Studie zeigt: Kern der Erde dreht sich nicht mehr – Folgen an der Oberfläche

Der feste Erdkern ist stets in Rotation. Aktuell scheinen seine Bewegungen jedoch zu pausieren – im Verhältnis zur Erddrehung. Welche Auswirkungen hat das?

Illustration der Erde
Illustration der Erdeimago stock&people

Zwei chinesische Forscher der Universität in Peking haben herausgefunden, dass der Kern der Erde aufgehört haben könnte, sich zu drehen – zumindest in Relation zur Drehung der Erde. Das geht aus ihrer Studie hervor, die gerade im Wissenschaftsjournal Nature Geoscience veröffentlicht wurde. Demnach vollzieht sich die Rotation des Erdkerns in bestimmten Zyklen. Die Auswirkungen sind dabei auch an der Erdoberfläche messbar: Die Bewegung des Kerns nimmt wohl Einfluss auf die Tageslänge.

Von der Oberfläche sind es etwa 6400 Kilometer bis zum Erdkern. So weit kann keine Bohrung reichen. Um das Erdinnere untersuchen zu können, analysieren Forscher seismische Wellen, die etwa bei Erdbeben gemessen werden. Aus diesen Beobachtungen weiß man inzwischen, dass es einen festen Kern im Inneren der Erde gibt. Dieser soll einen Radius von etwa 3500 Kilometern haben und aus Eisen und Nickel bestehen. Trotz einer Temperatur von gut 5000 Grad Celsius soll er durch den großen Druck einen festen Zustand besitzen.

Umgeben ist er von einem flüssigen, etwas kühleren Kern, in dem das Magnetfeld der Erde gebildet wird. Dieses Magnetfeld schützt das Leben auf dem Planeten auch vor Strahlung aus dem Weltall. Schließlich folgen verschiedene Schichten des Erdmantels – aus plastisch verformbarem bis festem Gestein – sowie die Erdkruste. Die hohen Temperaturen im Erdkern seien auf den Zerfall radioaktiver Isotope zurückzuführen, wie es auf einer Wissensplattform der Helmholtz-Gemeinschaft heißt. Ein weiterer Teil sei Restwärme, die noch von der Entstehung der Erde stamme.

Wenn der Erdkern abbremst, verändert sich die Länge unserer Tage

Weil der äußere Kern flüssig ist, kann sich der innere frei bewegen – unabhängig von der Rotation der Erde, wie Forscher schon länger wissen. Angetrieben wird die Drehung des Erdkerns durch magnetische und gravitative Kräfte. Diese Rotation scheint nun aber laut der aktuellen chinesischen Studie eine Pause zu machen. Aber damit ist nicht gemeint, dass sich der Kern überhaupt nicht mehr dreht. Sondern es geht in der Darstellung der Forscher um die relative Rotation zur Erddrehung.

Über längere Zeit soll sich der Erdkern schneller gedreht haben als die Erde, genannt Superrotation. Nun habe sich die Drehung des Kerns so stark verlangsamt, dass er vielleicht bald sogar der Erdrotation hinterherhinke, so die beiden Forscher Yi Yang und Xiaodong Song von der Peking University. Sie sprechen von einer „vorübergehenden Umkehrung der relativen Rotation“. Diese könnte Auswirkungen auf die Tageslänge haben, die von der Erdrotation abhängig ist: Dreht die Erde sich schneller, werden die Tage kürzer; dreht sie sich langsamer, werden die Tage länger.

Wissenschaftler haben bereits vor längerer Zeit herausgefunden, dass unsere Tage nicht immer gleich lang sind, weil die Erde nicht gleichmäßig rotiert. Beeinflusst wird das unter anderem durch Masseverlagerungen auf der Erde und in der Atmosphäre – etwa durch Erdbeben, veränderte Eisbedeckung sowie Strömungen in den Ozeanen und in der Atmosphäre.

Diese Phänomene können aber nur einen Teil der Zeitdifferenz erklären. Deshalb vermuten Wissenschaftler, dass auch Veränderungen im Erdinneren – wie die Rotation des Erdkerns – einen Anteil an der ungleichmäßigen Bewegung haben. Die beiden chinesischen Forscher erklären, dass dies vermutlich über „dynamische Wechselwirkungen zwischen den Schichten der Erde, vom tiefsten Inneren bis zur Oberfläche“ geschehe. Sie sprechen unter anderem von einem möglichen „Austausch des Drehimpulses“ von Kern und Mantel bis zur Oberfläche.

Komplexe Wechselwirkungen zwischen Erdkern, Mantel und Kruste

Die beiden Forscher haben der Studie zufolge herausgefunden, dass sich die Rotation des inneren Erdkerns offenbar etwa alle 70 Jahre so stark verlangsamt, dass sie scheinbar rückläufig wird. Die Schwerkraft des Erdmantels bremse die Eigenrotation des inneren Kerns, so die Forscher. „Ein kleines Ungleichgewicht zwischen dem elektromagnetischen und dem Gravitations-Drehmoment reicht aus, um die hier beobachtete Rotation des inneren Kerns zu ändern.“ Das bedeutet: Auch Rückkopplungen vom Magnetfeld beeinflussen die Kernrotation. 

Seit 2009 habe der innere Erdkern aufgehört, sich etwas schneller zu drehen als der Rest der Erde, so die Forscher. Ihre Studie zufolge stimmen die Schwankungen der Tageslänge in etwa mit den zyklischen Schwankungen bei der Rotation des inneren Erdkerns überein.

Ist die relative Rotation schneller als die der Erde, wird ein Tag um 0,12 Millisekunden länger. Ist die relative Rotation langsamer als die der Erde – und bewegt sich scheinbar rückläufig –, werden die Tage auf der Erde 0,01 Millisekunden kürzer. Die Periodizität von etwa 70 Jahren stimmt laut Studie auch mit Veränderungen des Magnetfelds sowie subtilen Schwankungen der globalen Mitteltemperaturen und der Meeresspiegel überein.

Forscher werteten Erdbebendubletten aus

Für ihre Studie nutzten Yang und Song Daten sogenannter Erdbebendubletten von acht verschiedenen seismischen Stationen aus den Jahren 1995 bis 2020. Es handelt sich um Aufzeichnungspaare von Erdbeben ähnlicher Stärke, die in verschiedenen Jahren in den gleichen Regionen stattfanden – und deren Druckwellen durch den Erdkern liefen. Außerdem wurden Aufzeichnungen von Erdbeben ausgewertet, die von 1964 bis 2021 stattfanden.

Es gibt aber auch Kritik an den Schlussfolgerungen der Studie. Laut dem Wissenschaftsjournal Spektrum deuten andere Arbeiten darauf hin, dass die Superrotation des Erdkerns vor allem in bestimmten Perioden auftreten könnte und kein kontinuierliches, gleichmäßiges Phänomen ist. Einige Fachleute argumentierten, dass die Unterschiede in den Laufzeiten der Erdbeben durch physikalische Veränderungen an der Oberfläche des inneren Kerns verursacht werden, nicht durch eine veränderte Rotation, so Spektrum.

Seit einiger Zeit beobachten Forscher, dass auf der Erde die Tage kürzer werden, wenn auch kaum merklich. Erst Ende 2022 wurde auf der Website Time and Date berichtet, dass am 29. Juni 2022 die Erde ihren kürzesten Tag hatte – seit dem Beginn der Messungen der Rotationsgeschwindigkeit mit Atomuhren in den 1960er-Jahren. Damals vollendete die Erde eine Drehung in 1,59 Millisekunden weniger als 24 Stunden. Das sind 0,00159 Sekunden, also für Menschen nicht spürbar. 2020 verzeichnete die Erde die 28 kürzesten Tage seit Beginn der genauen täglichen Messungen mit Atomuhren.

Auch Erdbeben beschleunigen die Erdrotation

Wenn die schnellere Rotation der Erde anhält, könnte dies irgendwann zur Einführung der allerersten negativen Schaltsekunde führen, sagen Forscher. Das würde bedeuten, dass die Uhren eine Sekunde überspringen. Allerdings wirken auch andere Kräfte auf die Drehung der Erde – neben beschleunigenden auch abbremsende.  Wie bereits erwähnt, gehören dazu unter anderem Masseverlagerungen auf der Erdoberfläche und in der Atmosphäre.

Beschleunigend wirkte zum Beispiel das Erdbeben vor der Küste Chiles Ende Februar 2010. Wie Nasa-Forscher berechneten, hatte es die tägliche Rotationsdauer der Erde um 1,26 Millionstel Sekunden verkürzt. Das große Erdbeben vor der japanischen Pazifikküste vom März 2011, das etwa 22.200 Opfer forderte, soll auch die Achse der Erdrotation um rund 16 Zentimeter verschoben und dabei die Zeit der Erdumdrehung um 1,8 Millionstel Sekunden verkürzt haben.

Forscher sprechen vom „Pirouetteneffekt“, vergleichbar mit den Bewegungen einer Eiskunstläuferin. Wenn diese bei der Drehung ihre Arme an den Körper zieht, rotiert sie schneller. Streckt sie die Arme aus, wird sie langsamer. Die Erde wiederum dreht sich etwas schneller, wenn bei einem Beben große Massen in Richtung der Rotationsachse verschoben werden, wenn auch nur um einige Meter. Forscher haben dies mit einem Computermodell ausgerechnet.

Die Gezeitenkräfte bremsen langfristig die Erddrehung ab

Aber auch weitere mögliche Ursachen für die Veränderung der Tageslänge werden diskutiert. Dazu gehört das „Chandler Wobble“ – übersetzt als Chandler-Wackeln, eine kleine, unregelmäßige Bewegung der geografischen Pole über die Erdoberfläche. Sie wurde 1891 vom amerikanischen Astronomen Seth Carlo Chandler entdeckt. „Die normale Amplitude des Chandler-Wackelns beträgt etwa drei bis vier Meter an der Erdoberfläche“, sagte der Astronom Leonid Zotov auf dem Portal von Time and Date. Aber von 2017 bis 2020 sei das Wackeln verschwunden. Auch dies könnte sich auf die Tageslänge auswirken.

Langfristig gibt es aber auch Gegeneffekte – neben den relativ kurzfristigen Schwankungen, die unter anderem von der Rotation des Erdkerns ausgelöst werden. Verlangsamend wirken auf lange Sicht vor allem die Gezeitenkräfte, die täglich zu Ebbe und Flut führen und ein bremsendes Drehmoment auf die Erde ausüben. Innerhalb von 50.000 Jahren sollen sie den Tag – also eine Erdumdrehung – um eine Sekunde verlängern. Ohne genaueste Messungen würde das jedoch niemand bemerken.


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