„Far Cry” am Bahnhof Zoo: Ubisoft hat ein großes Gaming-Studio in Berlin eröffnet
In dem Westberliner Großraumbüro ist es zu warm. Rund 60 junge Frauen und Männer brüten vor Bildschirmen. Ein paar Fenster sind geöffnet, Ventilatoren stehen im Raum, alles bringt nichts. Vielleicht liegt es an den vielen Computern, vielleicht an den Zuschauern im Raum. Der internationale Gaming-Konzern Ubisoft feiert die Eröffnung seines neuen Berliner Studios und bietet zu dem Anlass geführte Touren durch den großen Raum an.
Branche wächst schnell
Auch, wenn die Mitarbeiter artig referieren, was Konzeptzeichnern, oder 3D-Artists oder Programmierer hier so machen – aufregend sieht das nicht aus. Computerspiele werden an Computern entwickelt. Spektakulär ist das Ergebnis auf dem Bildschirm und nicht die Arbeit davor.
Dass gefeiert wird, dass Digitalisierungs-Staatsministerin Dorothee Bär und Staatssekretär Christian Rickerts im Foyer anstoßen, das liegt an der übergeordneten Bedeutung. Rickerts trägt die Zahlen vor: 140 Spielefirmen gibt es inzwischen in Berlin, sie erwirtschaften 250 Millionen Euro und sind im Durchschnitt erst vier Jahre alt. Videospiele können ein Standortfaktor sein, der zahlungskräftige Fachkräfte anlockt.
Viel konsumiert, wenig gekocht
Die Branche in der Hauptstadt ist jung und wächst schnell. Ein großer Name wie Ubisoft erregt Aufsehen und zieht weitere Talente an. Darauf hofft auch Managing-Director Benedikt Grindel. „Wir profitieren davon, wenn das Ökosystem wächst“, sagt er. Sein Unternehmen sieht in Berlin einen neuen Hotspot der Spielebranche. Ziehen andere Konzerne nach, hat er recht gehabt.
Viele in der Branche denken, dass Deutschland deutlich mehr Computerspiele machen könnte. Denn bisher hat es zwar großen Appetit und konsumiert kräftig, mag aber – um im Bild zu bleiben – nicht kochen: Das Land besitzt mit drei Milliarden Euro Umsatz den fünftgrößten Spielemarkt der Welt, produziert aber nur mickrige sechs Prozent davon selbst. Die Gründe für das Missverhältnis sind zahlreich, aber sie lösen sich langsam auf.
Ubi Berlin wird ein Platzhirsch
Die schlechte gesellschaftliche Akzeptanz? Nimmt ab, Games dürfen als Kulturgut auftreten. Die mickrige Branchenförderung? Soll laut dem aktuellen Koalitionsvertrag stärker und einfacher werden. Die fehlenden Fachkräfte? Sind langsam aber sicher eingetroffen, ausgebildet an deutschen Hochschulen.
Mit aktuell 60 Entwicklern gehört Ubi Berlin vielleicht zu den Platzhirschen der Stadt, aber das ist ausdrücklich nur der Anfang. Innerhalb eines Jahres will Grindel hier auf 100 Mitarbeiter wachsen. Studio-Manager Istvan Tajnay sieht die Prognose sportlich: „Vielleicht auch mehr!“, ruft er dazwischen. Bis Ende 2020 sollen 150 Menschen hier arbeiten. Wachsen wird Ubi Berlin müssen, um im großen Firmenverbund eine Rolle zu spielen. CEO Yves Guillemot hat viel vor.
Der Blockchain sei Dank
Er ist persönlich vom Firmensitz aus Frankreich angereist und erklärt säuselnd die nächsten zehn Jahre der Spieleentwicklung im Schnelldurchgang: Erstens werde Cloud-Gaming den Usern riesige, realistische Spielwelten bringen, zweitens würden Sprachsteuerung und noch ganz andere Interfaces das Medium für alle Menschen öffnen, und drittens würden die Spieler persönlich dank der Blockchain ökonomisch aktiv. Was die Prognosen mit der praktischen Arbeit nebenan zu tun haben sollen, bleibt unklar, aber das Publikum klatscht.
Bis die wolkige Zukunft eintrifft, setzen andere Ubisoft-Studios anderswo in Deutschland bereits Akzente. Ehemalige deutsche Traditionsmarken wie „Anno“ und „Die Siedler“, sind längst in dem Konzern aufgegangen und werden in Düsseldorf und Mainz weiterentwickelt.
Zutaten aus der Hauptstadt
Doch in der allerobersten Etage der Branche können solche beschaulichen Aufbausimulationen nicht mitspielen. Ubisoft ist in der Szene vor allem für zwei stabile Hits bekannt: Die historische Action-Rollenspielserie „Assassin’s Creed“ und das wilde Shooter-Spektakel „Far Cry“. Solche Kernserien entwickelt Ubisoft an vielen Standorten gleichzeitig. Die Firma hat ein komplexes Studionetzwerk von Europa über Amerika bis nach Asien gespannt. Jedes größere Spiel ist eine Kooperation über Ländergrenzen hinweg.
Natürlich werden in Berlin am Anfang keine Projekte geleitet. „Wir arbeiten an der „Far Cry“-Marke mit“, erklärt Tajnay. Im Fachsprech heißt das „Co-Development“ – ein Studio entwickelt Zutaten des Spiels, vielleicht einen Spielmodus oder optionale Nebenkapitel der Geschichte. Das klingt nicht glamourös, eher nach Zuarbeiten für andere, erfahrene Studios in Kanada, die nach wie vor die Fäden in der Hand halten.
Und die, ganz nebenbei, vielleicht das Klima in den Räumen besser regulieren. Die Temperaturen im Großraumbüro sind auch in der Nähe der offenen Fenster überraschend hoch. Aber hier macht sich die Wärmequelle bemerkbar: Die Heizung ist eingeschaltet.