Natur als Vorbild: Zikade mit Zahnrad-Antrieb

Wieder einmal war die Natur schneller: Englische Zoologen haben entdeckt, dass Zikaden über eine Art Zahnrad-Antrieb verfügen. Wenn die kleinen Insekten zum Sprung ansetzen, sorgen ineinandergreifende Zähne an ihren Gelenken dafür, dass sich die Beine im perfekten Gleichtakt vom Untergrund abdrücken. Auf diese Weise vermeiden die Tiere ungewollte Pirouetten in der Luft, berichten die Forscher im Fachmagazin Science.

„Üblicherweise sehen wir Zahnräder als Produkt menschlicher Ingenieurskunst an“, erklärt Gregory Sutton von der Universität Cambridge. Das Beispiel der Käferzikade belege jedoch, dass auch die Natur dieses Prinzip längst entdeckt habe. „Wir haben es hier mit einem Produkt der Evolution zu tun, das Teil eines extrem schnell und präzise arbeitenden Mechanismus zur Synchronisation ist.“

In der belebten Welt finden sich verblüffende Lösungen für Probleme, mit denen sich Ingenieure ebenfalls herumschlagen. Die Palette reicht vom Düsenantrieb der Tintenfische bis hin zu Käfern, bei denen die Beine regelrecht im Körper verschraubt sind. Ein ganzer Wissenschaftszweig, die Bionik, hat sich dem Ziel verschrieben, solche evolutionären Lösungen für technische Anwendungen nutzbar zu machen. So dient die Beschichtung der stets makellosen Lotosblätter bereits als Vorbild für selbstreinigende Fensterscheiben, die niemals geputzt werden müssen. Und auf ähnliche Weise wie Bienen oder Libellen könnten einmal insektengroße Überwachungsdrohnen durch die Luft schwirren.

Sutton und sein Kollege Malcolm Burrows kamen dem natürlichen Zahnrad-Mechanismus auf die Spur, als sie die Sprungtechnik der Echten Käferzikade (Issus coleoptratus) untersuchten. Die wenige Millimeter langen Tiere sind auch in Deutschland verbreitet und saugen den Saft von Laubbäumen. Statt im Flug bewegen sie sich springend umher, indem sie schlagartig das hintere ihrer drei Beinpaare strecken. Dabei würde schon eine leichte Verzögerung zwischen den Beinen den Insektenkörper in rasante Drehung versetzen und eine kontrollierte Landung unmöglich machen.

Tatsächlich gelingt es den Zikaden, ihre Beine bis auf 0,03 Tausendstelsekunden synchron zu bewegen, fanden die Forscher mithilfe einer Hochgeschwindigkeitskamera heraus. Allein über die Nerven lässt sich ein solches Maß an Präzision jedoch schwerlich erreichen, da ein einzelner Nervenimpuls in der Regel eine ganze Tausendstelsekunde benötigt.

Erst ein genauer Blick auf die Beine enthüllte die ebenso einfache wie unerwartete Lösung: Die direkt an der Hüfte ansetzenden Glieder des Insektenbeins, die Schenkelringe, tragen auf ihrer Innenseite eine Reihe feiner Zähne. Diese Zähne sind bestenfalls 0,03 Millimeter hoch und erinnern in ihrer Form an die Rückenflosse eines Haifischs. Vor dem Absprung positioniert die Zikade ihre Beinglieder so, dass die Zahnreihe auf dem linken Schenkelring in die Zahnreihe auf dem rechten greift. Bewegt sich nun ein Bein, muss das andere mitmachen.

„Bei Issus wird das Skelett also zur Lösung eines komplexen Problems genutzt, das Gehirn und Nervensystem nicht lösen können“, erklärt Burrows. „Dank ihrer Zahnrad-Mechanik muss die Zikade einfach nur Nervensignale zu den Muskeln senden, die eine annähernd gleichmäßige Kraftentfaltung bewirken. Und wenn dann ein Bein mit dem Entfalten der Sprungkraft beginnt, greifen die Zahnräder ineinander und bewirken so eine perfekte Synchronizität.“