Elon Musk kauft Twitter: Wir haben den ostdeutschen Nachfolger Mastodon getestet

Die Twitter-Community ist aufgebracht. Viele User wollen woanders hin. Das Netzwerk eines Entwicklers aus Jena könnte der Gewinner sein. Lohnt der Wechsel?

Twitter oder lieber Mastodon? Das ist hier die Frage.
Twitter oder lieber Mastodon? Das ist hier die Frage.Imago/Zoonar

Nach monatelangem Hin und Her hat High-Tech-Milliardär Elon Musk die Übernahme des Kurzbotschaftendienstes Twitter abgeschlossen und sofort Führungskräfte des Unternehmens gefeuert. Viele Twitter-Nutzer sehen Musk kritisch und wollen sich nun eine neue Plattform suchen. Mastodon als dezentrales und werbefreies Netzwerk würde sich anbieten. Wir haben es getestet – und bereits im April berichtet. Aus aktuellem Anlass veröffentlichen wir unseren Beitrag aus dem Archiv jetzt erneut.

Elon Musk will Twitter kaufen. Seit das bekannt ist, herrscht Aufbruchstimmung in Teilen der Community. Viele User sind aufgewühlt und wollen weg. Ihr neues Ziel heißt Mastodon. Das Netzwerk ist nach einem urzeitlichen Rüsseltier benannt. Es ist dezentral aufgebaut, gehört sozusagen niemandem. Oder allen.

Doch Aufbruch meint in digitalen Netzwerkwelten auch immer den Versuch, möglichst viel Aufmerksamkeit zu generieren, und so ist gleich so manch paradoxes Phänomen zu beobachten. #Mastodon trendet auf Twitter, zahlreiche Accounts posten zum Thema, erklären, warum sie nun „rübermachen“ wollen, und teilen die besten Tipps. Zeitgleich, drüben auf Mastodon, trendet #Musk. Man regte sich über Twitter und den neuen Besitzer auf.

Twitter hat weltweit jeden Tag etwa 217 Millionen User, in Deutschland sind es 1,4 Millionen täglich. Hierzulande gilt das Netzwerk auch als Blase aufgeregter, schneller Debatten, als Ort, wo die neuesten News am schnellsten landen und aggressive Bots die „Shitstorms“ anheizen. In Deutschland ist Twitter vor allem Sprachrohr und Plattform für Regierungen, Medienhäuser, Journalistinnen, Aktivisten und ein paar Prominente.

Seit die Verhandlungen zwischen Elon Musk und Twitter in den vergangenen Wochen bekannt wurden, debattierte die Twitter-Community ihre Sorgen oder Hoffnungen darüber, was unter dem Einfluss des provokanten Tesla-Chefs aus dem Netzwerk werden könnte.

Denn der argumentiert zwar mit einem hohen Gut, der Meinungs- und Redefreiheit – doch seine Auslegung dieser Prinzipien gilt als hoch umstritten. So kritisiert Musk etwa die Moderation von Inhalten, die das Unternehmen inzwischen bei gewaltverherrlichenden oder menschenfeindlichen und diskriminierenden Posts vornimmt. Auch den Account des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump sperrte Twitter nach dem Angriff auf das Kapitol wegen Anstiftung zur Gewalt.

Wie funktioniert Mastodon?

Die Kritik an der Haltung von Musk kommt von Usern, die das Prinzip „Melden“ und „Blockieren“ unterstützen, man könnte vielleicht sagen: die es gut finden, dass es Regeln der Kommunikation gibt, die im Zweifel durchgesetzt werden. Mastodon verspricht das. Mehr noch, es lockt sogar mit den Worten: „Join the social media revolution“.

Also gut, ein Versuch.

Wie auf allen digitalen Kanälen beginnt die Revolution mit einer Registrierung. Doch die ist bei Mastodon gar nicht so leicht. Man muss sich nämlich als Erstes für eine sogenannte Instanz entscheiden. Und steht vor der Frage, was das sein soll.

Mastodon ist dezentral organisiert. Das heißt, nicht ein Unternehmen steht über dem Projekt, sondern viele einzelne Server halten es zusammen. Sie nennen sich „Instanzen“. Sie ermöglichen, dass man sich einen Account erstellt, um auf der Plattform aktiv sein zu können. Das System ist vereinfacht gesagt vergleichbar mit dem Versenden von E-Mails: Man erstellt sich eine Adresse bei einem Anbieter, kann aber jedem schreiben, der auch eine Mailadresse hat.

CEO Eugen Rochko finanziert sein Gehalt aus Spenden

Die Idee kommt von Eugen Rochko, einem Softwareentwickler aus Jena. Er arbeitete für andere soziale Netzwerke, 2016 gründete er Mastodon. Auf Twitter schreiben manche User, dass sie an Medikamente denken müssen, wenn sie Mastodon hören – oder an Krankheiten. Das Rüsseltier aus der Mammutfamilie scheint kaum jemand zu kennen.

Vielleicht überzeugt eher das Prinzip: Der Quellcode von Mastodon ist frei. Alle Hacker dieser Erde können auf ihn zugreifen, ihn kopieren, vor allem aber überprüfen – solche Open Source Codes gelten als besonders sicher. Weil die Masse sie kontrolliert. Hier findet man sie noch, die alten Vorstellungen der radikalen Demokratisierung im Internet. Auf seinem Blog schreibt der heutige CEO der gGmbH Mastodon, die Ziele des Unternehmens seien gemeinnützig. Auf Mastodon gibt es keine Werbung. Die Finanzierung läuft über Sponsoren und Spenden.

Auch die Weiterentwicklung der Software und die sogenannte Instanz, die CEO Rochko selbst gründete, finanzieren sich aus Spenden. Am Dienstagnachmittag waren auf seinem Server @mastodon.social 670.000 User angemeldet.

Eine Registrierung ist am Dienstag gar nicht so einfach, denn die Website ist unglaublich langsam. Die Entscheidung für die „Instanz“ macht es gleich kompliziert. Mehrere Tausend scheint es zu geben, eine vollständige Liste ist schwer zu finden. Eine Liste mit deutschsprachigen Instanzen hat allein 131 Einträge. Jede gibt ihre eigenen Regeln an, die meisten lesen sich wie eine Art Verhaltenskodex: kein Rassismus, keine Homophobie, keine Nazis.

Dann eben aus Pragmatismus die Instanz des Gründers nehmen. Immerhin sucht die Neugier ihre Befriedigung. Die Registrierung ist schnell gemacht, doch die Mail mit der Bestätigung lässt auf sich warten. Die „Instanz“ sei voll, erscheint als Meldung.

Tweets heißen jetzt Tröts

Na danke, Elon. Ein Gif blinkt auf der Website: Ein Elefant in Comic-Stil knallt seine Stirn auf eine Tastatur. „Error on our end.“

Irgendwann funktioniert es doch, die neue Social-Media-Welt öffnet sich. Die Oberfläche ist standardmäßig dunkel eingestellt, die Startseite hat drei Spalten. Links das User-Profil mit Namen, Foto, Profilbeschreibung. Außerdem können von hier die Kurznachrichten abgesetzt werden – die heißen auf Mastodon, nun ja:„Tröts“. Sie dürfen dafür aber 500 Zeichen lang sein. Auf Twitter sind es nur 280.

Rechts hängt eine Menüleiste, intuitiv aufgebaut: Mitteilungen, Lesezeichen, Favoriten, Trends. Die mittlere Spalte ist der Feed. Hier erscheinen die Posts der Leute, denen man folgt. Die muss man natürlich erst mal finden – insgesamt sind auf Mastodon 4,4 Millionen User angemeldet. Das Programm sendet Vorschläge: Man solle dem baden-württembergischen Datenschutzbeauftragten folgen. Datenschutzbeauftragte lieben Mastodon, das Netzwerk scheint sich dafür zu revanchieren. Außerdem der Tagesschau, irgendeiner Katja.

Saša Stanišić und Jan Böhmermann sind auch schon da. Der Schriftsteller und der Moderator, beide groß auf Twitter, nebenan.

Auf beiden Plattformen amüsieren sich Accounts über die Wanderbewegung. Eine persönliche Prognose: In Windeseile werden nun Accounts erstellt, die dann, erschöpft vom Anmeldeprozess, der gerade extralange dauerte, zuerst einmal ruhen werden. Während man auf Twitter jetzt natürlich noch besser mitreden kann.

Keine Folgenden und keine Gefolgten für den Anfang, wie es auf Mastodon schön gendersensibel heißt. Damit sich der Aufbruch in eine Alternative verwandelt, zeigt sich mit der kritischen Masse.

Erstes Resümee: Mastodon funktioniert nicht wie Twitter. Es ist kein Ersatz. Aber vielleicht ist es eine Alternative. Durch die verschiedenen Server ist die Struktur anders, Posts und „Tröts“ werden nicht so schnell viral gehen können. Im Guten wie im Schlechten.

Erst kürzlich hatte die Berliner Datenschutzbehörde – siehe: Liebe – die Senatorinnen und Senatoren dazu aufgefordert, ihre sämtlichen Social-Media-Aktivitäten auf Mastodon zu verlegen. Am Dienstag fand man dort die Regierende Bürgermeisterin noch nicht. Der Kultursenator Klaus Lederer allerdings hatte offenbar schon „rübergemacht“. Zumindest als Account. Zahl seiner bisherigen Beiträge auf Mastodon: null.