Physik: Gottes Teilchen zeigt sich in Spuren
Eine leere Flasche Karlsbräu und 15 Flaschen Champagner, das sind die Höhepunkte der Teilchenphysiker. Säuberlich aufgereiht schmücken sie die Wand im großen Kontrollraum des Europäischen Teilchenforschungszentrums Cern bei Genf. Der erste Teilchenstrahl im neuen Hochleistungsbeschleuniger LHC wurde 2008 mit Moët & Chandon begossen. Und auch die erste Teilchenkollision im gewaltigen Atlas-Detektor. Bollinger gab’s dann für den erfolgreichen Start des CMS-Detektors. Physiker in aller Welt blicken in diesen Stunden gespannt nach Genf, ob dort am kommenden Dienstag eine Magnumflasche geköpft wird. Denn um das Standardmodell der Teilchenphysik komplett zu füllen, fehlt nur noch das „Teilchen Gottes“ genannte Higgs-Boson. Es soll der Materie ihre Masse verleihen. Um dieses vorerst letzte große Rätsel der Physik aufzuhellen, will das Cern Messdaten aus den beiden Detektoren Atlas und CMS präsentieren.
„Das Cern wird die Ergebnisse auf keinen Fall vorher verkünden“, sagt Siegfried Bethke, Direktor am Münchner Max-Planck-Institut für Physik und einer der Erbauer des Atlas-Detektors. Es gebe Daten, die auf das Higgs-Boson hinwiesen. Die Daten reichten aber nicht aus, um bereits die Entdeckung des Teilchens zu verkünden. „Der Stand der Dinge ist hoffnungsvoll, aber nicht 100-prozentig sicher“, lässt er sich zumindest entlocken. Erste Gerüchte, das Higgs-Boson habe eine geringere Masse, als vermutet, will er nicht kommentieren.
Klebstoff des Universums
Seit exakt 1964 wird nach diesem Etwas gesucht, das Sonnen und Planeten zusammenhält und den Menschen einen sicheren Halt auf dem Erdball gibt. Der britische Physiker Peter Higgs ist der Namensgeber, obwohl einige seiner Kollegen schon zuvor die selbe Idee hatten. Doch erst der LHC dürfte stark genug sein, um die Signatur des Gottesteilchens aus den unzähligen Zusammenstößen herauszufischen. Im kommenden Jahr soll es noch bessere Daten geben, dann wird der Beschleuniger auf die doppelte Leistung hochgefahren.
Vorsicht ist aber auch dann noch geboten. Schon mehrfach glaubten Teilchenphysiker, einen Zipfel vom „Heiligen Gral“ erwischt zu haben. Doch die Hoffnungen erfüllten sich bislang nicht, das statistische Rauschen hatte die Sucher immer wieder in die Irre geführt. Das war vor elf Jahren am Cern so, als im Vorgängerexperiment plötzlich Daten auf das Higgs-Boson hinwiesen.
Laut Physik-Professor Bethke gilt die Fünf-Sigma-Regel, nach der die Ergebnisse zu 99,999 Prozent stichhaltig sein müssen. Unklar ist auch, ob es tatsächlich nur ein einziges Teilchen gibt, das der Materie die Masse verleiht. Möglicherweise sind es auch mehrere exotische Teilchen, für die noch höhere Beschleunigerleistungen nötig wären.