Jane Goodall wird 80: Wahre Affenliebe
Sie wünscht sich keine Party und keine Geschenke. Sondern Spenden für eine Schimpansen-Auffangstation in der Republik Kongo. Jane Goodall hat wohl durchaus damit gerechnet, dass ihr 80. Geburtstag einigen Wirbel verursachen würde. Immerhin gilt die britische Verhaltensforscherin als eine der bekanntesten Wissenschaftlerinnen überhaupt, ihre Arbeiten über Schimpansen haben sie weltberühmt gemacht. Doch statt ihrer eigenen Person stellt sie auch an diesem Tag lieber die Tiere in den Mittelpunkt, denen sie so viele Jahrzehnte ihres Lebens gewidmet hat.
Schon als Kind hatte Jane Goodall beschlossen, dass ihr Weg sie eines Tages nach Afrika führen sollte. Allerdings schwebte ihr zunächst noch eine Karriere als Frau an Tarzans Seite vor – ein Job, in dem sie eine deutlich bessere Figur zu machen gedachte als diese andere Jane in den Büchern. Doch nach ihrem Schulabschluss 1952 waren zunächst etwas realistischere Zukunftspläne gefragt. Ein Studium kam aus finanziellen Gründen nicht infrage, und so machte Jane Goodall eine Ausbildung zur Sekretärin. Die Träume von Afrika aber blieben hartnäckig in ihrem Kopf.
Ende der 50er-Jahre bekam sie dann tatsächlich die Chance, diese zu verwirklichen. Sie lernte den bekannten Paläontologen Louis Leakey kennen, der in der Olduvai-Schlucht in Tansania nach Fossilien aus der frühen Menschheitsgeschichte grub. Ein paar Knochen der Vorfahren zu finden, war gut und schön. Doch wie hatte der Alltag dieser Frühmenschen ausgesehen, wie ihr Verhalten? Darüber verrieten die Fossilien wenig. Konnte man mehr darüber erfahren, wenn man die noch lebende Verwandtschaft genauer unter die Lupe nahm?
Eine Sekretärin im Urwald
Über den Alltag wildlebender Menschenaffen war damals noch sehr wenig bekannt. Also beschloss Leakey, die junge Britin auf die Schimpansen im heutigen Gombe Stream Nationalpark in Tansania anzusetzen. Eine Sekretärin ohne zoologische Ausbildung schien auf den ersten Blick nicht gerade die vielversprechendste Kandidatin für eine solche Aufgabe zu sein. Doch Leakey sah das anders. Zumindest würde sie sich nicht von all den Vorurteilen blenden lassen, die Wissenschaftler gegenüber Tieren hegten. Sie konnte unvoreingenommen an die Sache herangehen.
Im Sommer 1960 brachte ein Boot die angehende Schimpansen-Forscherin zum ersten Mal in das unzugängliche, bergige Waldgebiet am Nordostufer des Tanganjika-Sees. Zusammen mit ihrer Mutter verbrachte sie die nächsten Monate in einem alten, stickigen Armeezelt, in das immer wieder Spinnen, Skorpione und Schlangen krochen. Doch Goodall versuchte, sich von solchen Widrigkeiten nicht beeindrucken zu lassen. Nur mit Fernglas und Notizbuch ausgerüstet, unternahm sie voller Enthusiasmus die ersten Ausflüge in die Welt der Menschenaffen.
Bei schweißtreibenden Exkursionen wanderte, kletterte und robbte sie durch den Wald. Aber die Verwandtschaft spielte nicht mit. Entweder die Affen ließen sich überhaupt nicht blicken oder sie verschwanden wie geisterhafte Schatten umgehend im Geäst. Eine frustrierende Woche nach der anderen verging. Doch Goodall gab nicht auf – und eines Tages wurde ihre Sturheit belohnt. „Mir blieb einen Augenblick das Herz stehen“, erinnert sie sich an den ersten engeren Kontakt zu zwei wildlebenden Schimpansen. Die beiden Männchen, die sie auf den Namen „David Greybeard“ und „Goliath“ getauft hatte, starrten sie aus nicht einmal zwanzig Metern Entfernung an und fuhren dann seelenruhig mit der Fellpflege fort. Offenbar hatten sie begriffen, dass von der seltsamen Besucherin auf zwei Beinen keine Gefahr ausging. Nach und nach fassten weitere Tiere Vertrauen, sodass Goodall ihr Verhalten immer besser beobachten konnte.
Überraschende Werkzeuge
Was sie sah, ließ ihr mitunter den Atem stocken. Denn einen guten Teil des Lehrbuchwissens über diese Art machten die Schimpansen von Gombe kurzerhand zu Theorien für den Papierkorb. So hatten die Tiere bis dahin als Vegetarier gegolten, die ihren Speisezettel höchstens mal mit ein paar Insekten oder einem kleinen Nagetier bereicherten. Jane Goodall aber sah, wie Schimpansen mit sichtlichem Appetit ein Buschschwein verzehrten und gemeinsam Jagd auf andere Affenarten machten.
Noch spektakulärer war ein kulinarischer Trick, den ihr wieder einmal David Greybeard und Goliath vorführten. Geschickt streiften sie die Blätter von dünnen Ästen ab und angelten dann mit diesen selbstgemachten Werkzeugen Termiten aus deren Bau. Dabei hatten Wissenschaftler den Menschen doch so lange für den einzigen Werkzeugproduzenten auf Erden gehalten. Die Fähigkeit, solche Hilfsmittel herzustellen und zu benutzen, galt sogar als einer der wesentlichsten Unterschiede zwischen Mensch und Tier. „Jetzt müssen wir entweder neu definieren, was ein Mensch ist, oder was ein Werkzeug ist“, begeisterte sich Louis Leakey. „Oder wir müssen die Schimpansen zu den Menschen rechnen.“
Je häufiger Goodall hinter die Kulissen der Schimpansen-Welt schaute, umso mehr Parallelen zu ihrer eigenen Art fielen ihr auf. Sie sah, wie Affen sich gegenseitig auf den Rücken klopften, sich die Hände gaben oder sich umarmten – und damit ganz offensichtlich dasselbe ausdrücken wollten wie ihre menschliche Verwandtschaft. Der Freudentaumel, in den die Tiere beim Anblick eines Bananenhaufens gerieten, erinnerte die Forscherin verdächtig an feiernde Fußballfans nach dem Sieg ihrer Mannschaft. Und auch Freundschaften, Zweckbündnisse oder Adoptionen waren der Schimpansen-Gesellschaft keineswegs fremd.
„Anfangs habe ich noch gedacht, Schimpansen seien netter als wir“, erinnerte sich die Forscherin später an einen ihrer Irrtümer. Doch mit der Zeit musste sie sich eines Schlechteren belehren lassen. Sie wurde Zeugin, wie Affen den Nachwuchs von Artgenossinnen töteten und regelrechte Kriege gegen ihre Nachbarn anzettelten. Einer davon dauerte vier Jahre und endete erst, als eine der beteiligten Gruppen sämtliche Gegner ausgelöscht hatte. Einige ihrer romantischen Vorstellungen über den Charakter der Tiere hat Jane Goodall danach zu den Akten gelegt: „Wenn Schimpansen Messer und Schusswaffen hätten und wüssten, wie man damit umgeht, würden sie bestimmt davon Gebrauch machen.“
So fasziniert die Forscherin auch von den nächsten Verwandten des Menschen war – sie hegte nicht für jedes Tier die gleichen Sympathien. Warum auch. Schließlich präsentierte sich ihr die Affengesellschaft als ein ebensolcher Haufen von Individualisten wie jede beliebige Gruppe von Menschen. Auch unter den Schimpansen gab es Angsthasen und Draufgänger, Charmeure und Langweiler, Choleriker und Felsen in der Brandung.
Forschungsobjekte mit Namen
Für etliche von Goodalls Kollegen war das ein äußerst gewöhnungsbedürftiger Gedanke. Schließlich galten Tiere in den 60er-Jahren eher als belebte Maschinen, die nur ein starres Verhaltensprogramm abspulen konnten. Für haarige Persönlichkeiten, wie Goodall sie schilderte, schien in dieser Welt kein Platz zu sein. Schon die Tatsache, dass sie ihren Forschungsobjekten Namen gab, statt sie wie damals üblich durchzunummerieren, hat ihr Kritik eingetragen. „Vermenschlichung“ von Tieren galt damals als schlimmste aller Verhaltensforscher-Sünden.
Inzwischen gibt es keinen Zweifel mehr daran, dass Menschen und Schimpansen nicht nur 98 Prozent ihres Erbgutes teilen, sondern auch zahlreiche Facetten ihres Verhaltens. Umso wichtiger war es Goodall, diesen Verwandten eine Zukunft zu ermöglichen. Mitte der 80er-Jahre wurde ihr klar, dass die zunehmende Zerstörung der afrikanischen Wälder auch das Überleben der Schimpansen bedrohte. Seither hat sie ihre unbändige Energie mehr und mehr von der Forschung auf den Naturschutz gelenkt. Unermüdlich reist sie um die Welt, um von der faszinierenden Verwandtschaft zu berichten und Unterstützung für die Rettung der Schimpansen zu mobilisieren. Denn sie ist überzeugt: „Die größte Gefahr für unsere Zukunft ist die Apathie.“