re:publica: Innenminister fordert gleiche Gesetze für die analoge und digitale Welt
Berlin - Wäre die re:publica ein Musikfestival, hätte man Innenminister Thomas de Maizière sicherlich als Headliner auf einem Plakat ankündigen können. Zumindest, wenn man den Massenandrang vor der Stage 2 am dritten und letzten Tag der größten Digitalkonferenz Europas betrachtet.
Schon eine halbe Stunde vor der Podiumsdiskussion mit Netzpolitik.org-Chefredakteur und re:publica-Mitgründer Markus Beckedahl und Constanze Kurz vom Chaos Computer Club (CCC) stehen die Besucher Schlange. Wer schlau war, hat sich schon in die vorige Veranstaltung gesetzt und sich einen Stuhl gesichert – das haben viele getan. Und so müssen die meisten Schlange-Steher auf dem kalten Betonboden Platz nehmen.
Der CDU-Politiker hatte sich selbst eingeladen. Zum ersten Mal spricht er auf einer Bühne der Gesellschaftskonferenz. Das zeigt einmal mehr, dass Politiker die Bedeutung der Veranstaltung – und damit die gesellschaftliche und politische Reichweite – erkannt haben und diese für sich nutzen wollen. Den Mächtigen so ein Podium zu bieten, ist nie Ziel der re:publica-Macher gewesen, aber gleichzeitig hat die Polit-Prominenz natürlich auch eine Außenwirkung.
Ungeahnte Freiheiten
Neben dem Innenminister haben Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (beide SPD) in den vergangenen Tagen die Veranstaltung in Berlin-Kreuzberg besucht, auf der seit Montag – mal kontrovers, mal einstimmig – über Chancen und Risiken der Digitalisierung diskutiert worden ist.
Das Internet schaffe ungeahnte Freiheiten, Teilhabemöglichkeiten und fördere Demokratisierung und Kommunikation über nationale Grenzen hinweg. Das müsse weiterhin gewürdigt und aufrechterhalten werden, sagt de Maizière in seinem Impulsvortrag am Mittwochmittag. Doch das Pendel schwinge auch in die entgegengesetzte Richtung. Viele brächten das Internet nur noch mit Überwachung, Hate Speech oder Populismus in Verbindung.
Die Digitalisierung schaffe Freiheiten, gleichzeitig schränke sie auch Freiheiten ein und schaffe Ungleichheiten. „Wenn neue Bedrohungen entstehen, hat der Staat eine Schutzfunktion“, erklärt de Maizière. Das sei seine Aufgabe, das funktioniere jedoch nicht ohne Regulativ. Man benötige eine Digitalpolitik aus einem Guss, aber „kein einzelnes Internetgesetz.
Die Unterscheidung zwischen analoger und digitaler Welt ist überholt.“ Dabei gehe es aber immer um Abwägungsentscheidungen zwischen der Freiheit und Schutz. Er appellierte auch an die Verantwortung jedes Bürgers im Umgang mit seinen persönlichen Daten. Das sichere und selbstbestimmte Handeln im Netz müsse gefördert werden.
„Bürger bleibt Bittsteller“
Als Beispiel für die Diskrepanz nennt er unter anderem die Abschaffung der Störerhaftung, ein Gesetz, das das Bundeskabinett auf den Weg gebracht hat und das in Deutschland für mehr frei verfügbare Netze sorgen soll, da WLAN-Anbieter nicht mehr für Urheberrechtsverletzungen Dritter haftbar gemacht werden können.
Der Minister betont, dass damit aber auch Rechtsverletzungen schwerer verfolgbar seien. Auch mit der Vorratsdatenspeicherung habe man einen Kompromiss gefunden. Das Gesetz sei das mildeste in ganz Europa. „Der Datenkranz der Vorratsdatenspeicherung wird nicht erweitert“, betont er.
De Maizière sagt außerdem, dass man auf deutschen Boden keine Spionage akzeptiere. Dazu schaue man „in alle Himmelsrichtungen, vor allem in den Osten, aber auch in den Westen“. Auch ein neues Open-Data-Gesetz soll noch in dieser Legislatur verabschiedet werden. Damit sollen öffentlich finanzierte Verwaltungen verpflichtet werden, den Bürgern unentgeltlich Daten zur Verfügung zu stellen.
Die Piraten sind verschwunden
Markus Beckedahl kritisiert, dass dieses Gesetz viel zu spät und viel zu halbherzig sei. „Eigentlich müssten Verwaltungen das alles von sich aus proaktiv online stellen. Der Bürger bleibt noch immer in einer Bittstellerfunktion“, sagt er. Bei vielen verabschiedeten Gesetzen stecke „der Teufel im Detail“, macht der Netzpolitik-Chefredakteur deutlich. Beckedahl sieht auch die Meinungsfreiheit in Gefahr. Auch Constanze Kurz vom Chaos Computer Club kritisiert, dass in der Amtszeit von Thomas de Maiziére die Überwachung der Bürger zur Normalität geworden sei.
Und wie es auch auf Musik-Festivals vorkommt: Manchmal fliegen Flaschen, mal Unterwäsche. In diesem Fall übergab der Vorsitzende der Piratenpartei, Patrick Schiffer, dem Innenminister bei der offenen Fragerunde einen „Goldenen Shit Award“ – ein kleiner glitzernder Haufen, festgenagelt auf einem Holzbrett, das unter dem Gelächter des Publikums von de Maizières Sicherheitspersonal abgefangen wurde. Das blieb nicht unkommentiert: „Kein Wunder, dass die Piraten so aus den Landtagen verschwunden sind“, sagte der Minister.