Unabsehbare Folgen: Wettrennen auf Markt der umstrittenen Chatbots hat begonnen

Der Suchmaschinenmarkt kommt in Bewegung. Microsoft attackiert mit dem KI-Chatbot ChatGPT den Suchmaschinenanbieter Google. Wer behält die Oberhand?

Microsoft attackiert Google bei der Chatbot-Entwicklung.
Microsoft attackiert Google bei der Chatbot-Entwicklung.Peter Kneffel/dpa

Es gibt Innovationen, die verlaufen im Sande. Und es gibt Innovationen, die setzen eine Dynamik in Gang. Zu letzteren gehört ChatGPT. Das Sprachmodell, das mit riesigen Datenmengen aus dem Internet gefüttert wurde, beantwortet in Sekundenschnelle Nutzeranfragen und produziert auf Knopfdruck Texte: Reden, Essays, Gedichte, sogar Code schreiben kann das Tool.

Und das geschieht in einer Qualität, die selbst Fachleute verblüfft. Kürzlich hat ChatGPT sogar Prüfungen in Jura, Medizin und Wirtschaftswissenschaft an US-Universitäten bestanden. Warum recherchieren, wenn es Chatbots gibt?

Nachdem Google am 6. Februar einen eigenen KI-Chatbot namens Bard präsentiert hat, kündigte Microsoft tags drauf an, ChatGPT in seine Suchmaschine Bing zu integrieren. Der Softwarekonzern, der zehn Milliarden Dollar in die Entwicklerfirma Open AI investieren will, fordert den weltgrößten Suchmaschinenanbieter heraus. „Heute beginnt das Wettrennen“, sagte Microsoft-Chef Satya Nadella. Es klang wie eine Kampfansage.

Die Internet-Suchmaschinenkriege sind zurück

Zwar spielt Microsoft mit seiner Suchmaschine Bing mit einem Anteil von neun Prozent auf dem globalen Suchmaschinenmarkt nur eine untergeordnete Rolle. Doch mit einem hochmotorisierten Dialogsystem, das in der hauseigenen Cloud weiterentwickelt wird, könnte der Softwareriese dem Platzhirsch Google entscheidende Marktanteile abringen. Jeder Prozentpunkt, den Microsoft dem Konkurrenten im Suchgeschäft abnimmt, könnte dem Konzern zwei Milliarden Dollar Umsatz mehr bescheren, so das Kalkül.

Von einem „Google-Killer“ ist bereits die Rede. „Die Internet-Suchmaschinenkriege sind zurück“, kommentierte die Financial Times mit Blick auf die 1990er-Jahre, als sich Google in einem umkämpften Markt gegen Player wie Lycos oder Altavista durchsetzen konnte. Heute sprechen allenfalls Internetnostalgiker noch von diesen Unternehmen. Wiederholt sich die Geschichte?

Bei Google wächst die Nervosität. Der Suchmaschinenriese hat intern bereits „Code Red“, Alarmstufe rot, ausgelöst. Der Konzern wurde vom Erfolg von ChatGPT, der binnen einer Woche die magische Schallmauer von einer Million Nutzer durchbrach, überrumpelt – zumal die Entwicklerorganisation Open AI nicht wirklich als Konkurrent wahrgenommen wurde.

Google-Ingenieure werkeln schon länger an KI-Chatbots

Im Maschinenraum von Google gibt es schon länger Probleme. Immer wieder klagten Nutzer über die mangelnde Qualität der Suchtreffer. „Ist Google ein Opfer seines eigenen Erfolgs?“, fragte das US-Magazin The Atlantic im vergangenen Jahr.

Es ist nicht so, dass Google die Entwicklung verschlafen hätte. Die Konzernstrategen sind sich im Klaren darüber, dass das Indexieren von Webseiten kein Modell der Zukunft ist. In den Forschungslaboren von Google werkeln Softwareingenieure daher schon länger an KI-Chatbots; das neuronale Netzwerk „Transformer“, auf dem auch ChatGPT basiert, ist eine Erfindung von Google und wurde 2018 als Open Source zur Verfügung gestellt. Im vergangenen Jahr präsentierte der Suchmaschinenriese auf seiner Entwicklerkonferenz I/O einen Chatbot namens Lamda, der mit massenhaft Dialogen trainiert wurde.

Googles Plan war es, das komplexe Sprachmodell in seine Suche einzubauen. In einem Paper diskutierten Google-Entwickler die Entwicklung eines Chatbots, der auf offene Fragen wie zum Beispiel „Was sind die gesundheitlichen Vorteile und Risiken von Rotwein?“ antwortet – also genau das, was ChatGPT im Moment so erfolgreich macht. Der Konzern scheute jedoch das Risiko eines frühen Release – der größte Suchmaschinenanbieter der Welt hat schließlich einen Ruf zu verlieren.

Eigener Chatbot bezeichnete Firmenchef Zuckerberg als gruselig

Google-Chef Sundar Pichai sagte, man habe zwar die Sicherheit verbessert, aber das Modell produziere immer noch „ungenaue, unangemessene oder verletzende Antworten“. Nachdem der Google-Entwickler Blake Lemoine behauptete, Lamda hätte Bewusstsein erlangt, wurde er umgehend entlassen. Als dann auch noch bei Meta die Entwicklung eines KI-Chatbots zum Fiasko geriet – BlenderBot 3 bezeichnete den Firmenchef Zuckerberg als gruselig und sagte, das Unternehmen beute Menschen aus –, blieb Google in der Defensive.

Die Softwareschmiede Open AI geht mit ChatGPT dagegen voll ins Risiko, was selbst die eigenen Mitarbeiter überraschte. Ursprünglich sollte das Tool erst Anfang 2023 veröffentlicht werden. Doch wie die New York Times erfuhr, wollte die Führung der Konkurrenz zuvorkommen. Erfolg ist auch eine Frage des Timings, gerade unter den Bedingungen einer Aufmerksamkeitsökonomie. Allein, der mediale Hype um ChatGPT hat seinen Preis. Denn so schnell, wie die Nutzerzahlen wachsen, kommt Open AI mit den Rechnerkapazitäten kaum hinterher. Immer wieder waren in den vergangenen Wochen die Server überlastet.

Warnung: „Entwickler bauen einen Jurassic Park, lassen aber alle Tore offen“

Zwar handelt es sich bei dem Textgenerator um eine getestete Beta-Version. Trotzdem hat ChatGPT mit einigen Kinderkrankheiten zu kämpfen. So spuckt der KI-Bot auf einfachste Fragen reihenweise falsche Antworten aus. „Halluzinieren“ nennt man das im Informatik-Jargon. Cyberkriminelle haben das Werkzeug bereits genutzt, um Schadsoftware zu schreiben. Zwar sind in dem Modell Sicherheitsmechanismen eingebaut, die verhindern sollen, dass ChatGPT illegale Handlungsanweisungen gibt.

Findigen Nutzern ist aber gelungen, die KI so auszutricksen, dass sie eine Anleitung für den Bau einer Bombe lieferte. Die Datenethikerin Beena Ammanath warnte vor unabsehbaren Folgen wie die Verbreitung von Desinformationen. Die Entwickler würden einen „Jurassic Park bauen und ein paar Warnschilder aufstellen, aber alle Tore offenlassen“.

Derweil ist auch Baidu in das KI-Wettrennen eingestiegen. Der chinesische Tech-Konzern will im März einen eigenen Chatbot ausrollen. Für Google ist das zunächst keine direkte Gefahr, weil der chinesische Markt für das Unternehmen blockiert ist.

Die große Frage ist, ob Microsoft Google vom Thron stoßen kann

Doch der Erfolg der Video-App TikTok zeigt, dass Anwendungen made in China auch auf amerikanischen und europäischen Schulhöfen verfangen. Der Google-Manager Prabhakar Raghavan sagte, dass 40 Prozent der Internetnutzer im Alter zwischen 18 und 24 Jahren nicht mehr Google benutzen, wenn sie nach einem Restaurant suchen, sondern TikTok oder Instagram.

Der Suchmaschinenmarkt kommt in Bewegung. Kann Microsoft Google vom Thron stoßen? Das ist gerade eine der meistdiskutierten Fragen im Silicon Valley. Microsoft, sagen Analysten, habe zwar das Momentum auf seiner Seite, müsse aber in sehr kurzer Zeit viele Nutzer von seiner Suchmaschine überzeugen, um Google gefährlich zu werden.

Fragt man ChatGPT, erhält man die Antwort: „Ja, es ist möglich, dass eine KI Google schlägt, indem sie eine bestimmte Aufgabe besser ausführt als die bestehenden Google-Systeme. Dies ist jedoch sehr aufgabenspezifisch und hängt von der Qualität und Schärfe der KI-Modelle ab, die für die jeweilige Aufgabe entwickelt wurden.“