Spinosaurus : Noch ein neuer Gigant im Naturkundmuseum

Ein furchterregendes, 15 Meter langes Raubtier mit einem riesigen Segel auf dem Rücken und einem Maul voll spitzer Zähne: Einem lebendigen Spinosaurus möchte wohl keiner begegnen. Rund 95 Millionen Jahre nach seinem Tod, in einer am Montag eröffneten Sonderausstellung des Berliner Naturkundemuseums, sieht die Sache anders aus. Da steht man voller Faszination vor dem Skelett des größten fleischfressenden Dinosauriers, den Wissenschaftler bisher kennen. Einmal derart spektakuläre Fossilien zu finden, muss ein Traum sein!

Für Nizar Ibrahim ist er vor ein paar Jahren in Erfüllung gegangen. Der in Berlin geborene Paläontologe hat bis vor kurzem an der University of Chicago gearbeitet und tourt derzeit für die National Geographic Society auf einer Vortragsreise durch die USA. Genug zu erzählen hat er nämlich. Nach einer scheinbar aussichtslosen Spurensuche ist der Deutsch-Marokkaner in der Sahara auf die versteinerten Überreste des bizarren Tieres gestoßen. Anschließend hat er es gemeinsam mit amerikanischen, britischen, italienischen und marokkanischen Kollegen im Computer wiederauferstehen lassen. „Es war, wie einen Alien aus dem Weltall zu untersuchen“, erinnert er sich. Ein Dinosaurier wie kein anderer – und schwer zu durchschauen.

Dabei beschäftigt der Gigant aus der Kreidezeit die Wissenschaft schon seit mehr als hundert Jahren. 1912 wurde das erste Skelett in Ägypten entdeckt, drei Jahre später beschrieb der deutsche Paläontologe Ernst Stromer von Reichenbach die Art und nannte sie Spinosaurus aegyptiacus, die Ägyptische Dornenechse. Der Name bezieht sich auf die eindrucksvollen Rückenwirbel mit den langen Dornfortsätzen, von denen manche so groß waren wie ein Mensch. 1944 wurden die Original-Fossilien allerdings bei einem alliierten Luftangriff auf München zerstört. Danach tauchten nur noch vereinzelte Knochen auf – zu wenige, um die tatsächliche Lebensweise und Gestalt der geheimnisvollen Tiere rekonstruieren zu können.

Knochen im Pappkarton

Dank Nizar Ibrahims Detektivarbeit hat sich die Lage nun geändert. Alles begann im April 2008. Während einer Forschungsreise im Südosten Marokkos machte er eine Pause in der Stadt Erfoud am Rande der Sahara. Dort sprach ihn ein lokaler Fossiliensammler an und hielt ihm einen Pappkarton unter die Nase: Ob er sagen könne, was das für Knochen seien? „Ich hatte so etwas noch nie gesehen“, erzählt der Wissenschaftler. War das eine seltsam geformte Rippe? Oder vielleicht der Dornfortsatz eines Spinosaurus? Für alle Fälle ließ er die Fossilien erst einmal in die Sammlung der Universität von Casablanca schaffen. Vielleicht konnte er ja irgendwann herausfinden, was es damit auf sich hatte, dachte er sich.

Der Tag kam schneller als erwartet – und zwar bei einem Besuch im Naturkundemuseum von Mailand. Die Kollegen zeigten ihm Teile eines Skeletts, das sie einige Zeit zuvor von einem Fossilienhändler bekommen hatten. „Mir fiel die Kinnlade runter“, erinnert sich Nizar Ibrahim. Da lagen Dornfortsätze, Knochen von Beinen und Füßen, Rippen, Schädelteile – ein Spinosaurus, wie man ihn seit Stromers Zeiten nicht mehr gesehen hatte. Das Problem war nur, dass niemand den genauen Fundort kannte.

Nizar Ibrahim aber war aufgefallen, dass einer der Knochen genauso aussah wie der aus dem Karton in Erfoud. Stammten die Fossilien vielleicht vom gleichen Tier? Dann musste er den Mann wiederfinden, der ihn dort angesprochen hatte. Vielleicht konnte der ihn ja zur Fundstelle führen. Wie aber sollte er in der Sahara einen Unbekannten finden, von dem er nichts wusste, außer dass er einen Schnurrbart getragen hatte? „Es war aussichtsloser als die Suche nach der Nadel im Heuhaufen“, sagt Nizar Ibrahim. Trotzdem nahm er 2013 zusammen mit marokkanischen und britischen Kollegen die Fahndung auf.

Vergeblich, wie es zunächst schien. Der Schnurrbart-Mann tauchte nicht auf. Entmutigt saßen die Forscher in einem Café in Erfoud vor ihrem Pfefferminztee. „Ich sah gerade alle meine Träume den Bach runter gehen“, erinnert sich Nizar Ibrahim. Da spazierte der Gesuchte plötzlich wie aufs Stichwort vorbei. Tatsächlich ließ er sich dazu überreden, das Team zur Fundstelle am Ufer eines längst verschwundenen Flusses zu führen. Dort fanden sich weitere Überreste des Tieres, von dem schon Teile in Mailand und Casablanca gelandet waren.

All diese Knochen und ein paar weitere Einzelfunde haben die Forscher mit einem Computertomografen gescannt. Auch von den im Krieg zerstörten Fossilien ließen sich anhand von Stromers Zeichnungen digitale Abbilder schaffen. Fehlende Teile wurden zudem anhand der Knochen von verwandten Arten rekonstruiert. So ließ sich im Computer schließlich ein komplettes Skelett zusammensetzen, das mit seinen 15 Metern Länge sogar den berühmten Tyrannosaurus rex übertraf.

Es gibt wohl gleich mehrere Gründe für diesen Riesenwuchs. Zum einen war die Sahara vor 95 Millionen Jahren eine gefährliche Welt. Da lauerten nicht nur andere gewaltige Dinos auf Beute, sondern auch krokodilartige Raubtiere. Ein großer Körper bot angesichts solcher Gegner einfach mehr Schutz. Gleichzeitig gab es in den großen Flüssen, die damals die Region durchzogen, Beute im Überfluss: Vier Meter lange Quastenflosser, sieben Meter lange Sägefische und Lungenfische im XXL-Format.

Wer sich auf deren Fang spezialisierte, konnte sich eine eindrucksvolle Statur auch problemlos leisten. Und solch ein Fischspezialist war Spinosaurus offenbar. Seine langen, schlanken Kiefer mit den kegelförmigen Zähnen waren perfekte Werkzeuge für den Fischfang. Die kräftigen Vorderbeine mit den scharfen, gebogenen Krallen ließen sich dabei auch gut einsetzen.

Hat er also einen großen Teil seiner Zeit im Wasser verbracht? Das wäre für einen Dinosaurier ein höchst ungewöhnlicher Lebensstil. Doch es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Indizien dafür. „Die Hüftknochen und Hinterbeine sehen zum Beispiel aus, als gehörten sie zu einem viel kleineren Tier“, sagt der Paläontologe Paul Sereno von der University of Chicago. Einen solchen Körperbau kennen Biologen von den Ahnen der modernen Wale. Wenn man seinen Auftrieb im Wasser regulieren will, sind zudem dichte Knochen ohne Markhöhle hilfreich – ein Merkmal, das Spinosaurus mit heutigen Pinguinen teilt.

Kommunikation per Rückensegel

Darüber hinaus sind da der lange Hals und Rumpf, die den Schwerpunkt des Körpers weit nach vorn verlagern. Das ist beim Laufen an Land ziemlich hinderlich – anders als im Film „Jurassic Park“ dargestellt, dürften die Tiere nur selten auf zwei Beinen umherbalanciert sein. Im Wasser aber konnten sie sich mit einem solchen Körper wohl problemlos bewegen. Die breiten Füße ließen sich dabei gut als Paddel einsetzen, möglicherweise besaßen die Fischjäger sogar Schwimmhäute. Dank ihrer kleinen, weit oben auf dem Kopf liegenden Nasenlöcher konnten sie auch halb untergetaucht atmen. Und die vielen kleinen Vertiefungen an der Schnauzenspitze enthielten vermutlich Druckrezeptoren, wie sie von heutigen Krokodilen zum Orten ihrer Beute eingesetzt werden.

Sogar das riesige Segel auf dem Rücken der Tiere könnte mit ihrer Vorliebe für das nasse Element zusammenhängen. Schließlich ragte es auch dann aus dem Wasser, wenn der größte Teil des übrigen Körpers untergetaucht war. „Wir vermuten, dass die Tiere es vor allem zur Kommunikation mit ihren Artgenossen genutzt haben“, sagt Nizar Ibrahim.

Wollten sie damit ihr Alter und Geschlecht verraten? Rivalen einschüchtern? Oder beim anderen Geschlecht Eindruck schinden wie ein Pfau mit seinem Rad? Darüber können die Forscher bisher nur spekulieren. Der Spinosaurus hat noch längst nicht alle seine Geheimnisse preisgegeben.

Die Sonderausstellung „Spinosaurus“ zeigt das Museum für Naturkunde vom 9. Februar bis zum 12. Juni 2016. Sie wurde von National Geographic in Zusammenarbeit mit der University of Chicago konzipiert. Herzstück ist das erste lebensgroße Skelettmodell des riesigen Fleischfressers Spinosaurus, bereichert wurde die Schau durch Originale aus Berlin. Museum für Naturkunde, Invalidenstr. 43, 10 115 Berlin. Geöffnet Di bis Fr 9.30 bis 18 Uhr, Sa, So und feiertags 10 bis 18 Uhr.