Forschung: In ewiger Dunkelheit und Kälte
Die Reise zum Mars ist in greifbare Nähe gerückt. Die US-Weltraumbehörde Nasa plant für 2023 einen ersten bemannten Testflug mit dem neuen Raumschiff „Orion“ – zunächst zum Mond. Auch die Russen, die Chinesen sowie private Unternehmen wie Mars One und SpaceX wollen Menschen zum Mars schicken. Doch die Technik ist nur eine Seite. Bei potenziellen Marsmissionen spielt auch die menschliche Belastbarkeit eine Schlüsselrolle. Wie verhält sich unser Körper im All? Diese Frage steht im Fokus von Weltraummedizinern. Auch in Berlin wird daran geforscht.
Ortstermin auf dem Campus der Charité in Mitte. Dort hat das Zentrum für Weltraummedizin und extreme Umwelten Berlin (ZWMB) seinen Sitz. Das All ist dort so fern wie überall auf der Erde. Aber in dem Zentrum werden Daten zu der Frage gesammelt: Wie reagiert unser Körper auf extreme Umwelten?
Um Lösungen geht es dabei erst im zweiten Schritt. Zunächst muss erkannt werden, wie Probleme überhaupt aussehen können und wie sie entstehen. Bekannt ist, dass Langzeitaufenthalte im All zu Muskelschwund, verminderter Knochendichte und Durchblutungsstörungen führen. Daneben können psychische Probleme auftreten, etwa Stimmungsschwankungen, Depression, Entscheidungsschwäche, Misstrauen, Schlafstörungen.
Mangel an UV-Licht und Vitamin D
Die Wissenschaftler des ZWMB konzentrieren sich vor allem auf zwei Aspekte: den Schlaf-Wach-Rhythmus, auch zirkadianer Rhythmus genannt, und die Thermoregulation – also die Fähigkeit unseres Körpers, die Temperatur konstant zu halten. Zwei zentrale Funktionen des Körpers, deren Beeinträchtigung im schlimmsten Fall zum Tod führen kann.
Für ihre Forschungen müssen die Wissenschaftler irgendwie das All auf der Erde abbilden. Dafür nutzen sie unwirtliche Regionen, in denen die Lebensumstände jenen im Weltraum ähneln. Die ZWMB-Forscher interessiert zum Beispiel, wie es jenen Menschen geht, die in der antarktischen Forschungsstation Neumayer III überwintern und damit etwa 14 Monate im ewigen Eis leben und arbeiten müssen.
„Viele Aspekte dieses Langzeitaufenthalts in der Antarktis ähneln den Bedingungen für Menschen im Weltraum“, sagt Mathias Steinach, Arzt und Wissenschaftler am ZWMB. So gibt es eine große räumliche Trennung von zu Hause. Mit Freunden und Familie kann man nur eingeschränkt und verzögert über Satellit kommunizieren. Außerdem besteht eine hohe Abhängigkeit von der Technik. Im antarktischen Winter können Menschen nicht einfach vor die Tür gehen. Temperaturen um minus 40 Grad Celsius sind normal, draußen weht ein eisiger Wind. „Was in der Antarktis die Kälte ist, ist im Weltraum das Vakuum“, sagt Steinach. „So sehen wir eine Analogie zum Weltraumspaziergang.“
Arktis-Faktoren bilden Weltraumbedingungen ab
Dazu kommt die Isolation und die beengte Umgebung, die Antarktis-Überwinterer mit Menschen teilen, die sie vorher nur wenig kannten. Sinnesreize nehmen ab. Statt der gewohnten Stadt- oder Landumgebung gibt es nur noch weiße Eisfelder mit wenig Konturen. Schließlich ändert sich auch das Licht – in der Antarktis kommt die Sonne fast 80 Tage nicht über den Horizont. Es herrscht Dunkelheit.
Alle diese Faktoren treffen auch, nur extremer, auf einen Flug zum Mars zu. „Sie bilden sozusagen Weltraumbedingungen auf der Erde ab und geben uns die Möglichkeit zu untersuchen, wie der menschliche Körper darauf reagiert“, sagt Steinach. So misst der Arzt der Neumayer-III-Station regelmäßig, wie sich der Energieumsatz, der Schlaf, das Immunsystem und die kognitiven Funktionen der Überwinterer entwickeln.
„Wir haben festgestellt, dass Überwinterungen mit signifikanten Veränderungen der Schlafmuster verbunden sind“, sagt Steinach. Der Schlaf sei weniger tief und die Studienteilnehmer wachten häufiger auf. Das Phänomen verstärke sich, je länger die Person auf der Station sei. Solche Änderungen des Schlafes können zu Stimmungsschwankungen, verringerter Aufmerksamkeit, Konzentrationsstörungen und einer verschlechterten körperlichen und kognitiven Leistungsfähigkeit führen. Eine zentrale Ursache, sagt Steinach, sei das mangelnde UV-Licht.
Eine weitere Erkenntnis aus den Datenreihen ist, dass die Überwinterer einen eklatanten Mangel an Vitamin D aufweisen. Dieses Vitamin wird mithilfe von Licht gebildet und ist wichtig für den Knochenaufbau und das Immunsystem. Die Ergebnisse werden dazu genutzt, den Menschen in der Antarktis das Leben zu erleichtern. Zum Beispiel über Vitaminpillen. Aber nicht immer ist es so einfach. Die Verbesserung des Schlafrhythmus ist schon schwieriger. Steinach schlägt vor, auf der Station – und später auf Raumschiffen – den Sonnenaufgang und -untergang zu simulieren. Die Lichtfarbe müsse der der Sonne angepasst werden. „Momentan ist viel zu viel Blau im Licht“, sagt er. „Das signalisiert dem Körper Mittagszeit.“ Und stört in der Folge den gesunden Schlaf.
Neben der Antarktisforschung blicken die Wissenschaftler des ZWMB aber auch direkt in den Weltraum. Genauer gesagt: auf die ISS. Sie haben regelmäßig Kontakt mit den Astronauten. Untersucht wird dabei, ob sich die Körpertemperatur im All verändert und welche Folgen das haben könnte. „Auf der Erde ist ein permanenter Luftstrom um uns herum“, erläutert Steinach. „Die Luft um den Körper wird von ihm erwärmt und steigt dadurch auf. Der Luftstrom wirkt kühlend.“
Wärmesensor schlägt Alarm
Dieser Effekt der Konvektion, an den unser Körper angepasst ist, fällt in der Schwerelosigkeit weg. Die Forscher interessiert, welche Folgen das hat und wie die Leistungsfähigkeit davon beeinflusst wird. „Unsere Daten zeigen, dass Körperkerntemperaturen von über 40 Grad Celsius bereits nach kurzfristigen physischen Anstrengungen erreicht werden können“, sagt Hanns-Christian Gunga, Leiter des ZWMB. „Die Untersuchungsergebnisse geben dazu Anlass, die Ruhe- und Erholungsphasen von Astronauten nach Belastung zu überdenken und dürften deshalb für die operationale Raumfahrtmedizin interessant sein.“
Aus den Ergebnissen haben Wissenschaftler des ZWMB gemeinsam mit der Medizintechnik-Firma Draeger einen Wärmeflusssensor entwickelt, Doppelsensor genannt. Es handelt sich um ein Gerät, das Alarm schlägt, wenn die Körpertemperatur innerhalb kürzester Zeit stark ansteigt oder abfällt. Da der Sensor außen am Körper angebracht ist, kann er auch im arbeits- oder sportmedizinischen Bereich verwendet werden.
Der Sensor wird derzeit im Einsatz getestet: auf der ISS, in Helmen von Feuerwehrleuten, aber auch in Kliniken, wo es zum Beispiel bei Herz-Operationen zum plötzlichen Absinken der Körpertemperatur kommen kann. So übertragen die Wissenschaftler des ZWMB ihre Ergebnisse also nicht nur von der Erde auf das All – sondern nutzen umgekehrt auch Erkenntnisse aus dem All für das Leben auf der Erde.
In naher Zukunft wird das Forschungsprojekt der Antarktis ausgeweitet und die chilenische Antarktis-Station mit 13 Überwinterern mit einbezogen, kündigt Gunga an. Ein weiteres Forschungsprojekt wird ebenfalls in Kooperation mit Chile angestrebt, in diesem Fall in großen Höhen.
In den chilenischen Anden stehen in etwa 5 500 Metern Höhe Observatorien, die bedient und gewartet werden müssen. Dies machen Arbeiter, die dafür extra dort stationiert sind. Auch hier werden die Forscher regelmäßig Daten erheben, um die Reaktionen des Körpers auf die Anstrengung in einem Gebiet mit wenig Sauerstoff und geringem Druck zu untersuchen.