Weg mit dem Smartphone!: Babys brauchen Blickkontakt
Früher sah man Eltern, die mit ihrem Baby im Kinderwagen schäkerten, heute schauen viele Mütter und Väter mehr aufs Smartphone als auf ihren Nachwuchs. Vor diesem Trend warnen jetzt immer mehr Aufklärungskampagnen von Bundesländern und Gemeinden. Welche Folgen die elterliche Handy-Fixierung haben kann, schildert der Psychosomatiker Karl Heinz Brisch vom Haunerschen Kinderspital in München.
Herr Professor Brisch, was empfinden Sie, wenn junge Eltern nur noch Augen für ihr Smartphone haben?
Ein ziemlich starkes Unbehagen.
Warum?
Weil Babys hochgradig auf die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht angewiesen sind. Sie brauchen den Blickkontakt, um sich im Anderen zu spiegeln und ein Gefühl für sich selbst zu entwickeln. Wenn also die Mama auf ihr Kind schaut und dessen Begeisterung mit einem strahlenden Lächeln quittiert, spürt das Kind die Freude der Mutter und dadurch auch die eigene Freude.
Und wenn das Baby zu wenig Blickkontakt bekommt?
Wenn das sehr oft so ist, erschwert es den Aufbau stabiler Bindungen zu den ersten Bezugspersonen. Das kann Folgen fürs ganze Leben haben, wie wir aus der Deprivationsforschung wissen. Babys, die emotional vernachlässigt werden, können sich demnach später nur schwer in andere einfühlen. Für Partnerschaften ist das natürlich keine gute Voraussetzung. Eine frühe Bindungsunsicherheit kann auch die kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigen: Betroffene Kinder lernen oft nur mühsam sprechen und zeigen häufig Gedächtnisschwächen. In Fällen extremer Deprivation reift das Gehirn langsamer und entwickelt im Vergleich zu gesunden Kindern weniger dichte Netzwerke zwischen bestimmten Arealen. Auch das Körperwachstum verlangsamt sich.
Wenn der Augenkontakt derart wichtig ist: Wie können blind geborene Kinder dann eine sichere Bindung entwickeln?
Dass dies sehr gut gelingen kann, sehen wir immer wieder in unserer Klinik. Typischerweise werden dann andere Empfangskanäle des Babys besonders empfindsam, um einen feinfühligen Austausch mit den Bindungspersonen zu ermöglichen. Hier geht es vor allem um das Hören und das Fühlen, auch der Körperkontakt spielt eine sehr große Rolle. Im Prinzip gilt das natürlich für alle Babys: Sanfte Berührungen, dialogisches Sprechen über ihre Gefühle und Erlebnisse und das liebevolle Eingehen auf ihre Signale verstärken die sichere Bindung.
Wie viel Kommunikation mit Blickkontakt ist mindestens nötig, um die von Ihnen beschriebenen schlimmen Folgen zu vermeiden?
Diese Frage höre ich häufig von jungen Eltern. Meine Antwort lautet stets: So viel wie nur irgend möglich, vor allem in den ersten drei Jahren. Denn das ist eine ganz entscheidende Phase für die Hirnreifung.
Ermutigen Sie damit nicht auch die überfürsorglichen Eltern, die sogenannten Helikopter-Eltern, die nur noch um ihren Nachwuchs kreisen?
Wenn Eltern nur noch um ihr Baby besorgt sind, werden sie oft von vielen Ängsten geplagt. In der Regel haben sie gute Gründe für ihr Verhalten. Es kann zum Beispiel sein, dass die Mutter bereits ein Baby verloren hat, etwa durch plötzlichen Kindstod oder eine Fehlgeburt. Ist dieses oft traumatische Erlebnis nicht gut verarbeitet, bleibt eine hohe Besorgnis und die Mutter – manchmal auch der Vater – hüten ihr Baby wie ihren Augapfel. In dieser Situation können wir den Eltern in unserer psychosomatischen Sprechstunde helfen.
In Deutschland werden immer mehr Babys in Kindertagesstätten betreut. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Es kommt immer auf die Betreuungsrelation an. Idealerweise steht eine Erzieherin für zwei Babys zur Verfügung, bei Zwei- bis Dreijährigen können es auch drei Kinder pro Fachkraft sein. Davon sind wir aber weit entfernt: Momentan liegt das Verhältnis in den Tagesstätten im Schnitt bei eins zu sechs und oft sind es noch viel mehr Kinder, die von einer Erzieherin betreut werden sollen. Vor allem die Kleinsten empfinden dann Stress, weil ihr enormes Bedürfnis nach individueller Kommunikation, emotionalem Austausch und Körperkontakt nicht gestillt wird. Schon jetzt leiden viele Kinder unter psychischen Störungen und dieser Trend wird voraussichtlich weiter zunehmen. Da rollt eine Lawine auf uns zu.
Macht sich das in Ihrer Klinik in München bemerkbar?
Ja, ganz klar. Zu uns kommen immer mehr Kinder, die als ungeeignet für Kindergarten oder Schule eingestuft wurden. Sie stammen aus allen sozialen Schichten – auch aus sehr reichen Familien, die dann zuweilen sogar ein Kindermädchen und einen Leibwächter mitschicken.
Wie behandeln Sie emotional vernachlässigte Kinder?
Sie werden bei uns stationär aufgenommen und erhalten eine intensive Psychotherapie. Zehn Stunden in der Woche müssen es schon sein, sonst bleibt die gewünschte Wirkung aus. Wir arbeiten jetzt fünf Jahre nach diesem Konzept und können gute Erfolge vorweisen. Dass die versäumte Hirnreifung sich offenbar nachholen lässt, zeigt eine Studie unseres Teams, bei der wir die Gehirne der Kinder vor und nach intensiver Psychotherapie untersucht haben.
Sie arbeiten nicht nur am Haunerschen Kinderspital in München, sondern sind neuerdings auch häufig in Salzburg anzutreffen. Um was geht es Ihnen dort?
Wir haben an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität einen Masterstudiengang namens „Early Life Care“ aufgebaut, der sich unter anderem an praxiserprobte Psychologen, Mediziner, Pädagogen, Hebammen und Pflegekräfte wendet. Außerdem bereiten wir mehrere Forschungsprojekte vor, zum Beispiel eine der weltweit ersten Studien zu den Folgen elterlicher Smartphone-Fixierung in Anwesenheit ihres Säuglings.
Wie wollen Sie bei der Studie vorgehen?
Wir werden Mütter und Väter mit ihren Babys in unser Labor einladen und den Eltern Nachrichten auf ihr Smartphone schicken, während sie mit ihrem Säugling kommunizieren. Dabei dokumentieren wir nicht nur das Verhalten, sondern messen auch die Pulsfrequenz des Kindes, um seine Stressreaktion zu erfassen. Hier orientieren wir uns an einem berühmten Experiment.
Inwiefern?
Es geht um das Still-Face-Paradigma, das US-Forscher um Edward Tronick vor fast vierzig Jahren erstmals beschrieben haben. Die Wissenschaftler hatten die Reaktion von Babys erfasst, die damit konfrontiert wurden, dass ihre Mütter mitten in einer lebendigen Interaktion plötzlich einfroren und ihrem Baby plötzlich ein bewegungs- und ausdrucksloses Gesicht zeigten. Das führte zu ganz neuen Erkenntnissen über das erstaunliche Wahrnehmungs- und Kommunikationsvermögen von Säuglingen.
Was wollen Sie mit der Smartphone-Studie herausfinden?
Drei, sechs und zwölf Monate nach dem Laborexperiment wollen wir die Kinder erneut untersuchen, um Auswirkungen auf ihre Fähigkeit zur Empathie erkennen zu können. Dabei werden wir viele Faktoren berücksichtigen, die ihre emotionale Entwicklung beeinflussen können, darunter auch Beobachtungsdaten über die tägliche Intensität des Smartphone-Gebrauchs der Eltern in Anwesenheit des Babys. Mit Studienergebnissen rechnen wir frühestens im Jahr 2019.
Das Interview führte Lilo Berg.