Über Mexico City lastet eine Smogwolke, die den Bewohnern fast den Atem raubt, Peking zapft seine letzten Wasserreserven an, Karatschi ertrinkt im Verkehr. Die Metropolen der Welt haben mit gewaltigen Problemen zu kämpfen, und das, während der Zustrom von Menschen in die Städte unvermindert anhält.
Die urbane Bautätigkeit wird sich künftig noch verstärken. Deshalb fragen sich Forscher: Wie sieht die ideale Stadt aus? Welche technischen Möglichkeiten gibt es, um sie mit erneuerbarer Energie zu versorgen, Mobilität zu gewährleisten, den CO2-Ausstoß so gering wie möglich zu halten ?
All dies sind gewaltige Herausforderungen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat dem in seiner aktuellen Hightech-Strategie Rechnung getragen: Es lobt mehrere Milliarden Forschungsgelder für diese Themen aus. Auch die Fraunhofer-Gesellschaft als größte europäische Organisation für angewandte Forschung startet nun eine Initiative unter dem Titel „Morgenstadt – die Vision einer CO2-neutralen und lebenswerten Stadt“. Es geht dabei sowohl um den Umbau bestehender Städte als auch um die Planung neuer Viertel.
Meistgelesene Artikel
Bisher kümmerten sich Architekten um das Erscheinungsbild der Stadt, Ingenieure um die Energieversorgung und um die Verkehrswege, andere Spezialisten um Wasserwirtschaft oder Luftreinhaltung. In der Zukunft wird alles mit allem vernetzt sein. Das heißt, dass alle Planungen ineinandergreifen müssen.
Die CO2-freie Stadt
In Masdar, einem Vorzeigeprojekt des Wüstenstaats Abu Dhabi, hat man damit bereits begonnen, wenn auch momentan der Ausbau wegen der Finanzkrise stockt. Der von Star-Architekt Norman Foster entworfene Musterstadtteil, in dem heute rund 47 000 Menschen leben und arbeiten, hat einige Ziele der Morgenstadt bereits verwirklicht: Die Gebäude sind so gestaltet und angeordnet, dass direkte Sonneneinstrahlung in die Räume vermieden wird. Damit und mit neuartigen Fassadenelementen spart man Energie für den Betrieb von Klimaanlagen, die in diesem Land mit seinen über 40 Grad Hitze im Sommer enorme Strommengen verbrauchen. Pumpen holen Kälte aus tieferen Bodenschichten, und Norman Foster glaubt, dass sich allein durch den Einsatz derartiger Technologien bis zu 75 Prozent Energie einsparen lassen. Der Rest wird durch ein großes Solarkraftwerk am Rand des Stadtteils erzeugt.
Benzinbetriebene Autos bleiben in Parkhäusern am Stadtrand, und auch die Elektroautos wurden ins Erdgeschoss von Masdar verbannt. So können sich Fußgänger im Stockwerk darüber unbehelligt bewegen. Ein System elektrischer Fahrzeuge für den öffentlichen Nahverkehr, die ihre Insassen autonom an ein gewünschtes Ziel bringen sollen, befindet sich noch im Anfangsstadium.
Auf der Plaza des City Centers von Masdar sollen bewegliche Solar-Schirme stehen, die als Schattenspender dienen. Sie speichern Sonnenstrahlen am Tag und entlassen die Wärme nachts auf den Platz. Regenwasser wird unterirdisch in einem riesigen Tank gesammelt. Photovoltaik-Anlagen auf dem Dach versorgen Gebäude mit Strom und und warmem Wasser. Spiegel leiten Tageslicht durch Nischen in die Gebäude.
Dachgärten versorgen Restaurants und Hotels mit frischen Produkten, die mit recyceltem Abwasser aus dem Hotel bewässert werden. Fassaden sind im Winkel verstellbar, um die Sonne optimal zu lenken.
Das Projekt hat Stadtplaner auf der ganzen Welt aufgerüttelt und begeistert und einen Schub für ganzheitliches Denken bei der urbanen Planung ausgelöst. Man kann allerdings auch aus den in Masdar gemachten Fehlern lernen: Es gibt beispielsweise kein umfassendes Wasserkonzept, Trinkwasser wird aus den Meerwasserentsalzungsanlagen an der Küste gekauft, und die Feuerwehr hat im Fall eines Brandes keinen direkten Zugang zu den Gebäuden. Dennoch gehen wichtige Impulse von Masdar aus.
Die Option, einen komplett neuen Stadtteil auf die grüne Wiese oder in den Wüstensand zu bauen, ist allerdings die Ausnahme. Um die Stadt von morgen zu entwickeln, geht es hierzulande vielmehr darum, wie wir unsere bestehenden Städte so umformen können, dass sie den Anforderungen von morgen gerecht werden können: schwindende Ressourcen und Klimawandel.
Steuerung über Smartphone
Fraunhofer-Präsident Hans-Jörg Bullinger stellte dafür exemplarisch einige Lösungen vor: „Wir gehen davon aus, dass in Deutschland eine Umstellung der Energieversorgung auf regenerative Quellen möglich ist.“ Die Gebäude werden dabei eine große Rolle spielen, denn gut 40 Prozent des Weltenergieverbrauchs gehen auf ihr Konto. Sie müssen künftig energiesparend gebaut sein oder entsprechend umgerüstet werden; auf ihren Dachflächen können Solarzellen Strom erzeugen, Wärmepumpen helfen bei der Heizung. Blockheizkraftwerke mit Biokraftstoffen können für Siedlungen Wärme und Strom bereitstellen.
Die optimalen Einstellungen lassen sich elektronisch regeln, und smarte Haustechnik entspricht auch dem Zeitgeist: Sie bezieht das Internet und Multimedia in die Steuerung der Gebäude mit ein. Kameras oder Sensoren sorgen beispielsweise dafür, dass die passende Lichtstimmung eingestellt wird und dass ein angenehmes Raumklima herrscht. Alles, was nicht vollautomatisch abläuft, lässt sich über Smartphone oder Tablet-PC als Informationszentrale steuern, egal, wo der Nutzer sich gerade aufhält.
Damit aber die Schwankungen der Energieerzeugung mit Sonne und Wind ausgeglichen werden, müssen viele kleine und große Energiespeicher gebaut werden und zusammenarbeiten, bis hin zu den Batterien der künftigen Elektrofahrzeuge. Bullinger nennt das plastisch „die Stadt als Energiespeicher“. Parallel dazu sind intelligente Verteilnetze auf allen Ebenen nötig, die den Strom immer genau dort abrufen können, wo er gerade am preisgünstigsten erhältlich ist – Stichwort „smart grid“.
Fernsehen per Zuruf
Und die künftigen Häuser können noch viel mehr: Durch ihre elektronische Ausstattung erlauben sie es, alten Menschen ein Umfeld zu bieten, in dem sie auch dann noch zu Hause wohnen können, wenn sie krank oder nicht mehr ganz fit sind. „Unser Ziel sind intelligente Assistenzsysteme in der Wohnung, die die Menschen im täglichen Leben unterstützen. Man nennt das Ambient Assisted Living“, sagt Reiner Wichert, Forscher am Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung.
In erster Linie geht es um ältere, behinderte und pflegebedürftige Menschen. Wer nicht mehr selbstständig aus dem Bett aufstehen kann, wird froh sein, wenn er das Licht oder den Fernseher per Zuruf ein- und ausschalten oder das Bett ohne Mühe in eine andere Position bringen kann. Ebenso morgens im Badezimmer: Der Spiegel wird zum intelligenten Gegenüber: Er erinnert an die Einnahme von Medikamenten. Und der Teppich meldet externen Hilfskräften, wenn der Bewohner stürzt.
Auch über die Ernährung in der Morgenstadt machen sich Forscher Gedanken: So sollen überall dort, wo Platz ist, auf Flachdächern Gemüse und Salat wachsen. Damit ließen sich viele Bürger mit frischen Nahrungsmitteln ohne weite Transportwege versorgen. Neue Arten der Kultivierung, die Abwasser und Abwärme der Gebäude nutzen und ohne Erde auskommen, werden dafür schon entwickelt.
Architekten des Büros Woha aus Singapur entwickeln beispielsweise visionäre Hochhäuser, die „nicht nur die gängigen Standards nachhaltiger Gestaltung übertreffen, sondern gänzlich von der Natur erobert werden“. Es sind grüne Oasen, die unmittelbar Lust darauf machen, in der Stadt der Zukunft zu wohnen.