Grandiose Selbstironie: Die zwölf Apostel mit den Kopfverbänden
Das Berlinale-Publikum erlebt den polnischen Filmemacher Jerzy Skolimowski als virtuosen Altmeister der modernen Malerei in einer Doppelausstellung.

Dem Blick dieses Mannes entgeht nichts. Jerzy Skolimowski schaut hellwach, liebevoll und zugleich skeptisch in die Welt. Das hier abgebildete Foto zeigt einen Charismatiker. Der Filmemacher ist von aktiver, athletischer Gestalt, das weiße Haar lässig nach hinten gekämmt. Und er ist jedem, der auf ihn zugeht, offen zugewandt. Er genießt sie, die Berliner Vernissage seiner Bilder in der nüüd Gallery Kronenstraße, Ecke Friedrichstraße. Und im polnischen Institut in der Burgstraße.
Am 5. Mai feiert dieser Künstler aus unserem Nachbarland Polen, man glaubt es kaum, seinen 85. Geburtstag. Und soeben ist er wieder einmal in Berlin. Diesmal nicht wegen seiner Filme, sondern mit seinen Gemälden, diesen hierzulande eher unbekannten Wesen. Denn Skolimowski, der erst Ethnologie, Literatur und Geschichte, später Regie studierte, ist zugleich auch ein passionierter Maler.
Von der Wand im Polnischen Institut schaut sein Selbstporträt von 2017 herab. Der Kopf, die Schultern, der Oberkörper in Farbsplittern. Schwarze, nervös auf Weißgrund gesetzte Pinselhiebe, dazwischen grellgelbe Flecken. Die zwischen Figürlichkeit und Abstraktion changierende Halbfigur lässt an mittelalterliche Ecce-homo-Darstellungen, auch an Höhlenmalerei denken. Die Strichgefüge verdichten sich zu Konturen. Andere Bilder sind Landschaften, zerfranste, dystopische, zerstörte.

Goldener Bär 1967 für „Le Départ“
Cineasten auf der ganzen Welt ist Skolimowski ein Begriff. Über 50 Jahre arbeitet der 1938 in Lódz zur Welt Gekommene, in Warschau Aufgewachsene und heute in den malerischen Masuren Wohnende im Filmgeschäft. Er erlebte als Kleinkind die Apokalypse des Zweiten Weltkrieges, die Nazis ermordeten seinen Vater, einen Widerstandskämpfer. Das Existenzielle und Melancholische, die sieben Todsünden der unbelehrbaren Menschheit sozusagen, durchziehen alle seine Filme.
Schon als Student schrieb er Drehbücher, die Roman Polanski und Andrej Wajda verfilmten, 1966 bekam er selbst als Regisseur internationale Aufmerksamkeit. In „Bariera“ sucht ein junger Mann nach dem schnellsten Weg in die Welt der Reichen und Schönen, doch schon kurz nach der Ankunft ekelt ihn dort alles an. Bald darauf konnte Skolimowski in Belgien „Le Départ“ realisieren – für die Komödie über einen Rennfahrer ohne Auto bekam er auf der Berlinale 1967 den Goldenen Bären. Noch im selben Jahr drehte er „Hände hoch!“, der in Polen wegen seiner Kritik am Stalinismus sofort von der Zensur verboten wurde. Skolimowski drehte fortan im Ausland. 2016 bekam er in Venedig den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk.
Schalkhaft erklärt Skolimowski seinen Ruhm als Filmemacher mit dem „mangelnden Erfolg“ als Maler. Tatsächlich sind seine Bilder viel weniger bekannt als die Filme. Dabei gibt es keinen inhaltliche Dissens zum Anliegen seiner Filme: Der Künstler malt in abstrakter, bisweilen rätselhafter und expressiver Stilistik Metaphern vom bedrohten Zustand unserer Welt durch Krisen, Kriege, Diktaturen und ökologische Katastrophen. Damit mischt er sich in die Diskussionen über die Klimakrise ein. „Dreht unsere Welt sich längst im Fieber?“, scheinen diese Bilder zu fragen, zu warnen. Allein Bildtitel wie „Agonie“, „Zerfall des Blauen“, „Grenzlandschaft“ oder „Saurer Regen“ zeugen von seiner Sorge um den Zustand unseres Planeten. „In der Malerei kann ich mir alles erlauben“, sagt er. Mit der oft bitteren Erfahrung als Filmemacher.
Film und Malerei: zwei Seiten einer Medaille
Die erste große Ausstellung hatte Skolimowski 1996 in der Galerie Weber in Turin. Sämtliche Bilder wurden verkauft, zu den Sammlern seiner Werke gehört zum Beispiel der Hollywood-Schauspieler Jack Nicholson. Erst waren die Bilder handlich klein. Erst ab 1997 wagte er sich an große Formate – malte zunächst auf Holz, dann auf Leinwand. Manche Bilder haben inzwischen bisweilen die Größe von Kinoleinwänden. Und mehr denn je, so beschreibt Skolimowski es, sei „das Erschaffen von Bildern ein endloser Kampf“. Er sagt, er könne mit allem malen, was er um sich herum finde, sieht sich sozusagen als Allesverwerter. Seine abstrakten Werke erschafft er oft als groß angelegte Improvisationen, die von zufälligen Situationen inspiriert sind. Und er unterscheidet kategorisch zwischen bewegten und statischen Bildern. Das eine sei Film und das andere Malerei. Für ihn sind es die zwei Seiten einer Medaille.
Die alte, so oft schon totgesagte Königsdisziplin der Bildenden Künste bewahrte ihn zudem davor, in ein tiefes Loch zu fallen, als es im Jahr 1991 zu heftigen Konflikten bei dem international produzierten Film „Ferdydurke“ kam. In der Verfilmung des Witold-Gombrowicz-Buches, eines avantgardistischen Antibildungsromans, geht es um die Heiligtümer Polens. Der Regisseur sah seine künstlerische Vision durch Eingriffe der Produktionsfirma extrem „verwässert“ und brach den Dreh abrupt ab.

Jahre später verarbeitete er die Malaise in monochromen Tönen im großen Bild „XII“. Darauf zwölf männliche Figuren, verschwommen, verunklart, aber die Blicke unverwandt und fragend auf uns Betrachter gerichtet. Es ist, als hinkten die zwölf biblischen Apostel auf uns zu. Diese Sendboten des gekreuzigten, wiederauferstandenen Christus haben den Auftrag, den Glauben auf Gottes Erde zu verbreiten. Doch wie wurden sie zugerichtet von der Welt, der sie die Heilslehre bringen sollten? Einige Gestalten stützen sich auf ihre Stöcke, alle tragen Kopfverbände; es sind Verletzte und Versehrte. Was für eine sarkastische Metapher eines Künstlers, der die Welt mit seiner Kunst ein wenig besser machen will.
Nach dem Zwist hatte Skolimowski sich frustriert ganz dem Malen zugewandt. Fast zwei Jahrzehnte drehte er nicht mehr, 2010 dann „Essential Killing“, mit Vincent Gallo und Emmanuelle Seigner, über einen geflohenen afghanischen Kriegsgefangenen, der durch polnische Wälder irrt. Gleich gab es internationale Preise. Sein neuester Film lief im vergangenen Jahr im Wettbewerb von Cannes und konkurriert im März mit dem deutschen Beitrag „Im Westen nichts Neues“ um den Oscar für den besten internationalen Film. „EO“ ist die wirkmächtig und pathetisch ausgeleuchtete, in farbmalerischen Bildern erzählte, einstmals schon von Robert Bresson berührend verfilmte tragische Geschichte eines Esellebens. Bei Jerzy Skolimowski womöglich auch ein Fetzchen Selbstironie.
nüüd.berlin gallery, Kronenstr. 18 und Polnisches Institut Berlin, Burgstr. 27. Bis 25. Februar, jeweils Di–So, 13–19 Uhr, auch nach Vereinbarung: 01577/5330889