Die Monde Europa, Enceladus und Titan: Wo in unserem Sonnensystem Wasser fließt
Wasser ist das Lebenselixier. Aus ihm kam das Leben, es erhält das Leben. In flüssiger Form kommt es in unserem Sonnensystem einzig auf der Erde vor – jedenfalls an der Oberfläche. Erstaunlicherweise existieren in den sonnenfernen Bereichen, wo die Temperaturen auf den Planeten und Monden weit unter dem Gefrierpunkt liegen, riesige Ozeane. Um sie zu erreichen, müsste man jedoch tief in die Körper hineinbohren. Sie sind unter dicken Eispanzern verborgen.
Prominentes Beispiel ist der Jupiter-Mond Europa. Mit 3130 Kilometern Durchmesser ist er nur wenig kleiner als der Erdmond. Seine spiegelnde Oberfläche besteht gänzlich aus Wassereis, das bei einer Temperatur von minus 150 Grad Celsius hart wie Stahl ist. Sie ist von Furchen durchzogen, die bis zu tausend Kilometer lang und drei Kilometer breit sind. Zunächst deutet hier also nichts auf flüssiges Wasser hin.
Doch mit der Raumsonde „Galileo“, die von 1995 bis 2003 Jupiter umkreiste und dabei auch mehrmals an Europa vorbeiflog, entdeckten Forscher ein schwaches Magnetfeld. Dessen Ursache ist wahrscheinlich ein unter der rund zehn Kilometer dicken Eisdecke verborgener Ozean aus warmem Wasser, in dem, ähnlich wie in den Erdozeanen, Salze gelöst sind. Dadurch wird das Wasser elektrisch leitend. Nach heutigen Schätzungen könnte der Ozean doppelt so viel Wasser enthalten wie alle irdischen Ozeane zusammen.
Diese Entdeckung kam überraschend, hatten die Forscher doch erwartet, dass der Mond komplett ausgekühlt sei. Ursache für die innere Wärme ist Jupiter. Der größte Planet im Sonnensystem erzeugt starke Gezeitenkräfte, die das Innere Europas durchkneten und erwärmen, ähnlich wie ein Metallstab, den man hin und her biegt. Das hat auch Auswirkungen auf die Oberfläche.
Europa besitzt Plattentektonik
Das Geflecht von rot-braunen Gräben, die den blauen Eispanzer durchschneiden, entstand wahrscheinlich, als die Eisdecke unter den starken Gezeitenkräften aufriss. Aus den entstehenden Spalten quoll Wassermatsch hervor und lagerte sich als bräunlicher Belag am Rand ab. Zusätzlich schoss ein Gemisch aus Gas, Gestein und Eis aus der Öffnung heraus und türmte sich links und rechts der Spalten zu hundert Meter hohen Böschungen auf. Ob es noch heute solche Aktivitäten auf dem Jupitermond gibt, ist unbekannt.
Jüngst nahmen US-amerikanische Wissenschaftler die alten „Galileo“-Aufnahmen noch einmal genau unter die Lupe und fanden Hinweise auf eine Art Plattentektonik. Aus den Rillen quillt frisches Eis hervor und erneuert ständig die Eiskruste. Gleichzeitig wird an anderen Stellen altes Eis unter die Kruste geschoben. Dies geschieht in bis zu 30 Kilometer breiten und mehr als 1700 Kilometer langen, dunklen Bereichen, an deren Kanten das Gelände offenbar abrupt abbricht.
Diese Form der Plattentektonik würde auch erklären, warum die Oberfläche mit nur einigen zehn Millionen Jahren sehr jung ist im Vergleich zum Alter des Mondes von 4,6 Milliarden Jahren. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Europa im Sonnensystem der einzige andere Himmelskörper außer der Erde ist, der alle grundlegenden Komponenten einer Plattentektonik besitzt“, resümieren Simon Kattenhorn von der University of Idaho in Moscow und seine Kollegin Louise Prockter von der Johns Hopkins University in Laurel kürzlich in der Zeitschrift Nature Geoscience.
Antrieb für die mutmaßliche Plattentektonik könnten auch Strömungen im verborgenen Ozean sein. Wissenschaftler von der Universität in Austin, Texas, und dem Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen fanden kürzlich mit Computersimulationen heraus, dass erwärmtes und damit leichteres Wasser nach oben steigt und kälteres Wasser absinkt. „Diese Bewegungen in Europas Ozean werden durch Temperaturunterschiede angetrieben“, sagt Max-Planck-Forscher Johannes Wicht. Damit gäbe es im Innern des Mondes ähnliche Meeresströmungen wie auf der Erde.
Noch weiter von der Sonne entfernt umkreisen Enceladus und Titan den Ringplaneten Saturn. Auf Enceladus herrschen Temperaturen um minus 200 Grad Celsius, bei denen eigentlich alles erstarrt sein müsste. Und dennoch haben Forscher mit der Raumsonde „Cassini“, die seit dem Jahr 2004 Saturn und seine Trabanten erkundet, auf dem nur 500 Kilometer großen Mond Enceladus geysirartige Eisvulkane entdeckt.
Kristalle für Saturns Ringe
Sie treten ausschließlich in der Südpolregion auf. Dort schießen Fontänen aus Wasserdampf und Eis aus wenige Kilometer breiten Rillen hervor, die die Forscher Tigerstreifen genannt haben. Die schnellsten und kleinsten Kristalle verlassen das Schwerefeld des Mondes und verteilen sich auf dessen Umlaufbahn. Auf diese Weise bilden sie den sogenannten E-Ring des Saturns und füllen ihn in jeder Sekunde mit etwa 200 Kilogramm Material auf. Die langsameren Teilchen können Enceladus’ Schwerefeld nicht verlassen und rieseln wieder auf die Oberfläche hinab. Dadurch wächst in der Umgebung der Schlote die Schneedecke jährlich um etwa einen halben Millimeter.
„Cassini“ hat mehrmals diese Fontänen durchquert, sodass Forscher Größe und Zusammensetzung der Teilchen analysieren konnten. Demnach handelt es sich überwiegend um Kochsalz und Natriumcarbonat sowie Kaliumsalze. Aber auch organische Moleküle ließen sich nachweisen. Alle Ergebnisse sprechen dafür, dass ein großes Wasserreservoir existiert, dessen Salzgehalt demjenigen irdischer Ozeane entspricht. Dieses verborgene, schätzungsweise zehn Kilometer tiefe Meer bildet eine Schale zwischen einem felsigen Kern und dem mehrere zehn Kilometer dicken Eispanzer.
So wie bei Europa vermuten die Forscher auch bei Enceladus Gezeitenkräfte als Ursache der inneren Wärme. Unklar blieb aber bisher, ob die Risse selbst durch Reibung genügend Wärme erzeugen, um die Geysire anzutreiben, oder ob das Wasser aus der Tiefe stammt.
Vor Kurzem gelang es einem Team um Carolyn Porco vom Space Science Institute in Boulder, insgesamt 101 Geysire zu beobachten und deren Austrittsorte auf der Oberfläche bis auf wenige zehn Meter genau zu lokalisieren. Sie fallen genau mit kleinen Gebieten zusammen, die um einige zehn Grad wärmer sind als die Umgebung.
Aus diesen neuen Daten schließen die Forscher, dass flüssiges Wasser durch feine Kanäle aus tieferen Schichten des Mondes nach oben steigt und aus Rissen herausschießt. Erwärmt wird die Umgebung dieser Eisschlote durch zurückfallendes Wasser, das einen Teil seiner Wärme an die Umgebung abgibt. „Als wir die Ergebnisse in der Hand hatten, wussten wir sofort, dass die Geysire kein Oberflächenphänomen sind, sondern viel tiefere Wurzeln besitzen“, erklärt Carolyn Porco.
Sowohl bei Europa als auch bei Enceladus spekulieren manche Forscher, ob am Boden des jeweiligen Ozeans Leben entstanden sein könnte. Sonnenlicht kann bis dorthin nicht vordringen, aber die innere Wärme könnte eine nötige Energiequelle sein, ähnlich wie die weißen und schwarzen Raucher, jene hydrothermalen Quellen am Grund der Tiefsee, um die sich ganz eigene Biotope entwickelt haben.
Flüssiges Oberflächenwasser gibt es in unserem Sonnensystem nur auf der Erde. Aber der Saturn-Mond Titan verfügt ebenfalls über große Meere. Allerdings sind sie nicht mit Wasser gefüllt, sondern mit flüssigem Methan und Ethan. Bei uns sind das die Hauptbestandteile von Erdgas. Das macht Titan zu einem der exotischsten Monde.
Mit einem Durchmesser von 5150 Kilometern ist er der zweitgrößte Trabant im Sonnensystem. Er ist als Einziger von einer dichten Atmosphäre umgeben. Sie ist ein wahres Laboratorium für organische Chemie, in dem sich Azetylen und andere organische Kohlenwasserstoffe bilden. Eine dichte Smogschicht schließt die Atmosphäre ab und verhindert weitgehend den Blick auf die Oberfläche. Nur in einigen Spektralbereichen kann man sie beobachten. Die wichtigsten Informationen gelangen jedoch mit einem Radargerät an Bord von „Cassini“.
Meere voller Brennstoff
Die Atmosphäre besteht fast ausschließlich aus Stickstoff und Methan und erreicht am Boden einen Druck von etwa 1,6 Atmosphären bei Temperaturen um minus 190 Grad Celsius. Unter den dort herrschenden Bedingungen läuft ein Methankreislauf ab, der dem Wasserkreislauf auf der Erde entspricht: Methanwolken schweben in der Atmosphäre, aus denen ein feiner Regen herabrieselt und sich in Seen und Flüssen ansammelt. In hohen nördlichen Breiten gibt es riesige Meere. Das größte von ihnen, Kraken Mare, ist mit einer Fläche von etwa 400.000 Quadratkilometern größer als der größte See der Erde, das Kaspische Meer.
Das Radargerät an Bord von „Cassini“ konnte jüngst sogar bis zum Boden des kleineren Ligeia Mare vordringen. Daraus ermittelten die Forscher eine Tiefe von etwa 170 Metern. Alexander Hayes von der Cornell Universität in Ithaca, USA, berechnete kürzlich, dass alle Meere auf Titan zusammen 9000 Kubikkilometer Methan und Ethan enthalten – 40 Mal mehr als in allen bekannten Reservoiren der Erde.
Mittlerweile erstellen Wissenschaftler Klimamodelle für Titan. Auch dort gibt es Jahreszeiten, die allerdings 7,5 Erdjahre lang anhalten. Da der Mond zusammen mit Saturn 29,5 Jahre für einen Umlauf um die Sonne benötigt, dauert dort ein Jahr ebenso lange. Da „Cassini“ seit 2004 vor Ort ist, konnte die Sonde bereits einen Wetterwandel beobachten. Seit Kurzem hält auf der Nordhalbkugel der Frühling Einzug. Es wird langsam wärmer, und Forscher sichteten im Juli dieses Jahres die ersten Methan-Wolken über dem Ligeia Mare. Sie konnten verfolgen, wie sie innerhalb von 20 Stunden Form und Größe veränderten und mit rund 15 Kilometern pro Stunde über den See hinwegzogen.
Im August bemerkte das „Cassini“-Team auch im Uferbereich des Ligeia Mare eine Veränderung, die sich bislang nicht erklären ließ: ein rund 75 Quadratkilometer großes, hell erscheinendes Gebilde, das seine Form langsam veränderte. Nach Ansicht der Forscher könnten es Wellen, aufsteigende Blasen, schwimmende Festkörper oder aus dem Meer ragende Felsen sein.
Meere, Winde, Wolken und Regen – diese Wetterphänomene wirken vertraut und erinnern in verblüffender Weise an unseren Planeten. Doch während bei uns Wasser alles Geschehen bestimmt, sind es dort Kohlenwasserstoffe. Für uns Menschen wäre diese Welt absolut tödlich. Und dennoch spekulieren Astrobiologen über mögliches Leben auf Titan. In absehbarer Zeit wird man das nicht herausfinden. Zurzeit ist keine Landemission geplant.