Klimawandel: Neuer Umweltsatellit Sentinel-2B soll die Welt retten

Am frühen Dienstagmorgen sollte „Sentinel-2B“ planmäßig vom europäischen Weltraumbahnhof in Kourou starten – und zu seinem seinem Partner-Satelliten „Sentinel-2A“ fliegen. Der ist schon seit knapp zwei Jahren im All. Doch die beiden werden sich nie zu Gesicht bekommen. Sie umkreisen die Erde zwar auf der gleichen Umlaufbahn, aber um 180 Grad versetzt. So sollen die Satelliten unseren Planeten genau im Blick behalten. Sie gehören zum europäischen Erdbeobachtungsprogramm Copernicus und sind eine von sieben Satellitenmissionen. Sie alle haben das Ziel, umfangreiche Daten über die Erde zu erzeugen und daraus den größten Nutzen für das gegenwärtige und zukünftige Leben auf unserem Planeten zu ziehen.

Die beiden Satelliten der „Sentinel-2“-Mission wiegen 1,4 Tonnen – im Vergleich zu ihrem Vorgänger „Envisat“ sind sie geradezu Fliegengewichte. Denn der wog acht Tonnen und hatte die Maße eines LKW. „Envisat“ war damals Europas einziger Umweltsatellit, im Jahr 2014 verschwand er jedoch plötzlich in den Weiten des Alls. Doch „Sentinel-2A“ schickt seit 2015 bereits hochaufgelöste Bilder der Landoberfläche zur Erde.

Auf den Millimeter genau

Die beiden „Sentinel-1“-Satelliten hingegen – das zweite bislang komplette Satellitenpaar im All – nehmen Land und Ozeane mit Radar auf, die Höhenunterschiede millimetergenau messen können. So konnte beispielsweise sowohl die Absenkung von Venedig als auch die der Berliner U-Bahn aus dem All recht exakt und frühzeitig erkannt werden. Auch dass sich die Erde in Folge der Fukushima-Katastrophe an manchen Stellen um bis zu zwei Meter in die Höhe verschoben hat, weiß man ebenfalls dank Satellitendaten sehr genau.

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Besonders kostengünstig ist das alles nicht. Das gesamte Copernicus-Programm kostet für die Zeit von 2014 bis 2020 rund 4,3 Milliarden Euro. Das Versprechen im Gegenzug lautet: Informationen, die die Welt retten. Und das ist ernst gemeint, schließlich kann man den Start der umfangreichen Erdbeobachtung aus dem All unter anderem als Folge des gestiegenen Umweltbewusstseins der 1970er-Jahre betrachten. Heute bestätigen oder berichtigen die Satellitendaten beispielsweise die Vorhersagen der Klimaforschung und beantworten die Frage, ob die Modelle Recht haben. Nicht immer, wie sie zeigen. Das Meereis in der Arktis schmilzt schneller als gedacht.

Als eines der nächsten Ziele haben sich die Fernerkundler die Konzentration von Gasen wie Ozon vorgenommen. „Mit modernen Methoden können wir das ,böse’ Ozon auf dem Boden vom ,guten’ der Atmosphäre unterscheiden“, sagt Robert Meisner, Kommunikationsverantwortlicher der Erdbeobachtungsprogramme der Esa. Damit kann man nicht nur zeigen, wie effektiv das Ozon unsere Atmosphäre schützt, sondern auch in welchen Städten Menschen besonders von belasteter Luft umgeben sind. Auch Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Feinstaubpartikel wollen die Beobachter in möglichst hoher Auflösung dingfest machen. Noch ist das nur auf Stadtebene möglich, mit dem Start von „Sentinel 5P“ im Sommer soll die Auflösung aber noch deutlich verbessert werden, so dass Vorhersagen mit einer Genauigkeit für einzelne Straßenzüge getroffen werden können. So kann man nicht nur Stadtbewohner warnen, sondern auch überprüfen, ob entsprechende Grenzwerte eingehalten werden. Die Hoffnung ist, mit diesen Daten das Umweltbewusstsein der Menschen besser zu erreichen als mit abstrakten Computermodellen.

Aber auch die langfristige Beobachtung verschiedener Daten ist interessant, um Trends in der Klimaveränderung zu erkennen. So können die Satelliten auch die Bodenfeuchtigkeit sowie die dortigen Temperaturen sehr genau erfassen. Auch diese Werte verändern sich mit dem Klimawandel und können frühe Anzeichen sein, wenn sie über lange Zeit verglichen werden. Alle fünf Tage decken die beiden „Sentinel-2“-Satelliten alle Landoberflächen, großen Inseln sowie Binnen- und Küstengewässer zwischen 56 Grad südlicher und 84 Grad nördlicher Breite ab. Die beiden Satelliten sind baugleich und liefern die gleichen Daten – nur zeitversetzt: „So bekomme ich alle fünf Tage die gesamte Erde abgebildet“, sagt Meisner.

Wichtig ist das auch für die Schifffahrt, da die Satelliten die Bewegungen von Eisbergen beobachten. In Kombination mit Daten von Wettersatelliten werden die Bedingungen für die Schifffahrt ebenso wie für die Luftfahrt berechnet. Eine noch essenziellere Bedeutung für das Leben auf der Erde haben die Vorhersagen der Getreideernte. Viele Felder sind heutzutage so groß, dass man sie kaum vom Boden aus überblicken kann. Dazu kommen schwer zugängliche Gebiete – sei es wegen der geografischen Lage oder aufgrund von Krisen. Weil Satelliten das gleiche Gebiet immer wieder überfliegen, erkennen sie schon kleinste Veränderungen schnell. Sind die Pflanzen erkrankt? Ist der Boden zu trocken? In Kombination mit den Daten von Wettersatelliten kann so beispielsweise eine genaue Prognose der Weizenernte erstellt und entsprechend vorgesorgt werden, falls es droht, knapp zu werden.

Auch für die Stadtplanung sind die Daten interessant: Ist die Straße fertig geteert? Dank einer Auflösung von einem Meter pro Pixel kann man das tatsächlich vom Orbit aus beurteilen. Was auf den ersten Blick absurd klingt – eine Straße kann man schließlich auch mit dem Auto erreichen – hat ernste Hintergründe: die EU fördert Straßenbau in der Ukraine, die Weltbank hat Infrastrukturprojekte auf der ganzen Welt. Da ist es oft einfacher und kostengünstiger, via Satellit zu schauen, ob diese so voranschreiten wie vereinbart statt einen Mitarbeiter auf Weltreise zu schicken.

Satellitendaten können auch auf Mineralienvorkommen hinweisen. Aus der Geologie des Untergrundes kann man Rückschlüsse auf mögliche Vorkommen schließen. Das spart teure Reisen von Fachleuten, die seismische Untersuchungen nur aufgrund eines begründeten Verdachts machen müssten.

Frei zugängliche Informationen

Das alles ist einleuchtend. Nur wieso braucht Europa überhaupt ein eigenes, derart umfangreiches Umweltsatellitenprogramm?

Kann man nicht auf die Daten anderer Länder zurückgreifen? Die Antwort von Robert Meisner ist denkbar einfach: Dieses Erdbeobachtungsprogramm ist einzigartig und das umfangreichste der Welt. Lediglich der US-amerikanische „Landsat“-Satellit sei vergleichbar mit „Sentinel-2“, „aber das ist nur einer.“ Auch die Menge an Daten, die frei für alle zur Verfügung gestellt werden, ist weltweit einzigartig. „Das ist auch ein Input für die Wirtschaft und die Forschung“, sagt Meisner.

Wer das Gefühl hat, vom Stichwort Copernicus schon ein halbes Leben begleitet zu werden, ohne aber lange Zeit etwas Neues gehört zu haben, liegt gar nicht so falsch: „1997 wurde die Idee bei einem Treffen am Lago Maggiore geboren“, erinnert sich Meisner. Was hat seither so lange gedauert? „Im Jahr zwei Satelliten ins All zu schicken, von denen jeder mehrere Millionen kostet, das ist einfach ein langer Weg.“ Man könnte sagen, was lange währt, wird endlich gut.