Mega-Teleskop liefert, Astronomen jubeln – aber was ist daran so sensationell?
Es ist das größte und leistungsfähigste Teleskop, das je ins All gebracht wurde. Jetzt liefert es erste Bilder. Warum Forscher „mit den Ohren schlackern“.

Die Ankündigungen aus der Welt der Astronomen klingen nicht gerade bescheiden. Es werde so viel Neues zu sehen sein, „dass wir mit den Ohren schlackern“, hat es da etwa geheißen. Gemeint sind die zu erwartenden Entdeckungen des bislang größten und leistungsfähigsten Teleskops, das je ins All gebracht wurde. Es heißt James Webb Space Telescope (JWST) und ist seit etwa einem halben Jahr im Weltall.
Für Dienstag, den 12. Juli, hatte die US-Weltraumbehörde Nasa die Veröffentlichung der ersten Bilder angekündigt. Doch US-Präsident Joe Biden hatte es sich nicht nehmen lassen, bereits in der Nacht zum Dienstag – nach Mitteleuropäischer Sommerzeit (MESZ) genau um Mitternacht – im Weißen Haus das erste Bild zu präsentieren.
It's here–the deepest, sharpest infrared view of the universe to date: Webb's First Deep Field.
— NASA (@NASA) July 11, 2022
Previewed by @POTUS on July 11, it shows galaxies once invisible to us. The full set of @NASAWebb's first full-color images & data will be revealed July 12: https://t.co/63zxpNDi4I pic.twitter.com/zAr7YoFZ8C
Es zeigt das Farbbild eines Galaxienhaufens, wie er vor 4,6 Milliarden Jahren ausgesehen hat. So lange hat sein Licht bis zur Erde gebraucht. Das Bild zeige unzählige Galaxien auf einem Fleck des Himmels, der so groß sei wie ein Sandkorn, das jemand mit ausgestrecktem Arm gegen den Himmel halte, heißt es zur Erklärung. Es sei das „tiefste und schärfste Infrarotbild des frühen Universums, das jemals aufgenommen wurde“.
Suche nach den frühesten Galaxien im Universum
Und dafür sorgt ein kosmischer „Trick“, den schon Einstein entdeckt hatte. Denn der massive Galaxienhaufen namens SMACS 0723 verzerrt das Licht von Objekten, die hinter ihm liegen, und macht damit extrem weit entfernte, schwach leuchtende „Galaxienpopulationen“ sichtbar. Man spricht von einer sogenannten Gravitationslinse, die es ermöglicht, fernste Strukturen aus der Frühzeit des Universums zum ersten Mal erkennbar zu machen, „einschließlich Sternhaufen und diffuse Merkmale“, die jetzt gründlicher erforscht werden sollen.
„Die Forscher werden bald damit beginnen, mehr über die Masse, das Alter, die Geschichte und die Zusammensetzung der Galaxien zu erfahren, während Webb nach den frühesten Galaxien im Universum sucht“, erklärt die Nasa zur Präsentation dieses ersten Bildes.
Am Dienstagnachmittag MESZ präsentierte die Nasa dann eine Reihe weiterer Bilder. Das Webb-Teleskop hat zum Beispiel faszinierende Aufnahmen des Carinanebels gemacht. Dieser ist einer der größten und hellsten Nebel am Himmel und befindet sich 7.600 Lichtjahre entfernt im südlichen Sternbild Carina. Es ist eine Region, in der neue Sterne geboren werden. Der Carinanebel beherbergt viele massereiche Sterne, die um ein Vielfaches größer sind als die Sonne.
Das Webb-Teleskop erfasste auch den riesigen jupiterartigen Planeten WASP-96 b. Er umkreist fast 1150 Lichtjahre von der Erde entfernt seinen Stern in nur 3,4 Tagen. Und das, obwohl er etwa die Hälfte der Masse des Jupiters besitzt. Die Nasa präsentierte hier zum ersten Mal den chemischen Fingerabdruck eines Exoplaneten.

Schon das Hubble-Teleskop lieferte spektakuläre Aufnahmen
Auch der Südliche Ringnebel oder „Eight-Burst“-Nebel gehört zu den ersten Objekten. Dabei handelt es sich um eine sich ausdehnende Gaswolke, die einen sterbenden Stern umgibt. Sie hat einen Durchmesser von fast einem halben Lichtjahr und ist etwa 2.000 Lichtjahre von der Erde entfernt. Auch das Stephans Quintett im Sternbild Pegasus – die erste kompakte Galaxiengruppe, die jemals entdeckt wurde – wurde von Webb aufgenommen. Sie liegt in etwa 290 Millionen Lichtjahren Entfernung. Vier der fünf Galaxien innerhalb des Quintetts seien „in einem kosmischen Tanz aus wiederholten engen Begegnungen eingeschlossen“, heißt es über die 1877 entdeckte Galaxiengruppe.

Diese Bilder markieren den Beginn der wissenschaftlichen Arbeit des James-Webb-Teleskops. Dieses war am 25. Dezember an Bord einer Ariane-Trägerrakete vom europäischen Weltraum-Bahnhof Kourou in Französisch-Guayana ins All gestartet – als Nachfolger des legendären Hubble-Teleskops, das seit mehr als drei Jahrzehnten spektakuläre Aufnahmen aus dem Universum lieferte. Unter anderem gehörte dazu das „Hubble Extreme Deep Field“, das etwa 5500 Galaxien zeigt, deren Licht bis zu 13,2 Milliarden Jahre brauchte, um bis zur Erde zu gelangen. Aber mit seiner Tiefe und Schärfe übertrifft das jetzt präsentierte neue „Webb’s First Deep Field“ nach Ansicht der Astronomen die Hubble-Aufnahmen.
Erkenntnisse aus der Zeit „kurz nach dem Urknall“
Die Galaxien, die sich als Allererste im Universum bildeten, sind sehr lichtschwach und ihr Spektrum ist weit ins Rote verschoben. Das Hubble-Teleskop konnte sie nicht „sehen“. Doch der Spiegel des Webb-Teleskops ist nicht nur fast dreimal größer (6,5 statt 2,4 Meter) und weitaus empfindlicher als der von Hubble. Webb arbeitet auch tief im Infrarotbereich und kann damit das Licht der Galaxien erfassen, die sich sehr früh bildeten.

Vom James-Webb-Teleskop erhoffen sich die Wissenschaftler Erkenntnisse über das frühe Universum, das nach bisherigen Erkenntnissen 13,8 Milliarden Jahre alt ist. Man will erforschen, wie das Weltall etwa 300 Millionen Jahre nach dem Urknall ausgesehen hat. Man werde „Entdeckungen machen, von denen wir jetzt noch nichts ahnen“, sagt Klaus Jäger vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg über das Webb-Teleskop.
Unter anderem hoffen die Forscher, über die Erfassung der Infrarotstrahlung tief in die Entstehungsgebiete neuer Sterne und Planeten hineinblicken zu können. Diese sind hinter dichten kosmischen Staub- und Gaswolken versteckt. Auch bei der Suche nach weit entfernten Planeten soll das Webb-Teleskop aufschlussreiche Ergebnisse liefern. Und zwar über die Spektroskopie, die es möglich macht, von jedem Punkt im All einen chemischen Fingerabdruck zu nehmen. In einer Entfernung von bis zu tausend Lichtjahren soll man so zum Beispiel analysieren können, ob auf einem fernen Planeten Wasser möglich ist und irgendwo im All ein zweiter „blauer Planet“ wie die Erde existieren könnte.

1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt
Fast drei Jahrzehnte lang war das James-Webb-Teleskop entwickelt worden. Es kostete etwa zehn Milliarden Dollar statt einer Milliarde, wie ursprünglich geplant gewesen war. Dass der US-Präsident persönlich die ersten Ergebnisse präsentierte, zeigt, mit welch großer Erwartung Wissenschaft und Öffentlichkeit auf das schauen, was das Teleskop an neuen Erkenntnissen bringen wird.
Das Webb-Teleskop ist ein Gemeinschaftsprojekt zwischen den amerikanischen, kanadischen und europäischen Weltraumagenturen – Nasa, CSA und Esa. Nach seinem Start brauchte es mehrere Wochen, um seinen festen Ort im All zu erreichen. Dieser liegt in 1,5 Millionen Kilometern Entfernung zur Erde an einem sogenannten Lagrange-Punkt – einem von fünf Punkten im Sonnensystem, „an denen sich die Schwerkraft gegeneinander aufhebt“, wie ein Experte erklärt.
Der 6,50 Meter große Spiegel des Teleskops musste monatelang gründlich ausgerichtet werden. Auch mehrere wissenschaftliche Instrumente waren zu aktivieren und zu testen. Schon das Aufspannen des kompliziert gefalteten Sonnenschutzes war eine mit Bangen erwartete Prozedur, die zum Glück am Ende klappte. Das Segel hat etwa die Größe eines Tennisplatzes.
