Handprothese: Erster Mensch mit fühlender Kunsthand

Es war unglaublich. Plötzlich konnte ich etwas fühlen, wozu ich neun Jahre lang nicht mehr in der Lage gewesen war“, sagt der Däne Dennis Aabo Sørensen und lächelt glücklich. Der 36-Jährige ist der erste Mensch der Welt, der beim Greifen mit einer Kunsthand etwas fühlen kann. Vor neun Jahren hatte er seine linke Hand beim Unfall mit einem Feuerwerkskörper verloren.

Ein kleiner Youtube-Film zeigt die Weltneuheit: eine sich langsam öffnende und schließende Kunststoffhand, die Metallfinger mit Sensorspitzen besitzt. Mit verbundenen Augen greift Dennis Aabo Sørensen nach einem Becher, nach Stoffservietten, einem Holzwürfel oder einer Mandarine. „Wenn ich ein Objekt gehalten habe, konnte ich fühlen, ob es weich oder hart, rund oder eckig ist“, sagt er. Insgesamt 700 Versuche musste der Patient machen. Die Studie fand im Gemelli-Krankenhaus in Rom statt.

„Zum ersten Mal sind wir in der Lage, nach einer Amputation ein Gefühl in Echtzeit wiederherzustellen“, erklärt der Forscher Silvestro Micera von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne in der Schweiz. Er koordiniert das seit 2008 laufende Projekt „LifeHand 2“, an dem Forscher von Hochschulen und Kliniken aus der Schweiz, Italien und Deutschland beteiligt sind. Sie berichten darüber in der Fachzeitschrift Science Translational Medicine.

Elektroden im Nerv

Die vier hauchdünnen Elektroden, die dem Patienten direkt in periphere Nerven des Unterarms implantiert wurden, hat Thomas Stieglitz, Professor für Biomedizinische Mikrotechnik an der Universität Freiburg, entwickelt. Die Elektroden übertragen das, was die Sensoren der Hand ertasten, direkt ins Gehirn. Das geschieht über sensorische Impulse, die von den Nerven des Oberarms weitergegeben werden. Es handelt sich dabei um den Mittelarmnerv Nervus medianus, der die Empfindungen von Daumen und Zeigefinger ans Gehirn leitet, und den Ellennerv Nervus ulnaris, der die Signale vom kleinen Finger weitergibt. Eine Software übersetzt die elektrischen Signale der Drucksensoren in die Impulse.

Die Wissenschaftler waren sich zunächst nicht sicher, ob der erste Versuch klappen würde. „Wir befürchteten, dass sich die Empfindlichkeit der Nerven des Patienten verringert hätte, weil er sie seit mehr als neun Jahren nicht benutzte“, sagt Stanisa Raspopovic, ein Forscher aus Pisa.

Doch überraschend schnell und ohne viel Training war Dennis Aabo Sørensen in der Lage, seine künstliche Hand zu steuern. Weil es sich um einen ersten Test handelte, wurden die Elektroden entsprechend der europäischen Rahmenvorgabe für Medizinprodukte nach 30 Tagen wieder entfernt. Weitere Studien mit Patienten in Italien, der Schweiz und Dänemark sind im Rahmen eines EU-Folgeprojekts geplant.

„Es werden sicher noch zehn bis 15 Jahre vergehen, bis die Entwicklung für den Einsatz am Patienten zugelassen wird“, sagt der Freiburger Mikrosystem-Professor Thomas Stieglitz. Er rechnet mit Investitionen von mindestens weiteren 100 Millionen Euro. Wird der Däne Dennis Aabo Sørensen am Ende die Hand, mit der er so gut zurechtkam, dauerhaft bekommen? Stieglitz sagt: „Er ist sicher einer der Kandidaten dafür.“