der Weihnachtssterne
Auch andere Pflanzen, die Humboldt von seiner Expedition mitgebracht hat, haben sich im Zuge ihrer Zierpflanzen-Karriere deutlich verändert. Das gilt zum Beispiel für die äußerst populären Weihnachtssterne, die jedes Jahr in der Adventszeit zu Millionen über den Ladentisch gehen. In ihrer Heimat in den tropischen und subtropischen Wäldern Südmexikos und Mittelamerikas können diese immergrünen Sträucher bis zu vier Meter hoch werden – was sie als Zimmerpflanzen denkbar ungeeignet macht. Also war auch in diesem Fall die Kreativität von Züchtern gefragt. In den 1920er-Jahren war das dekorative Gewächs mit den grünen und roten Blättern zunächst als Schnittblume beliebt, ab 1950 wurde es dann gezielt als Topfpflanze gezüchtet. Wichtig war dabei vor allem, dass der pflanzliche Adventsbegleiter nun auch mit den schwierigen Wachstumsbedingungen in geheizten Räumen zurechtkam.
Der moderne Weihnachtsstern soll vor allem einen kompakten Wuchs haben, lange halten und sich in riesigen, hochtechnisierten Gewächshäusern rasch heranziehen lassen. Die gewünschten Eigenschaften erzielen Gärtnereien dabei nicht nur, indem sie ausgesuchte Pflanzen miteinander kreuzen. Sie infizieren die Adventssymbole auch mit parasitischen Bakterien, den sogenannten Phytoplasmen, um sie zu einem verzweigten Wuchs anzuregen.
Andere südamerikanische Entdeckungen Humboldts stoßen erst in letzter Zeit auf größeres Interesse. Als vielversprechende „Neue Zierpflanze“ gilt zum Beispiel die Angelonie, die Humboldt und Bonpland zum ersten Mal wissenschaftlich beschrieben haben. Zwischen 25 und 40 Arten dieser auch als Sommer-Löwenmaul oder Engelsblume bekannten Pflanzen sollen im tropischen Lateinamerika wachsen. Als Hochburg der Angelonien gelten die Trockenwälder im Nordosten Brasiliens, wo erst 1997 eine neue Art entdeckt und auf den Namen Angelonia alternifolia getauft wurde.
Üppige Angelonien
Zwar werden Angelonien in Europa schon seit Anfang des 19. Jahrhundert kultiviert. Erst in den 1990er-Jahren sind sie aber stärker ins Blickfeld von Züchtern gerückt. So wurden damals die ersten Hybriden geschaffen, die man statt aus Samen aus Stecklingen heranziehen kann. 2001 kam dann auch eine solche Sorte auf den Markt, die statt eines doppelten einen vierfachen Chromosomensatz besitzt. Diese sogenannten tetraploiden Varianten haben größere, üppigere Blüten und werden vor allem als Topfpflanzen verkauft.
Und das ist noch nicht das Ende der Entwicklung. Seit 2009 arbeiten Züchter aus Dresden und Israel auch an Angelonien, die sich besonders gut als Schnittblumen eignen. Humboldts südamerikanische Bekanntschaften werden sich also wohl auch in Zukunft immer wieder im neuen Kleid präsentieren.
Ausstellung: „Pflanzensammler – Die Entdeckung von Zierpflanzen durch Alexander von Humboldt“, geöffnet vom 15. Mai, 18 Uhr, bis 23. Mai, 18 Uhr. Mo–Fr 9–20 Uhr, Sa 9–17 Uhr. Lichthof des Hauptgebäudes der Humboldt-Universität, Unter den Linden 6, 10117 Berlin. Eintritt frei.