Folgen des Klimawandels: Schlaflos grüßt das Murmeltier
So ein Penner: Ganze 367 Tage ratzte der australische Schlafbeutler durch und stellte damit einen Winterschlaf-Rekord auf. Zuvor hatte sich das kleine Tier aus der Familie der Bilche im Labor reichlich Fettreserven angefressen. Dann simulierten die Forscher an der University of New England Winterverhältnisse. Der Körper des Schlafbeutlers schaltete auf Sparflamme, sodass er nur noch ein Zwanzigstel der Energie verbrauchte wie im Wachzustand. Auf diese Weise kam er über ein Jahr lang ohne Nahrung aus. Der Versuch zeigt, dass Tiere karge Zeiten sehr lange überbrücken können. Über Millionen von Jahren hat die Evolution Strategien entwickelt, um die nahrungsarme Jahreszeit überleben zu können.
Während Vögel in den Süden flüchten, Eichhörnchen Vorräte sammeln und wechselwarme Tiere wie Frösche in Kältestarre verfallen, haben Säugetiere wie Murmeltier, Haselmaus oder Igel ihren eigenen Trick: Sie verschlafen den Winter einfach. Seit kurzer Zeit gibt es jedoch einen Ruhestörer – den Klimawandel. Forscher beobachten, dass einige Tiere früher und öfter aufwachen. „Wir werden Zeugen eines Umbruchs“, sagt der Biologe Karl-Heinz Schmidt von der ökologischen Außenstelle der Universität Frankfurt in Schlüchtern. Seit den 70er-Jahren führt er Erhebungen in einem fünf Hektar großen Untersuchungsgebiet durch. Dort kommen die Siebenschläfer mittlerweile vier bis sieben Wochen früher aus der Erde hervor, wo sie den Winter in Schlafhöhlen verbringen.
Nach dem Aufwachen klettern sie flink auf die Bäume, wo sie einen Platz für die Geburt ihrer Jungen suchen. Früher waren die Höhlen oder Nistkästen, die sie dort vorfanden, leer. Die Vogel-Jungen und ihre Eltern waren zum Zeitpunkt ihres Erwachens schon ausgeflogen. Heute aber kommt es bei der vorzeitigen Wohnungssuche zu einem tödlichen Zusammentreffen. Findet der Siebenschläfer noch Eier oder Jungvögel vor, frisst er sie auf. In Regionen, wo die Siebenschläfer nicht vorkommen, sei der Bruterfolg – etwa der Meisen – deutlich besser, berichtet Schmidt.
Aus dem Takt
Innerhalb eines Ökosystems nutzen verschiedene Tierarten die gleichen Ressourcen, tun dies aber häufig zeitversetzt. Durch klimatische Verschiebungen gerät dieser Ablauf aus dem Takt. Das Zusammenspiel zwischen verschiedenen Arten gerät aus dem Gleichgewicht. Es kommt zu Überschneidungen und verschärfter Konkurrenz. Auswertungen des Deutschen Wetterdienstes zeigen, dass in Deutschland Ende April die Bodentemperatur in den vergangenen fünfzig Jahren im Mittel um 5 Grad gestiegen ist. Das verändert den Beginn der Vegetationsperiode im Frühling, die Blütezeit von Pflanzen, das Schlüpfen und Verpuppen von Insekten, die anderen Tieren als Nahrung dienen.
Die Winterschläfer wachen früher auf, weil ihre Fettreserven durch die klimatischen Veränderungen schneller aufgebraucht sind. „Höhere Temperaturen sind schlecht für die Winterschläfer“, sagt Kathrin Dausmann, Professorin für Biologie am Zoologischen Institut der Universität Hamburg, „je wärmer es ist, desto mehr Energie verbrauchen sie“. Für den Winterschlaf krabbelt der Siebenschläfer in eine Erdhöhle ungefähr einen Meter unter der Erde. Dort rollt er sich zu einer Kugel zusammen und kuschelt sich an seine Artgenossen. Der Körper schaltet in den Energiesparmodus. Die Temperatur sinkt von 35 auf 5 Grad Celsius ab, das Herz schlägt nur noch fünfmal die Minute. Die Zahl der Atemzüge nimmt ab.
So verbraucht der Nager nur noch etwa 9 Kilokalorien in 24 Stunden. Im Wachzustand sind es um die 500 Kilokalorien. So kann das Tier lange von seinem Fettpolster leben, das es sich im Spätsommer angefressen hat. Bei steigenden Temperaturen wird der Winterschlaf jedoch energiezehrender. Dahinter steckt die sogenannte Hoff’sche Regel. Bei einer Erhöhung der Temperatur um zehn Grad Celsius laufen die Stoffwechselprozesse doppelt so schnell ab. „Ist das ein paar Tage oder Wochen so, macht das den Tieren nichts aus“, sagt Dausmann. Viele Tiere verbringen aber sechs bis sieben Monate im Winterschlaf. „Wenn sie in dieser ganzen langen Zeit jeden Tag ein bisschen mehr verbrauchen, addiert sich das“, sagt die Forscherin.
Gewinner und Verlierer
Erst vor ein paar Jahren haben Wissenschaftler herausgefunden, dass die Tiere nicht wirklich durchschlafen, sondern im Laufe des Winters ein paar Mal aufwachen. Das hat erst einmal nichts mit dem Klimawandel zu tun. Einige Forscher vermuten, dass sie ihr Immunsystem hochfahren, um Keime abzuwehren. Andere berichten, dass sie damit ihr Gehirn vor Schäden schützen. Wachen sie jedoch zu oft auf, wird es problematisch, denn die Unterbrechungen verbrauchen extrem viel wertvolle Energie. Murmeltiere investieren 72 Prozent ihres Energieverbrauchs in die Wachphasen und brauchen lediglich 28 Prozent, um die Lebensfunktionen während des Schlafens aufrecht zu erhalten.
Kathrin Dausmann hat an Haselmäusen erforscht, dass die Nager in milden Wintern öfter aufwachen. „Je wärmer der Winterschlafort ist, desto mehr Wachphasen gibt es“, sagt sie. Der Klimawandel bringt Gewinner und Verlierer hervor. Manche Arten geraten in Bedrängnis, andere profitieren. Forscher berichten, dass auch die Gelbbauchmurmeltiere, die in Kalifornien leben, ihren Winterschlaf vier Wochen früher beenden. Doch da sie dadurch mehr Zeit zum Fressen haben, sind sie wahrhaft fett geworden, bekommen mehr Junge und haben sich stark vermehrt. Bei den Murmeltieren in den Alpen ist das Gegenteil der Fall: Im Sommer verschwinden sie länger in ihrem kühlen Bau, weil es ihnen mittags zu warm draußen ist.
Die Folge: Sie verlieren viel Zeit, um sich ein ausreichendes Fettpolster für den Winterschlaf anzufressen. Und das brauchen sie. Schließlich schlafen die Nager bis zu sieben Monate und verlieren dabei ein Drittel ihres Körpergewichts. „Fehlt es den Murmeltieren an Speicherfett, überleben sie den Winterschlaf nicht oder wachen zu früh auf“, sagt Walter Arnold, Professor am Forschungsinstitut für Wildtierkunde an der Universität Wien. Auch die europäischen Braunbären haben Schlafstörungen. In den vergangenen Jahren sind sie in den Wintermonaten zunehmend aktiver geworden, berichten Forscher der Braunbär-Stiftung im spanischen Asturien. Braunbären halten keinen echten Winterschlaf, sondern legen so etwas wie eine Ruhepause ein. In einer Art Dämmerzustand verbringen sie die Zeit zwischen November und März zurückgezogen in ihrem Winterquartier, wo sie ebenfalls von ihrem Körperfett zehren und dabei bis zu 40 Prozent ihres Gewichts verlieren.
Tempo ist enorm
Während Herz- und Atemfrequenz auch bei den Bären deutlich absinken, verändert sich die Körpertemperatur nur gering. Jetzt sehe man in den Wintermonaten vor allem Weibchen immer häufiger schlaflos in den Bergen herumtappen, sagt Guillermo Palomero, Präsident der spanischen Braunbär-Stiftung, „wenn kein Schnee liegt und der Winter mild ist, ist es für sie energetisch sinnvoll, wach zu bleiben und nach Nahrung zu suchen“. Futter ist dann aber äußerst rar. Viele Forscher prophezeien ein Artensterben durch den Klimawandel. Der Trend zu steigenden Temperaturen ist ungebrochen. Weltweit ist die jährliche Durchschnittstemperatur in den vergangenen 100 Jahren um 0,7 Grad Celsius gestiegen. „Es kann natürlich sein, dass sich die Tiere wieder an die neuen Bedingungen anpassen“, sagt Kathrin Dausmann. Doch das Tempo der Erwärmung ist enorm. Klimatische Veränderungen, die sich früher auf natürliche Weise über Tausende Jahre vollzogen, schreiten heute viel schneller voran.