Symbiosen in Tier- und Pflanzenwelt: Wie das Leben gemeinsame Sache macht

Berlin - Gibst du mir, so geb ich dir – dieses Motto ist die Basis jeder gedeihlichen Partnerschaft. Es gilt gleichermaßen für Liebespaare, Seilschaften, Geschäftspartner, Tauschbörsen. Und zwar nicht nur in menschlichen Gesellschaften: Tatsächlich sind Bündnisse zum gegenseitigen Nutzen ein Grundprinzip des Lebens. Sie finden sich überall in der Natur und werden nicht nur von den Mitgliedern ein und derselben Art abgeschlossen.

Auch äußerst unterschiedliche Organismen lassen sich auf ein mehr oder weniger enges Zusammenleben ein – dann sprechen Biologen von Symbiosen. Vögel picken Zecken aus dem Fell großer Huftiere, die so ihre lästigen Schmarotzer loswerden. Bienen bestäuben Blüten und werden dafür mit Nektar entlohnt. Pilze versorgen Baumwurzeln mit Mineralien und nehmen sich dafür Kohlenhydrate, die sie selbst nicht herstellen können.

Drei Beispiele unter vielen. Bündnisse, die beiden Partnern nützen, sind in der Natur nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Der Großteil aller Organismen auf unserem Planeten lebt in Symbiosen. Anders gesagt: Ohne Symbiosen sähe unsere Welt radikal anders aus: Es gäbe keine Wälder, keine Wiesen, kein einziges Tier, weder an Land noch im Wasser.

Jahrmillionen alte Symbiosen

Nicht einmal Schimmelpilze oder Pantoffeltierchen – und erst recht keine Vögel, Mäuse, Menschen. Denn sie alle bestehen aus komplexen Zellen, die selbst das Produkt einer symbiotischen Vereinigung sind. Diese folgenreichste Symbiose in der Evolution des Lebens bahnte sich vor 1,5 oder 2 Milliarden Jahren an.

Damals verschmolzen verschiedene urtümliche Mikroben zu einem weitaus größeren und leistungsfähigeren Zelltyp, der Eukaryotenzelle. Die kleineren Partner wurden nicht verdaut, sondern als Endosymbionten gehalten und von einer Generation an die nächste weitervererbt. Ihre Nachkommen leben noch heute. Sie sind zu Bestandteilen von tierischen und pflanzlichen Zellen geworden, Mitochondrien und Chloroplasten genannt, und für die Energieversorgung ihrer Hausherrn zuständig.

Wie und wann genau diese Einverleibung vor sich ging, und welche Organismen beteiligt waren, ist unbekannt. Doch kürzlich entdeckte ein schwedisches Forscherteam eine Gruppe einzelliger Organismen, die Merkmale von ursprünglichen Mikroben (Archaeen) und Eukaryoten in sich vereinen.

Der Sensationsfund, Anfang Juni im Fachblatt Nature präsentiert, gelang am Grund des Mittelatlantischen Rückens zwischen Grönland und Norwegen, in einem Feld von Schwarzen Rauchern namens Loki’s Castle. Die Winzlinge wurden kurzerhand Lokiarchaeota genannt. Ihre genetische Ausstattung befähigt sie dazu, sich Bakterien einzuverleiben – gerade so, wie es die Endosymbiontentheorie vorhersagt. Möglicherweise sind sie nahe Verwandte jener komplexen Zellen, aus denen alles höhere Leben hervorging.

Nach und nach prägten Symbiosen das Gesicht der Erde

Kaum entstanden, formten die modernen Zellen mehrzellige Lebewesen. Diese gingen weitere Symbiosen ein, sowohl mit ihresgleichen als auch mit Mikroben. Pilze verbündeten sich mit Algen oder Bakterien zu Flechten und behaupteten sich gemeinsam erstmals auf dem trockenen Land. Zum Leben brauchten sie nur Wasser, Luft und Mineralien aus dem blanken Fels. Sie produzierten organische Materie, die schließlich den Landpflanzen den Boden bereitete.

Wo die ersten einfach gebauten, moosähnlichen Gewächse Fuß gefasst hatten, taten auch sie sich mit Pilzen zusammen. Das belegen 460 Millionen Jahre alte Fossilien. Bakterien, die gasförmigen Stickstoff aus der Luft fixieren konnten, teilten den wertvollen Nährstoff mit ihren Wirtspflanzen. Nach und nach konnten sich so alle großen Landökosysteme entfalten, die heute das Gesicht der Erde prägen: Steppen, Grasländer, Wälder. Sie wurden zur Heimat für unzählige Tiere, die sich mit weiteren Tieren, Pflanzen, Pilzen und Bakterien zusammenschlossen.

Die lange gemeinsame Geschichte von Mikroben und Tieren hat ihre Spuren im Erbgut hinterlassen. Zahlreiche tierische Gene sind mehr oder weniger identisch mit mikrobiellen Genen. Dies gilt auch für das Genom des Menschen: 37 Prozent seiner rund 23.000 Gene haben Äquivalente in Bakterien und Archaeen. Weitere 28 Prozent stammen von einzelligen Eukaryoten, 16 Prozent teilt Homo sapiens mit dem Reich der Tiere allgemein, 13 Prozent mit den Wirbeltieren und den Großteil der wenigen verbleibenden Gene mit den Affen und Menschenaffen. Nur ein winziger Rest – je nach Analysemethode sind es 0,6 bis 6,5 Prozent der Gene – gilt als exklusiv menschlich.

Kooperation und Konkurrenz ergänzen sich

Diese starke Verflechtung von bakteriellen mit menschlichen, tierischen, pflanzlichen oder pilzlichen Genomen rührt einerseits daher, dass alle komplexeren Lebewesen aus einfacheren Lebensformen hervorgegangen sind und damit auch deren Gene übernommen haben – auf vertikalem Wege, wie Biologen sagen. Doch darüber hinaus wurden fremde Gene oder ganze Genome von Bakterien im Laufe der Evolution auch kreuz und quer, ausgetauscht, also horizontal.

Am einfachsten gelingt dies durch Symbiose oder Endosymbiose, bei der ein Partner im Körper des anderen lebt. Dies trifft auch für jene Mikroben zu, von denen etwa hunderttausend Milliarden – also zehn Mal mehr als wir Körperzellen besitzen – in unserem Darm leben: Sie haben eine 25-fach höhere Gentransfer-Rate als freilebende Bakterien.

Durch diese effektive Art der Zusammenarbeit kann sich die gemeinsame Erbmasse der Symbiosepartner um ein Vielfaches schneller verändern und an neue Umweltbedingungen anpassen als isolierte Genome – sowohl innerhalb eines individuellen Lebens, als auch in evolutionären Zeiträumen. In der natürlichen Selektion sind Symbionten anderen Organismen, die ohne nützliche Allianzen zurechtkommen müssen, überlegen.

Gemeinsame Sache zu machen steht somit keineswegs im Gegensatz zu Darwins Evolutionstheorie, die den Kampf ums Überleben in den Mittelpunkt stellt. Kooperation und Konkurrenz ergänzen sich zum Erfolgsmodell Leben.

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