HIV-Heilung mithilfe von Knochenmarktransplantation

Timothy Ray Brown galt bislang als erster und einziger Mensch, der von einer HIV-Infektion geheilt wurde. Als „Berliner Patient“ ging der heute 53-jährige US-Amerikaner, der sich vermutlich Anfang oder Mitte der Neunzigerjahre mit dem Aidserreger angesteckt hatte, vor rund zwölf Jahren in die Geschichte ein.

Nachdem bei Brown, der inzwischen wieder in seinem Heimatland lebt, im Jahr 2006 zusätzlich eine akute Leukämie festgestellt worden war und eine Chemotherapie nicht den gewünschten Erfolg gebracht hatte, erhielt er ein Jahr später am Universitätsklinikum Benjamin Franklin in Steglitz, das mittlerweile zur Charité gehört, eine Transplantation von blutbildenden Stammzellen.

Allerdings nicht irgendeine: Sein behandelnder Arzt Gero Hütter verwendete die Stammzellen eines Spenders, der aufgrund einer natürlich vorkommenden Genmutation, die etwa einer von hundert Menschen aufweist, gegen HI-Viren resistent war. Nur wenig später konnte Brown, der zuvor zwölf Jahre lang Medikamente gegen Aids hatte einnehmen müssen, seine Arzneien absetzen – ohne dass der Erreger der Immunschwäche dadurch zurückkehrte. Auf der ganzen Welt wurde dies als medizinische Sensation gefeiert.

Vorsichtig mit dem Begriff "Heilung"

Lange Zeit blieb der Berliner Patient jedoch ein Einzelfall. Manche Kritiker bezweifelten irgendwann sogar, dass es überhaupt die Stammzelltherapie gewesen war, die zur Heilung der HIV-Infektion von Brown geführt hatte. Doch nun ist es einem britischen Team gelungen, einen weiteren Patienten mit der nahezu gleichen Methode, die Hütter angewandt hatte, erfolgreich zu behandeln.

Noch möchten Ravindra Gupta von der Division of Infection and Immunity am University College London und seine Kollegen zwar nicht von einer Heilung sprechen. Doch wie die Wissenschaftler am heutigen Mittwoch in der Fachzeitschrift Nature berichten, kommt ihr Patient seit nunmehr 18 Monaten ohne die Aidsmedikamente aus, die seit seiner HIV-Diagnose im Jahr 2003 zu seinen ständigen Begleitern geworden waren.

„Ich habe den Fall des Londoner Patienten natürlich mitverfolgt“, sagt Hütter, der heute Ärztlicher Leiter des Dresdener Unternehmens Cellex ist, das sich auf die Gewinnung von Stammzellen des Bluts und des Knochenmarks sowie auf die Entwicklung neuer Stammzelltherapien gegen Krebs spezialisiert hat. „Und ich freue mich sehr darüber, dass seine Ärzte jetzt verkünden können, dass auch bei ihm das von uns verwendete Verfahren erfolgreich war.“

HIV geheilt: So verlief die Behandlung

Bei dem britischen Patienten war im Jahr 2012 ein fortgeschrittenes Hodgkin-Lymphom festgestellt worden. Dabei handelt es sich um einen bösartigen Tumor des Lymphsystems. Nachdem eine Chemotherapie und weitere Behandlungsmethoden fehlgeschlagen waren, entschieden sich Gupta und sein Team für eine Transplantation von blutbildenden Stammzellen.

Die Zellen sollten wie im Berliner Fall in beiden Versionen des CCR5-Gens, die jeder Mensch in sich trägt, die Mutation Delta 32 aufweisen. Denn aufgrund dieser Genveränderung wird der CCR5-Rezeptor, den HI-Viren benutzen, um in die Zellen des Immunsystems einzudringen, nicht mehr richtig hergestellt. Die Erreger von Aids gelangen dadurch – sofern sie noch keine anderen Strategien entwickelt haben, auf die man bei einigen Viren allerdings bereits gestoßen ist – nicht mehr in die Zellen hinein.

Nach der Transplantation sei bei ihrem Patienten die gewünschte Mutation in beiden Versionen des CCR5-Gens nachweisbar gewesen, schreiben Gupta und seine Kollegen. Jedoch hatten die Mediziner anschließend zunächst noch 16 Monate abgewartet, bevor sie es wagten, die Medikamente gegen Aids abzusetzen. Das ist nun gut anderthalb Jahre her. Die HI-Viren sind im Körper des Patienten, der die Stammzellbehandlung gut vertragen hatte, seither trotzdem nicht mehr nachweisbar. „Ich bin sicher, dass dieser Erfolg der Erforschung von Therapien, die das CCR5-Gen ins Visier nehmen, wieder neuen Aufschwung geben wird“, sagt Hütter.

Kein Weg für alle HIV-Patienten

Zwar wird eine Transplantation von Stammzellen mit der Delta-32-Mutation, so viel steht fest, auch künftig keine Therapie für alle HIV-Infizierten werden. Dazu ist die Therapiemethode zu riskant und auch mit zu vielen Nebenwirkungen verbunden – insbesondere vor dem Hintergrund, dass HIV-positive Menschen dank moderner Medikamente inzwischen ein fast ganz normales Leben führen können.

Liegt jedoch neben der Infektion mit HI-Viren eine weitere schwere Erkrankung vor, bei der eine Transplantation von Stammzellen die vielleicht letzte Therapieoption darstellt, ist es anscheinend durchaus möglich, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Sofern sich ein geeigneter Spender findet, der zusätzlich die gewünschte Mutation aufweist: „Bislang sind weltweit nur rund 40 Patienten auf diese Weise behandelt worden“, berichtet Hütter.

Viele von ihnen seien an ihrer Grunderkrankung oder aber an den Folgen der Stammzelltransplantation gestorben. Schon bei Patienten ohne zusätzliche HIV-Infektion überlebten nur etwa 50 Prozent die ersten beiden Jahre nach dem Eingriff, bei dem das patienteneigene Immunsystem zunächst komplett ausgelöscht wird, um es dann durch das des Spenders zu ersetzen.

Weitere Fälle erwartet

„Vier der etwa 40 Patienten sind aber noch am Leben“, sagt Hütter. Einer sei der jetzt in Nature vorgestellte Fall. Bei den drei anderen handelt es sich um Menschen, die derzeit ihre Medikamente gegen Aids noch einnehmen. „Es ist aber gut möglich, dass deren Ärzte die HIV-Therapie nun ebenfalls in Kürze beenden werden“, sagt der Hämatologe. „Und vielleicht hören wir dann schon bald von drei weiteren Fällen, bei denen die Stammzellmethode erfolgreich war.“

Um auch HIV-positiven Menschen, die abgesehen von ihrer Infektion mit dem Aidserreger gesund sind, eines Tages ein Leben ohne Medikamente zu ermöglichen, versuchen Wissenschaftler schon seit vielen Jahren eine Gentherapie zu entwickeln, bei der die CCR5-Erbanlage gezielt verändert wird. „Nach anfänglichen Achtungserfolgen ist es aber relativ still um die Methode geworden“, sagt Hütter.

Offenbar ist das Verfahren noch nicht ausgereift genug, um eine Heilung von Aids tatsächlich zu ermöglichen. Denn während nach einer Transplantation von Stammzellen alle aus ihnen hervorgehenden Immunzellen die gewünschte Genveränderung aufweisen, sind es nach einer Gentherapie bislang höchstens 10 Prozent. Das reicht nicht aus, um die Vermehrung der HI-Viren effektiv einzudämmen.

Bestätigung für neue Therapiewege

Schlagzeilen, wenngleich überwiegend negativer Art, machten zudem vor zwei Jahren chinesische Forscher, welche die Delta-32-Mutation in die Zellen von Embryonen einschleusten, um diese so resistent gegen Aids zu machen. Zwar handelte es sich bei den Versuchsobjekten um nicht lebensfähige Gebilde, da sie statt des doppelten, wie er normal ist, einen dreifachen Chromosomensatz trugen. Dennoch belegten die umstrittenen Experimente relativ eindrucksvoll, was inzwischen mit modernen Technologien wie dem Gene Editing, auf Deutsch auch Genomchirurgie genannt, alles machbar ist.

Andere Wissenschaftler setzen bei ihrem Versuch, Aids eines Tages heilen zu können und so HIV-infizierten Menschen die oft schweren Nebenwirkungen der Medikamente zu ersparen, auf sogenannte CAR-T-Zellen, die in der Krebstherapie bereits zum Einsatz kommen. „Es handelt sich dabei um Immunzellen, genauer gesagt um T-Zellen, die genetisch so umprogrammiert sind, dass sie gezielt Tumorzellen oder eben auch von HI-Viren befallene Zellen angreifen“, erläutert Hütter.

Doch während Ärzte bei Patienten mit Leukämien oder Lymphomen bereits einige Erfolge mit CAR-T-Zellen erzielt haben, sind in der Aidsforschung bislang nur Versuche an Affen vorgenommen worden. Zwar lieferte eine im Dezember 2017 veröffentlichte Studie an Makaken durchaus viel Grund zur Hoffnung. Allerdings man weiß auch, dass sich Affenexperimente oft nur schwer auf den Menschen übertragen lassen.

Gero Hütter ist dennoch guter Dinge. „Es gibt viele neue Techniken, durch die auch in der Aidsforschung, die längere Zeit stagnierte, zuletzt wieder einiges in Bewegung gekommen ist“, sagt er. „Und ich gehe fest davon aus, dass der jetzt vorgestellte Fall des Londoner Patienten die künftige wissenschaftliche Arbeit weiter befruchten wird.“