Energy Sharing: Wie wir die Energiewende beschleunigen können

Bürger können gemeinschaftlich ihren eigenen Wind- und Solarstrom erzeugen und finanzieren. 90 Prozent der Haushalte könnten das nutzen, zeigt eine Studie.

Deutschlands größtes Solarstrom-Projekt auf einer zusammenhängenden Wohnanlage in Berlin-Lichtenberg
Deutschlands größtes Solarstrom-Projekt auf einer zusammenhängenden Wohnanlage in Berlin-Lichtenbergdpa/Jörg Carstensen

Berlin-Erneuerbare Energien bieten nicht nur einen Ausweg aus der Klimakrise, sie sind auch zentral für mehr Energiesouveränität und Versorgungssicherheit. Doch noch läuft der Ausbau viel zu schleppend. Er muss dringend deutlich beschleunigt werden, damit Deutschland noch seine Klimaziele erreichen kann. Gerade Bürgerinnen und Bürger können dabei eine entscheidende Rolle spielen, zeigt nun eine aktuelle Analyse des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) in Berlin. Die Wissenschaftler haben das Potenzial untersucht, das darin steckt, wenn Bürger über ein sogenanntes Energy Sharing – übersetzt: Energieteilung – an der Energiewende beteiligt werden. Das Konzept hat die Organisation Bündnis Bürgerenergie vorgeschlagen.

Die Idee von Energy Sharing: Bürgerinnen und Bürger produzieren und finanzieren in sogenannten Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften regional ihren eigenen Wind- und Solarstrom. Damit sollen private Haushalte, aber auch ganze Gemeinschaften, mit der sauberen Energie in einem Umkreis von 25 Kilometern versorgt werden. Die Gemeinschaften sollten das Stromnetz nutzen und einen finanziellen Vorteil erhalten können, wenn sie selbst erzeugten Strom aus „ihrer“ Anlage zeitgleich verbrauchen, heißt es in der IÖW-Studie.

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Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften stärken Akzeptanz

„Wenn mehr Menschen diese Möglichkeit bekommen und sich in Gemeinschaften zusammenschließen, dann können sie auch im Großen mehr erreichen“, schreiben die Autoren des IÖW in ihrer Analyse. Bei entsprechender politischer Förderung könnten so 42 Prozent des Zubaus erneuerbarer Energien bis 2030 gemäß dem aktuellen Ausbauplan zum Erreichen der Klimaziele durch Bürger getragen werden, so die Studie.

„Wir erleben derzeit, dass sich die teilweise fehlende Akzeptanz für den Ausbau von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie zu einem Bremsklotz entwickelt“, sagt Studienautorin Astrid Aretz, Energiewendeexpertin am IÖW. „Wir sind überzeugt, dass dies ins Gegenteil gewendet werden kann: Wenn Bürger*innen an der Energiewende selbst teilhaben können, können sie zu einer tragenden Säule für den Ausbau erneuerbarer Energien und damit für den Klimaschutz werden.“

Mithilfe der Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften könnten 75 Terrawattstunden Strom erzeugt werden, was dem Strombedarf von fast 34 Millionen Haushalten entspricht. Gut 90 Prozent aller Haushalte könnten demnach in Deutschland mit Energy-Sharing-Strom versorgt werden. Wird angenommen, dass Mitglieder der Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften mindestens zwölf Prozent der Investitionskosten ihrer Anlagen beisteuern, würden sich Investitionen in Höhe von 6,5 Milliarden Euro ergeben. Das entspreche im Durchschnitt rund 100 Euro pro Mitglied. „Somit ermöglichen auch geringe Mitgliedsbeiträge eine Teilnahme an solch einer Gemeinschaft, und finanzielle Eintrittsbarrieren werden damit möglichst klein gehalten“, schreiben die Berliner Wissenschaftler.

Die Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften könnten sich zudem überall in Deutschland bilden. Dabei sei die Anzahl der Mitglieder einer solchen Gemeinschaft in bevölkerungsreichen Regionen, etwa im Ruhrgebiet oder im Umland der Metropole Berlin, deutlich größer als in ländlichen Regionen. Im Durchschnitt habe eine Erneuerbare-Energie-Gemeinschaft gut 10.800 Mitglieder, heißt es in der IÖW-Studie. Das Energy-Sharing-Potenzial je Bundesland variiere in Abhängigkeit von der Anzahl der Bewohnerinnen und Bewohner. Am größten sei es demnach in den bevölkerungsreichen Ländern Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern, am kleinsten in Bremen, Hamburg und Berlin.

In den vergangenen 20 Jahren haben sich bereits in zahlreichen Gemeinden Deutschlands Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften gegründet, in denen Bürger als Miteigentümer von Erzeugungsanlagen am Ausbau erneuerbarer Energien vor Ort direkt beteiligt sind. Die Organisation Bündnis Bürgerenergie hat deutschlandweit rund 500.000 Mitglieder. Auch in Berlin gibt es die Genossenschaft BürgerEnergie, die den gemeinsamen Betrieb des Berliner Stromnetzes durch das Land Berlin und der Bürgergenossenschaft fordert und Projekte zum Ausbau erneuerbarer Energien mithilfe der Mitgliedsbeiträge voranbringt.

Energy Sharing wird noch nicht gefördert

Energy Sharing habe großes Potenzial und müsse schnell in Deutschland verbreitet werden, so lautet letztendlich die klare Empfehlung der Wissenschaftler des IÖW an die Politik. Schließlich hat sich die Bundesregierung vorgenommen, bis 2030 einen Anteil von 80 Prozent erneuerbarer Energien an einem, durch die Sektorenkopplung steigenden, Bruttostromverbrauch zu generieren. Für den Ausbau innerhalb kürzester Zeit braucht es aber eben auch die Akzeptanz und Investitionsbereitschaft der Menschen vor Ort. Energy Sharing sei da ein wichtiges Mittel, schlussfolgern die IÖW-Autoren.

Um die Energie-Initiativen voranzubringen, müsse es unter anderem finanzielle Anreize geben. Zum Beispiel könnten verringerte Stromnebenkosten oder eine Prämienzahlung dabei unterstützen, diese Modelle zu fördern. Auch sollte es für jeden Menschen in Deutschland unkompliziert möglich sein, in eine Erneuerbare-Energie-Gemeinschaft zu wechseln, fordern die Wissenschaftler.

Das zentrale Problem: Bislang wird Energy Sharing noch nicht gefördert. Dabei wurde der Stellenwert des Konzepts auf EU-Ebene schon längst erkannt. 2018 wurde daher auch die EU-Richtlinie verabschiedet, die den bisherigen Konsumenten die neue Rolle als sogenannter Prosumer einräumt, also Menschen, die ein bestimmtes Gut, in diesem Fall Energie, sowohl produzieren als auch konsumieren können. Damit sollen die Menschen in Europa in Zukunft im Mittelpunkt des Energiesystems stehen und alleine oder gemeinschaftlich Energie nicht nur verbrauchen, sondern diese auch erzeugen, verkaufen und handeln.

Die Umsetzung der EU-Richtlinie hätte auf nationaler Ebene eigentlich bis zum 30. Juni 2021 erfolgen sollen. Doch Deutschland hat diese bisher nur unzureichend umgesetzt. Das Bündnis Bürgerenergie hat aus diesem Grund im August letzten Jahres bereits eine Beschwerde bei der EU-Kommission gegen Deutschland eingereicht. „Damit Energy Sharing im öffentlichen Stromnetz wirtschaftlich möglich ist, muss der gesetzliche Rahmen nun zügig an das geltende EU-Recht angepasst werden“, fordert IÖW-Co-Autor Jan Wiesenthal. Dann könnten sich Erzeugungs- und Verbrauchsgemeinschaften bilden, die gemeinsam in Anlagen investieren.

„Die Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften sollten eine angemessene Vergütung erhalten, wenn sie ihren Verbrauch zeitlich und räumlich an die fluktuierende Erzeugung von Wind- und Solarstrom anpassen. Von einem solchen netzdienlichen Verhalten würde das gesamte Energiesystem profitieren“, erklärt Wiesenthal. Aber dafür müssen eben die entsprechenden Stellschrauben in der Politik gedreht werden.