Optogenetik: Lichtschalter für Zellen

Berlin - Es riecht nach Maschinenöl im Treppenhaus. Und nach Kaffee. An den Wänden hängen Plakate, auf denen Moleküle und Zellstrukturen zu sehen sind. Im vierten Stock des Plattenbaus, der zwischen einem Hotel und dem Berliner Naturkundemuseum steht, ist das Institut für Biophysik der Humboldt-Universität beheimatet. Hier arbeitet Peter Hegemann. Der Professor hat jüngst den Berliner Wissenschaftspreis des Regierenden Bürgermeisters für seine Arbeit auf dem Gebiet der Optogenetik erhalten, einer Methode, die es erlaubt, Nervenzellen mit Licht zu steuern.

Aus seinem Büro blickt Hegemann auf eine Wand des Naturkundemuseum. Dort sind die Fenster zugemauert, lichtempfindlicher Exponate wegen. Das passt zu Hegemanns Forschung. Denn auch hier geht es um Licht und Dunkel. Ihn interessiert: Wie nehmen Algen Licht wahr und reagieren darauf? Und wie lassen sich biologische Systeme mit Licht aktivieren?

Blick in die Zelle

Peter Hegemann hat zusammen mit Kollegen den Grundstein für die Optogenetik gelegt – der Verbindung von Licht und Genetik. Mit ihr verbinden sich große  Hoffnungen in der Medizin. Es geht darum, Krankheiten wie Parkinson oder Epilepsie genauer zu verstehen und möglicherweise effizienter zu behandeln. Ebenso Taubheit oder Augenleiden,  die  zur Erblindung führen.

Um das Prinzip von Hegemanns Entdeckung zu verstehen, muss man auf die zelluläre Ebene gehen. Jede Zelle ist von einer Membran umhüllt, die sie von ihrer Umgebung abgrenzt und schützt. Auf der Innen- und Außenseite dieser Hülle befinden sich elektrisch geladene Teilchen – die Ionen. Ein weitere wichtiger Bestandteil lichtempfindlicher Zellen sind Photorezeptoren. Das sind Proteine, also Eiweißmoleküle, die auf Lichtsignale reagieren. Davon gibt es verschiedene Sorten. Hegemanns Forschung basiert auf dem Rezeptor Rhodopsin. Der kommt nicht nur in den Zellen menschlicher oder tierischer Augen vor, sondern auch in abgewandelter Form in Grünalgen.

Geburt eines weltweiten Hypes

Wenn nun Licht einer bestimmten Wellenlänge auf Rhodopsin trifft, wird der Photorezeptor aktiviert. Er „sieht“ das Licht. Als Reaktion öffnet er einen kleinen Kanal durch die Zellmembran, und die Ionen können nach außen oder innen strömen. Die Zelle wird durch den Ionenaustausch elektrisch angeregt – es fließt Strom. Das Rhodopsin ist der Schalter dafür. Die einzelligen Grünalgen im Versuchsgefäß bewegen sich.

Fast zwanzig Jahre lang forschte Hegemann, bevor er nachweisen konnte, dass Zellen durch Licht aktiviert werden können. Den Anstoß hatte  Mitte der 1980er-Jahre ein Aufsatz mit Hinweisen über Rhodopsine in Algen gegeben. Dort setzte Hegemann an und betrat damit Neuland in der  Photobiologie. Er hatte Glück: Sein damaliger Chef Dieter Oesterhelt am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried unterstützte ihn und verschaffte ihm die nötige Freiheit für seine Forschung. Von da an konzentrierte sich Hegemann auf die Suche nach den richtigen Rhodopsinen in Grünalgen.

Doch die biochemische Isolierung der lichtempfindlichen Photosensoren erwies sich als schwierig. Fast 15 Jahre dauerte es, bis dies gelang. Das war Ende der 1990er-Jahre. Hegemann arbeitete inzwischen als Professor an der Universität Regensburg. „Leider mussten wir feststellen, dass wir den falschen Photorezeptor isoliert hatten“, sagt der 61-Jährige heute. „So ist Forschung nun mal.“

Nicht aufgegeben

Doch er gab nicht auf. Er beauftragte einen Doktoranden, eine neue Datenbank nach bislang unbekannten Rhodopsinen zu durchforsten. Er fand zwei. Dann ging alles sehr schnell. In Kooperation mit dem Botaniker Georg Nagel injizierte Hegemann die RNA, die das entsprechende Rhodopsin herstellt, in die Zellmembran von Froscheiern. Anschließend wurden die Eier belichtet und die elektrische Leitfähigkeit untersucht. „Es funktionierte, und wir konnten unsere Hypothese bestätigen“, sagt Hegemann. Sie hatten gezeigt, dass es Rhodopsine gibt, die durch Licht gesteuerte Ionenkanäle sind, und nannten diese Kanalrhodopsine.

Die Ergebnisse wurden im Jahr 2002 veröffentlicht und weckten das Interesse des US-Neurowissenschaftlers Karl Deisseroth von der Stanford University in Kalifornien. Er erkannte das Potenzial für die Neuroforschung und suchte nach Wegen, das Kanalrhodopsin aus Algen in die Nervenzellen von Mäusen einzubauen. Das gelang ihm 2005 – die Geburtsstunde der Optogenetik. Mit Viren konnte Deisseroth die genetische Information des Kanalrhodopsins in Nervenzellen von Mäusen übertragen, die an Parkinson erkrankt waren. Wurden die Zellen über ein dünnes Glasfaserkabel, das aus dem Kopf herausragte, mit blauem Licht bestrahlt, begannen die Tiere wieder zu laufen.  Bis heute arbeiten Hegemann und Deisseroth eng zusammen und tauschen Ideen und Ergebnisse aus. Sie sind aber nicht die einzigen, die sich mit Optogenetik beschäftigen. Aus Hegemanns einsamer Algenforschung ist eine weltweite Bewegung geworden. Etwa 1 500 Arbeitsgruppen verwenden die Technik für ihre Forschung, schätzt er.

Grundlagenforscher

Doch Hegemann schaut auch skeptisch auf die Entwicklung. „Es ist so etwas wie ein Hype um die Optogenetik entstanden“, sagt er. „Als wir im Jahr 2005 Neurowissenschaftler suchten, die mit uns zusammenarbeiten, hatte in Deutschland keiner Interesse.“ Dies sei inzwischen anders, denn jetzt wisse man, dass der Mechanismus funktioniere. „Jetzt wollen alle Optogenetik machen.“ Hegemann warnt aber vor übergroßen Hoffnungen, was Therapien betrifft. Denn bis zur Behandlung am Menschen sei es ein weiter Weg. Momentan wird noch an Mäusen geforscht. Offene Fragen gibt es viele: Wie kommt das Licht zu den betroffenen Nervenzellen, wenn die Krankheit über das ganze Gehirn verteilt ist? Oder: Welche Viren eignen sich zum Transport zu den Zellen – sie dürfen nicht krank machen und keine Immunreaktion auslösen.

Hegemann ist und bleibt Grundlagenforscher. „Erst, wenn man weiß, wie etwas funktioniert, kann es angewendet werden“, betont er. Im Moment sucht er Varianten der Kanalrhodopsine. Die anwendungsorientierte Forschung überlässt er lieber den Medizinern. „An den Universitäten müssen wir uns auf die Grundlagenforschung konzentrieren“, sagt er. „Wir dürfen nicht in den Wettbewerb mit den großen Forschungsinstituten wie der Helmholtz-Gesellschaft treten, die ja finanziell viel besser ausgestattet sind. Da kann die Uni nur verlieren.“ Deshalb: „Wir müssen Nachwuchs mit ungewöhnlichen Ideen fördern. Nur so kann Neues entstehen.“ Doch in Berlin sieht er eher einen entgegengesetzten Trend.

Er selbst arbeitet gerne an der Humboldt-Universität, wo er seit 2004 eine Arbeitsgruppe für experimentelle Biophysik leitet. „Die Universitäten kooperieren sehr gut miteinander. Der interdisziplinäre Austausch funktioniert hervorragend, und es ist viel Expertise vorhanden“, sagt er. Auch das Leben in Berlin gefällt ihm. Wenn er nicht am Institut für Biophysik ist, geht er gerne in die Neue Nationalgalerie, in den Gropius-Bau oder ins A-Trane zum Jazz. Oder er segelt im Verein Oberspree am Rande der Stadt.

Geld für ungewöhnliche Ideen

Das Preisgeld des Berliner Wissenschaftspreises von 40 000 Euro soll den Mitarbeitern seiner Arbeitsgruppe zugutekommen. Es könnte für Klausurtagungen im Berliner Raum oder die Teilnahme an internationalen Tagungen verwendet werden. „Beides um ungewöhnliche Ideen und Projekte zu entwickeln, von denen noch niemand gehört hat.“ Hegemann selbst möchte sich in Zukunft wieder mehr auf die Forschung an Algen konzentrieren. „Sie sind ökologisch sehr interessant und wichtig.“ Er will aber bei seinem angestammten Forschungsgebiet bleiben – der Steuerung von Algen durch Licht. „Sehr spannend finde ich arktische Algen. Sie leben in extremen Lichtverhältnissen. Zwischen Dauerdunkelheit im Winter und ständigem Licht im Sommer.“

Jungen Wissenschaftlern rät Peter Hegemann: „Geht mit offenen Augen durch die Welt und entdeckt interessante Naturphänomene. Was gibt es für tolle Sachen? Erforscht die Mechanismen.“ Das brauche Zeit, aber berge viel Potenzial. Die Optogenetik ist ein Beispiel dafür.