Ermittlungen gegen Netzpolitik.org: Das ist Deutschland - Land der Ideen

Berlin - Wir leben in einem Rechtsstaat. Darum ist es wichtig, an die Rechtslage zu erinnern. Der erste Abschnitt des den Landesverrat betreffenden Paragraphen 94 des Strafgesetzbuches lautet: „Wer ein Staatsgeheimnis 1.) einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner mitteilt oder 2.) sonst an einen Unbefugten gelangen lässt oder öffentlich bekanntmacht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.“

Blamabel für den Verfassungsschutz

Was hat das mit dem Vorgehen des Generalbundesanwaltes Harald Range gegen Netzpolitik.org zu tun? Nichts. Überhaupt nichts. Der Generalbundesanwalt hatte, einer Anzeige des Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen folgend, Ermittlungen gegen die Online-Journalisten geplant, weil sie „enthüllt“ haben sollen, dass der Verfassungsschutz daran arbeite, massenhaft Internet-Inhalte zu erheben und auszuwerten, darunter Kontaktlisten und Beziehungsgeflechte bei Facebook. Dafür habe der Inlandsgeheimdienst einen Posten von 2,75 Millionen Euro in seinem geheimen Haushalt eingeplant.

Die Enthüllung, die bis zur Anzeige des Verfassungsschutzpräsidenten ja nur eine Behauptung, eine womöglich durch eine Fälschung gestützte Behauptung war, ist blamabel für den Verfassungsschutz. Sie erfüllt aber ganz sicher nicht das Kriterium der Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Es geht aber nicht nur um Kriterien. Das Dokument, das Netzwerk Netzpolitik.org veröffentlichte wurde nicht als geheim eingestuft, sondern trug den Vermerk "Verschlusssache – vertraulich". Es gehört also keinesfalls zu den von Paragraph 94 gemeinten Tatbeständen.

Einen Staat schützen

Es sagt alles über die völlige Verkennung der Rechtslage und der deutschen Öffentlichkeit, dass die Veröffentlichung eines als geheim eingestuften Dokumentes des Verfassungsschutzes in Sachen V-Mann-Aktivitäten beim NSU durch Süddeutsche Zeitung und NDR etc. vom Generalbundesanwalt zwar zusammen mit den Netzpolitik.org betreffenden Anträgen geprüft wurde, aber nicht verfolgt wird.

Der gelernte Völkerrechtler Hans-Georg Maaßen hat im Eifer des Gefechtes wohl einfach ins falsche Strafgesetzbuch geschaut. Aber wieso der erfahrene Strafrechtler Range ihm folgte, das weiß der Teufel. Jedenfalls belehrt uns ein Blick auf den Paragraphen 99 des Strafgesetzbuches der DDR („Landesverräterische Nachrichtenübermittlung“), dass die Verteidiger des demokratischen Rechtsstaates der Bundesrepublik dort eine maßgeschneiderte Rechtsgrundlage für ihr Verfahren finden können: „1.) Wer der Geheimhaltung nicht unterliegende Nachrichten zum Nachteil der Interessen der Deutschen Demokratischen Republik an die im Paragraph 97 genannten Stellen oder Personen (= ausländische Stellen und Personen) übergibt, für diese sammelt oder ihnen zugänglich macht, wird mit Freiheitsstrafe von zwei bis zu zwölf Jahren bestraft. 2.) Vorbereitung und Versuch sind strafbar.“ Die Genossen wussten einfach besser wie ein Staat zu schützen ist.

„Abgrund von Landesverrat“

In der Bundesrepublik aber gibt es in Wahrheit keinen Staatsschutz. Hier wird die Verfassung geschützt. Allerdings scheinen selbst Verfassungsschützer das immer wieder zu vergessen. Sei es, dass sie durch den Bundeskanzler – wie 1962 geschehen – im Bundestag einen „Abgrund von Landesverrat“ ausrufen lassen, weil der Spiegel in einer Titelgeschichte unter dem Titel „Bedingt abwehrbereit“ die Bevölkerung über Mängel in der Bundeswehr aufgeklärt hatte.

Oder aber als die Bundesanwaltschaft im Januar 1983 beim linken Hamburger Magazin Konkret einrückte und erklärte, es habe „ein Staatsgeheimnis, das von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheimgehalten wurde, öffentlich bekanntgemacht und dadurch fahrlässig die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verursacht zu haben.“

Schon damals war es nicht um militärische Geheimnisse gegangen, sondern um Darlegungen eines ehemaligen Chef des bayerischen Verfassungsschutzes, der aus dem Nähkästchen plauderte. Etwas anders lag der Fall Cicero. Im August 2005 untersuchte die Polizei mit Hilfe eines Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Potsdam die Redaktionsräume des Politikmagazins "Cicero".

Die Zeitschrift hatte im April 2005 einen Artikel über den jordanischen Extremistenführer Abu Mussab al-Sarkawi und die Terrorgefahr in Deutschland veröffentlicht, und sich dabei auf einen als "vertraulich" eingestuften Bericht des Bundeskriminalamts (BKA) gestützt. Also ebenfalls nicht „geheim“. In allen drei Verfahren mussten die Behörden spätestens vom Bundesverfassungsgericht belehrt einsehen, dass nicht die Journalisten strafbar gehandelt, sondern sie gegen die Gesetze verstoßen hatten.

Ehrung für netzwerk.org

Das wird diesmal nicht anders sein. Kommenden Mittwoch wird Netzpolitik.org als „Ausgezeichneter Ort“ geehrt werden. Von „Deutschland – Land der Ideen“, einer gemeinsamen Standortinitiative der Bundesregierung und der deutschen Industrie. Schirmherr ist Bundespräsident Joachim Gauck. Wie schön, dass noch ein Grund zur Ehrung hinzugekommen ist.