Taifun Haiyan: Jede Sekunde vier Atombomben
Ist der verheerende Wirbelsturm Haiyan, der auf den Philippinen Tausende Opfer forderte, eine Folge des Klimawandels? Darüber diskutieren Forscher in diesen Tagen intensiv. „Der Tropensturm Haiyan war wahrscheinlich der stärkste, der jemals seit Beginn der Aufzeichnungen auf Land getroffen ist“, schätzt Stefan Rahmstorf ein.
Der Ozeanologe am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) fasst seine Erkenntnisse thesenhaft zusammen: 1. Die stärksten Stürme sind in den letzten Jahrzehnten häufiger geworden. 2. Modelle lassen eine weitere Verstärkung für die Zukunft erwarten. 3. Wärmeres Wasser und Meeresspiegelanstieg verschlimmern die Folgen, wie Starkregen und Sturmfluten.
Wie passt das alles zusammen mit der Tatsache, dass sich die globale Erwärmung seit etwa 15 Jahren kaum mehr fortgesetzt hat, wie erst jüngst der Weltklimarat in einem Bericht bestätigte? Tatsächlich stieg die globale Durchschnittstemperatur seit 1997 je nach den verwendeten Messreihen entweder gar nicht (laut britischem Met Office), oder um gerade 0,05 Grad (laut Weltklimarat). Und dennoch nimmt die Stärke der Stürme und anderer Wetterereignisse zu.
Noch haben die Klimaforscher für den offensichtlichen Widerspruch keine Erklärung. Denn ihren Theorien zufolge sollte sich unser Planet im Gleichklang mit der zunehmenden Konzentration an Treibhausgasen in der Atmosphäre aufheizen. Noch 2009 hatte Hans Joachim Schellnhuber, der Direktor des PIK, verkündet, es gäbe eine „einfache lineare Beziehung“ zwischen der Zunahme von Kohlendioxid (CO2 ), das wir reichlich in die Luft pusten, und der globalen Erwärmung. So zeigen es auch die Computermodelle der Klimatologen. Die meisten Simulationen lassen die Fieberkurve der Erde unverdrossen weiter ansteigen. Nur wenige Modelle geben den Trend der letzten 15 Jahre korrekt wieder.
Ihren Erklärungsnotstand versuchen die Klimatologen mit mehreren Hypothesen zu beheben. Eine davon ist, dass sich unser Planet durchaus weiter erwärmt. Doch die Sonnenenergie heizt nicht mehr seine Oberfläche auf, sondern wird von den Ozeanen aufgenommen und gespeichert.
„Dies ergibt sich schon aus der Strahlungsbilanz zwischen empfangener Sonnenenergie und von der Erde ins All zurück gestrahlter Wärme“, erklärt Stefan Rahmstorf. „Sie ist weiterhin positiv, unser Planet nimmt also netto zusätzliche Energie auf.“ Diese verbleibe aber im Meerwasser. In den letzten 30 Jahren entsprach die so gespeicherte Wärmemenge weit über 10 hoch 22 Joule. „Das ist so viel, wie wenn seither pro Sekunde vier Hiroshima-Bomben im Ozean detoniert wären“, sagt Rahmstorf.
La Niña und El Niño
Naturgemäß steigt die Temperatur durch die Sonneneinstrahlung im oberen Ozean am stärksten. Den Messungen zufolge verblieben etwa zwei Drittel der seit 1980 empfangenen Energie im Bereich von bis zu 700 Meter Tiefe. Von dort aus drang die Wärme in die darunter liegenden Schichten vor. „Der Wärmeinhalt der oberen Schicht ist also doppelt so stark gestiegen wie der der unteren Schicht von 700 bis 2 000 Meter“, so Rahmstorf. „Die mittlere Temperatur der oberen Schicht stieg sogar mehr als dreimal so stark an wie die der unteren, denn die obere Schicht ist nur 700 Meter dick, die untere 1 300 Meter.“
Besonders stark verläuft die Erwärmung in den Tiefen der Grönlandsee. Dies ergab eine Studie von Wissenschaftlern des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven. Wie sich zeigte, stieg die Wassertemperatur in den vergangenen dreißig Jahren unterhalb von 2000 Metern Tiefe um 0,3 Grad Celsius. Damit erwärmte sich dieses Meeresgebiet etwa zehnmal stärker als die Weltmeere im Mittel. Als Ursache der Erwärmung nennt die AWI-Forscherin Raquel Somavilla Cabrillo das veränderte Zusammenspiel zwischen dem absinkenden, sehr kalten Oberflächenwasser und dem einströmenden relativ warmen Tiefenwasser aus der Arktis.
Im Pazifik bewirkte dagegen ein anderer Mechanismus die überproportionale Erwärmung des Wassers, nämlich eine Änderung der Windsysteme. „Insbesondere im subtropischen Pazifik sind die Passatwinde spürbar stärker geworden“, betont der US-Meteorologe Kevin Trenberth vom National Center for Atmospheric Research. „Dadurch haben sich Meeresströme verändert und die Umwälzung des Meerwassers verstärkt.“ Dieser Mechanismus hängt mit langfristigen Wettermustern zusammen, die wiederum in Bezug zu den Klimaphänomenen La Niña und El Niño stehen, die den Pazifik abkühlen beziehungsweise erwärmen.
Im vergangenen Jahrzehnt häuften sich die kalten La-Niña-Ereignisse, der wärmere El Niño trat dagegen seltener auf. „Das sind kurzfristige natürliche Schwankungen, die sich dem langfristigen Erwärmungstrend überlagern und ihn abflachen, mit einem kleinen Beitrag durch abnehmende Sonnenaktivität“, konstatiert der Ozeanologe Rahmstorf. Gleich fünf Studien, die seit Ende 2012 in namhaften Fachjournalen veröffentlicht wurden, bekräftigen diese Hypothese. Eine Studie von Forschern der Scripps Institution of Oceanography im kalifornischen La Jolla stellte fest, dass eine kühlende La-Niña-Situation, die nur acht Prozent der Erdoberfläche erfasst, ausreicht, um den Stopp der globalen Erwärmung zu erklären.
Temperaturgefälle schafft Energie
Zugleich lassen die Simulationen der Scripps-Klimatologen erkennen, warum es trotz des Erwärmungsstillstands Extremereignisse wie die Hitzewellen 2012 in den USA oder 2010 in Russland sowie den Rekord-Rückgang des arktischen Seeeises im vergangenen Jahr geben konnte. Wie sich zeigte, sinkt während einer La-Niña-Situation die globale Durchschnittstemperatur, wenn in der nördlichen Hemisphäre Winter herrscht. Im nördlichen Sommer steigt das Quecksilber jedoch ungehindert an, was die regionalen Hitzewellen ermöglicht.
Während also eine Reihe von Faktoren Einfluss auf das Klima haben, glauben immer mehr Klimatologen, dass die Wärmeaufnahme der Ozeane den Stillstand der Erderwärmung am besten erklären kann. „Das ist eine plausible Hypothese, die weiterer Nachprüfung bedarf“, urteilt etwa Hans von Storch vom Helmholtz-Zentrum Geesthacht. Die Theorie der vom Menschen verursachten Erderwärmung entkräfte sie jedoch nicht, nur diese könne die Entwicklung des Klimasystems in der jüngeren Geschichte erklären.
Dass die pazifische Klimaschaukel irgendwann wieder in die andere Richtung schwingen wird, steht auch für den PIK-Forscher Rahmstorf außer Frage. „Im letzten Wärmerekordjahr 2010 hatten wir einen schwachen El Niño“, sagt er. „Seither nahm die CO2-Menge in der Atmosphäre zu, und wir haben kein Sonnenminimum wie damals.“ Es spreche also alles dafür, dass der nächste El Niño einen neuen Rekord in der globalen Mitteltemperatur bringen wird. Seine spanische Kollegin Guemas prognostiziert, dass die Hitze im kommenden Jahrzehnt in die Atmosphäre zurückkehrt.
Was die Entwicklung verheerender Tropenstürme wie Haiyan angeht, wagt Stefan Rahmstorf einen Ausblick. Weitgehend unumstritten sei eine Zunahme der stärksten Stürme, vor allem im Nordatlantik, sagt er. Wärmere Meerestemperaturen – in der gesamten oberen Schicht, die durch den Sturm aufgewühlt wird – begünstigten das Auftreten stärkere Stürme. Es komme dabei aber weniger auf die Meerestemperatur an sich an, sondern auf die Temperaturdifferenz zur oberen Troposphäre, also der Erdatmosphäre in acht bis 17 Kilometern Höhe. Aus diesem Gefälle ziehe der Sturm seine Energie.
Rahmstorf zitiert den Tropensturmforscher Kerry Emanuel vom MIT in Cambridge/Massachusetts. Dieser führe die Zunahme der stärksten Stürme auf zwei Faktoren zurück: „die globale Erwärmung an der Oberfläche und die Abkühlung der oberen Atmosphäre, die vor allem durch den Ozonschwund verursacht wird“. Rahmstorf bezweifelt auch die Forscherthese, dass die Stärke der Stürme zwar zunehmen, ihre Gesamtzahl aber abnehmen werde. Nein, beides werde zunehmen. Vor allem aber, so der Forscher, verschlimmerten sich durch die globale Erwärmung zwei der wichtigsten Folgen von Tropenstürmen: „Erstens die extremen Regenfälle, die ein Tropensturm mit sich bringt und die zu Überschwemmungen und Erdrutschen führen.“ Zweitens verschlimmerten sich die Sturmfluten an den Küsten, weil der Meeresspiegel steige weiter ansteige.