Nature-Studie: Die Europäer haben dreierlei Vorfahren
Woher die ersten Europäer kamen, ist klar: aus Afrika. Vor gut 40.000 Jahren muss eine Gruppe von modernen Menschen allmählich gen Norden gezogen sein. Wahrscheinlich wählten sie den Landweg am östlichen Mittelmeer entlang durch das heutige Israel und die Türkei. Jagend und sammelnd verbreiteten sie sich im Laufe der Jahrtausende auf dem Kontinent.
Doch diese Ur-Europäer blieben nicht die einzigen Einwanderer. Seit einigen Jahren weiß man, dass vor etwa 9000 Jahren eine Gruppe äußerst wichtiger Migranten aus dem Nahen Osten kam: die ersten Ackerbauern und Viehzüchter. Sie verdrängten jedoch nicht die Jäger und Sammler, sondern mischten sich mit ihnen. Das lässt sich noch heute aus unserem Erbgut herauslesen.
Bisher gingen Experten davon aus, dass Europäer eine Mischung dieser beiden Gruppen sind. Eine im Fachmagazin Nature veröffentlichte Studie deckt nun jedoch den Einfluss einer bisher unbekannten dritten Gruppe auf: Bauern aus dem euroasiatischen Norden, die vor etwa 5000 Jahren einwanderten. Sie kamen möglicherweise aus den Steppen Westasiens oder aus dem äußersten Osten Europas – und hinterließen Spuren im Erbgut fast aller heutigen Europäer.
„Die DNA der heutigen Deutschen zum Beispiel stammt zu etwa 10 Prozent von den Nordeurasiern, zu 45 Prozent von ur-europäischen Jägern und zu 45 Prozent von Bauern aus dem Nahen Osten“, erläutert der Paläogenetiker Johannes Krause von der Universität Tübingen, der die Studie zusammen mit David Reich von der Harvard University im US-amerikanischen Cambridge geleitet hat.
DNA aus der Steinzeit
Für ihre Analyse haben die Forscher so viele steinzeitliche Erbgutdaten zusammengetragen und verglichen wie noch kein Team zuvor. Neun alte Genome sequenzierten die Wissenschaftler komplett neu: Sieben stammen von den Schädeln einer südschwedischen Wildbeutergruppe, die vor 8000 Jahren in der Nähe des Ortes Motala lebte. Ein Genom gehört dem „ältesten Luxemburger“, einem Jäger und Sammler, der vor 8000 Jahren bei Loschbour begraben wurde. Das neunte Genom stammt von einer Bäuerin, die vor 7000 Jahren in der Nähe von Stuttgart lebte.
Das Team um Krause und Reich verglich die Genome der neun europäischen Steinzeitmenschen untereinander, aber auch mit denen von mehr als 2300 heutigen Menschen aus allen Teilen der Welt, die das Team genomweit untersuchte. Darüber hinaus flossen bereits existierende Daten von steinzeitlichen Funden wie der Gletschermumie Ötzi aus Südtirol sowie von Jägern und Sammlern aus Spanien ein.
„Es ist überraschend, dass zum Erbgut der Europäer nicht nur zwei Bevölkerungsgruppen beigetragen haben, sondern drei“, sagt Krause. Je nach Region ist das Erbgut der Nordeurasier unterschiedlich stark vertreten: Im Baltikum hat es mit 20 Prozent den größten Anteil, auch die Schotten haben viel davon im Blut. In Südeuropa mischt es dagegen weniger mit. Auf Sardinien spielt es sogar fast gar keine Rolle. Die Insel ist ungewöhnlich einheitlich: Zu 90 Prozent haben die Sarden noch heute die Gene der ersten Bauern.
„Vermutlich gab es nach der Besiedlung aus dem Nahen Osten kaum noch Migrationen nach Sardinien“, sagt Krause. Genetisch sehen die Sarden heute also noch fast genauso aus wie die Ackerbauern, die vor 7000 Jahren nach Deutschland kamen. Auch Ötzi, der vor 5400 Jahren in Südtirol lebte, hat zu mehr als 95 Prozent das Erbgut der ersten Bauern. Wie sie aussahen, verraten bestimmte Gene. „Sie hatten relativ helle Haut und braune Augen. Die ur-europäischen Jäger und Sammler dagegen hatten blaue Augen und eher dunkle Haut“, erläutert Krause.
Abgesehen von den Sarden findet sich bei allen heutigen Europäern ein genomisches Mosaik der drei steinzeitlichen Migrantengruppen. Auf die Spur der dritten Komponente brachte die Forscher das vor einem Jahr sequenzierte Erbgut des sogenannten Mal’ta-Jungen, der vor 20.000 Jahren in der Baikalregion in Südsibirien gelebt hat. Krause: „Sein Erbgut findet sich bei heutigen Asiaten nicht mehr, es schließt aber exakt die Erklärungslücken, die das Genom der Europäer bisher hatte.“
Über das Volk aus dem Nordosten weiß man bisher nur wenig. Es muss relativ spät nach Europa gezogen sein, denn in den 7000 und 8000 Jahre alten DNA-Proben aus Stuttgart und Luxemburg findet sich noch keine Spur von ihm. „Heute sind Teile seines Erbguts aber bei fast allen Europäern zu finden. Daher vermuten wir, dass es vor etwa 5000 Jahren gen Westen zog“, sagt Krause.
Verbindung zu den Indianern
Die rätselhaften Nordeurasier müssen auch zuvor schon auf Exkursion gegangen sein. Sie haben deutliche Spuren im Genom der südschwedischen Wildbeuter hinterlassen, die vor 8000 Jahren lebten. Und noch früher, wohl vor 14.000 Jahren, sind einige von ihnen über die Beringstraße nach Amerika gewandert. „Heutige Indianer in Nordamerika haben zu fünfzig Prozent das Erbgut der Nordeurasier“, sagt Krause.
Ansonsten weiß man nicht viel über dieses Volk. „Woher es genau kam und welche Kultur es hatte, müssen Folgestudien zeigen“, sagt Krause. Eine heiße Spur gibt es bereits: Es könnte sich um diejenigen nomadischen Hirten gehandelt haben, die zur Schnurkeramik-Kultur gehörten. Sie versahen ihre Töpferwaren mit Rillenmustern, die sie mit einer Schnur in den Ton drückten, und züchteten Vieh nordöstlich des Schwarzen Meeres. Gegen Ende der Jungsteinzeit, vor rund 4500 Jahren, breiteten sie sich stark Richtung Zentral- und Nordosteuropa aus.
Krause hofft, dass künftige DNA-Analysen mehr über die rätselhaften Nordeurasier ans Licht bringen werden. Ein wichtiges – letztlich auch politisch interessantes – Fazit für ihn ist derweil: „Europa war schon immer ein Schmelztiegel, in dem Populationen zusammengekommen sind und sich vermischt haben. Migration ist kein modernes Phänomen.“